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Michelle Koenen / Gero Kunath / Thomas Obst IW-Report Nr. 40 11. August 2022 Europa an der Schwelle zur Rezession?: Wirtschaftliche Auswirkungen der Corona-Pandemie und des Ukraine-Kriegs

Die Europäische Union (EU) sieht sich innerhalb kürzester Zeit mit zwei großen und historisch einmaligen Krisen konfrontiert. Die Corona-Krise führte zu asymmetrischen wirtschaftlichen Auswirkungen in der EU. Maßgeblich für die konjunkturelle Entwicklung zwischen dem vierten Quartal 2019 und dem ersten Quartal 2021 waren unter anderem strukturelle Faktoren wie der Industrieanteil oder die Größe des Tourismussektors einer Volkswirtschaft.

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Wirtschaftliche Auswirkungen der Corona-Pandemie und des Ukraine-Kriegs
Michelle Koenen / Gero Kunath / Thomas Obst IW-Report Nr. 40 11. August 2022

Europa an der Schwelle zur Rezession?: Wirtschaftliche Auswirkungen der Corona-Pandemie und des Ukraine-Kriegs

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Die Europäische Union (EU) sieht sich innerhalb kürzester Zeit mit zwei großen und historisch einmaligen Krisen konfrontiert. Die Corona-Krise führte zu asymmetrischen wirtschaftlichen Auswirkungen in der EU. Maßgeblich für die konjunkturelle Entwicklung zwischen dem vierten Quartal 2019 und dem ersten Quartal 2021 waren unter anderem strukturelle Faktoren wie der Industrieanteil oder die Größe des Tourismussektors einer Volkswirtschaft.

Die Dauer und Stärke der Corona-Restriktionen hatten ebenfalls einen wichtigen Einfluss. Nationale Einschränkungen wie Unternehmensschließungen oder Mobilitätseinschränkungen wurden global verstärkt durch Grenzschließungen, gestörte Lieferketten etc. Diese führten zu historischen wirtschaftlichen Einbrüchen im Jahr 2020 und beeinträchtigen bis heute die Wachstumsaussichten in Europa. Durch fiskalpolitische Maßnahmen konnte der Arbeitsmarkt weitgehend stabil gehalten werden und trug 2021 mit einem erhöhten privaten Konsum aufgrund von Nachholeffekten zu einer wirtschaftlichen Erholung bei. Die expansive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) während der Corona-Krise hat ebenfalls zur Stabilisierung der Risiken geführt, was unter anderem die Renditeunterschiede auf Staatsanleihen im Euroraum verringerte. Das 800 Milliarden Euro schwere NextGenerationEU-Aufbaupaket wurde zudem initiiert, um die asymmetrischen Folgen innerhalb der EU abzufedern. Ein erhoffter V-Verlauf der Konjunktur trat in den EU-Mitgliedsländern jedoch nicht ein. Wichtige makroökonomische Größen liegen in einigen Ländern auch zwei Jahre nach Ausbruch der Pandemie noch unter dem Vorkrisenniveau und deuten auf Narbeneffekte hin. Die Ukraine-Krise, als zweite große Krise, setzt nun auf dieses Ungleichgewicht der Volkswirtschaften auf und verstärkt sie. Die aufgrund gestörter Wertschöpfungsketten bereits erhöhten Inflationsraten werden weiter durch exogene Energiepreisschocks getrieben. Dies führt zu einer persistenten angebotsseitigen Inflation, die in der Breite der EU-Länder angekommen ist. Durch Zinsanhebungen versuchen die Zentralbanken die Inflation zwar einzudämmen; auch die EZB beendete ihre langjährige Null-Zins-Politik. Eine sofortige Wirkung ist aber nicht zu erwarten, da Zinspolitik erst mit mehreren Quartalen Verzögerung wirkt. Zudem handelt es sich um eine importierte Inflation mit einem Wohlstandsverlust nach außen. Das Eingreifen der EZB erhöht gleichzeitig das Rezessionsrisiko. Die Stagflation ist ein veritables Risiko in Europa. 

Die EU hat als Reaktion auf den ungerechtfertigten Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine sieben Sanktionspakete verabschiedet. Dabei hat sich herauskristallisiert, dass die Gasversorgung die Achillesferse der europäischen Wirtschaft ist. Sowohl die unterschiedlichen Abhängigkeiten in den EU-27-Ländern von russischen Energieträgern als auch die unterschiedlich starken Möglichkeiten der Substituierbarkeit führen zu einer Bandbreite an Schätzungen und Prognosen. Sie leiden alle unter einer hohen geoökonomischen Unsicherheit und zeigen die Grenzen makroökonomischer Modellierung bei solch umfangreichen Strukturbrüchen auf. Festzustehen scheint, dass ein kompletter Ausfall der russischen Gaslieferungen, entweder in Form eines europäischen Embargos oder wie bereits in einigen Ländern geschehen ausgelöst durch den russischen Staat, mit gravierenden wirtschaftlichen Folgen verbunden sein wird. Die Prognosen gehen von einer Schrumpfung des realen BIP von 2 bis 12 Prozent aus. Die Simulationen der wirtschaftlichen Auswirkungen nachhaltend hoher Energiepreise, unabhängig von einem Mengenstopp, zeigen zudem, dass große Volkswirtschaften mit hohem Industrieanteil wie Deutschland abgehängt werden könnten und es für Unternehmen zunehmend schwieriger wird, die Wirtschaft produktions- und wettbewerbsfähig zu halten. Kurz- und mittelfristige wirtschaftliche Verluste sind bei einem weiteren Ausfall der russischen Gaslieferungen unvermeidbar, jedoch können gezielte Maßnahmen wie die Diversifizierung der Gasimporte, Einsparungen beim Gasverbrauch sowie staatliche Entlastungspakete diese Schäden eingrenzen. Auch ein gemeinsamer Einkauf durch die EU trägt zu einer nachhaltigeren Gasversorgung in der EU bei. Dabei gilt es, eine weitere Fragmentierung in der EU zu verhindern.

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