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Galina Kolev / Thomas Obst IW-Kurzbericht Nr. 14 24. Februar 2022 Gesamtwirtschaftliche Effekte eines höheren Gaspreises

Die geopolitischen Spannungen rund um den Ukraine-Konflikt können eine erhebliche Auswirkung auf die Gaspreisentwicklung in den kommenden Jahren entfalten. Die gesamtwirtschaftlichen Effekte sind beträchtlich, zumal die Entwicklung der Rohstoffpreise einen der Hauptfaktoren für die aktuell hohen Inflationsraten in vielen Industrieländern darstellt. Die Verbraucherpreisinflation könnte in den nächsten zwei Jahren um bis zu 3 Prozentpunkte höher ausfallen, sollte ein Gaspreissprung von 50 Prozent gegenüber dem Preis aus dem vierten Quartal 2021 verzeichnet werden.

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Gesamtwirtschaftliche Effekte eines höheren Gaspreises
Galina Kolev / Thomas Obst IW-Kurzbericht Nr. 14 24. Februar 2022

Gesamtwirtschaftliche Effekte eines höheren Gaspreises

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Die geopolitischen Spannungen rund um den Ukraine-Konflikt können eine erhebliche Auswirkung auf die Gaspreisentwicklung in den kommenden Jahren entfalten. Die gesamtwirtschaftlichen Effekte sind beträchtlich, zumal die Entwicklung der Rohstoffpreise einen der Hauptfaktoren für die aktuell hohen Inflationsraten in vielen Industrieländern darstellt. Die Verbraucherpreisinflation könnte in den nächsten zwei Jahren um bis zu 3 Prozentpunkte höher ausfallen, sollte ein Gaspreissprung von 50 Prozent gegenüber dem Preis aus dem vierten Quartal 2021 verzeichnet werden.

Wenngleich die Inflationsrate im Januar 2022 mit 4,9 Prozent leicht unter dem Niveau aus dem Vormonat in Höhe von 5,3 Prozent lag, bereitet die Inflation vielen Verbrauchern, Wirtschaftsvertretern und Politikern Sorgen. Zwar ist die Teuerungsrate zu einem großen Anteil auf einmalige oder kurzfristige Effekte zurückzuführen (Demary/Hüther, 2022). So stiegen die Energiepreise binnen Jahresfrist um mehr als ein Fünftel an, darunter erhöhten sich die Kraftstoffpreise um fast ein Viertel, die Preise für Haushaltsenergie um mehr als 18 Prozent, getrieben vor allem durch den Anstieg des Preises für Heizöl um knapp 52 Prozent und für Erdgas um gut 32 Prozent (Statistisches Bundesamt, 2022). Doch selbst ohne Energie lag die Inflationsrate in Deutschland bei 3,2 Prozent, was eine rege Diskussion über die aktuelle Ausrichtung der Geldpolitik im Euroraum entfachte.

Der sich zuspitzende Ukraine-Konflikt könnte die Preisentwicklung für die deutschen und europäischen Verbraucher noch weiter beschleunigen. Deutschland bezieht mehr als die Hälfte der Erdgasimporte aus Russland, Tendenz steigend – unter anderem durch die Nutzung des Erdgases als Brückentechnologie zur Energiegewinnung hin zu Klimaneutralität. Zwar erscheint es sehr unwahrscheinlich, dass Russland im Zuge des Ukraine-Konflikts einen Dauerstopp der Gaslieferungen nach Deutschland beschließt – immerhin stecken hinter diesen Gasexporten immense Einnahmen in zweistelliger Milliardenhöhe. Russland ist vor den USA größter Erdgasexporteur weltweit. Im Jahr 2020 lieferte Russland etwa 168 Milliarden Kubikmeter Erdgas durch Pipelines nach Europa, wovon Deutschland mit über 56 Milliarden Kubikmetern der wichtigste Abnehmer russischen Erdgases ist (BP, 2021). Dennoch sind zusätzliche Einschränkungen denkbar, die den Gaspreis in die Höhe treiben könnten. Da es zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Flüssiggas-Terminals (z. B. mittels Tanker in Häfen) gibt, ist Deutschland mittelfristig weiterhin auf Erdgaslieferungen via Pipelines angewiesen.

Um die potenziellen Auswirkungen eines solchen Szenarios auf die deutsche Wirtschaft einzuschätzen, werden im Folgenden die Ergebnisse von Modellsimulationen dargestellt. Die Simulationen wurden mithilfe des Global Economic Model von Oxford Economics durchgeführt. Das Modell ist in der kurzen Frist keynesianisch, sodass nachfragebedingte Veränderungen wie im privaten Konsum die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in der kurzen Frist entscheidend beeinflussen. In der langfristigen Betrachtung ist das Modell monetaristisch und die wirtschaftliche Entwicklung wird maßgeblich durch Angebotsfaktoren wie Kapitalstock oder Produktivität beeinflusst. Ein höherer Gaspreis kann hierbei sowohl in der kurzen als auch in der mittleren bis langen Frist einen negativen Einfluss auf die gesamtwirtschaftliche Aktivität ausüben, indem er die Terms of Trade verschlechtert, die Energiepreise steigert und die Entwicklung der Trendproduktivität ausbremst. Hinzu kommt, dass die höheren Preise negative Effekte auf den privaten Konsum kurzfristig entfalten.

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Zum Zweck der Modellsimulationen wurden zwei Szenarien untersucht und mit der aktuellen Baseline als Referenzszenario verglichen: In Szenario 1 bleibt der Gaspreis im Jahr 2022 aufgrund des andauernden Ukraine-Konflikts und der damit verbundenen Unsicherheit auf dem rekordhohen Niveau aus dem vierten Quartal 2021. In Szenario 2 wird ein Anstieg des Gaspreises in Höhe von 50 Prozent gegenüber dem Niveau aus dem vierten Quartal 2021 aufgrund einer Zuspitzung des Ukraine-Konflikts untersucht. Die Gaspreisentwicklung im Jahr 2021 zeigt, dass ein Anstieg in dieser Höhe nicht unrealistisch erscheint – besonders wenn es zu weiteren Liefereinschränkungen im Zuge des Konflikts kommt. Gemäß einer Studie des Energiewirtschaftlichen Instituts der Universität zu Köln (ewi) würde allein die Unterbrechung der Ukraine-Route eine Gaspreiserhöhung von 5 bis 7 Prozent in Deutschland bewirken (Schulte et al., 2019). In Griechenland, wo die Abhängigkeit von der Ukraine-Route (anders als in Deutschland, wo die Gaslieferungen auch über Nordstream 1 und die Jamal-Route erfolgen) wesentlich höher ist, wird sogar eine Preissteigerung von 45 bis 56 Prozent geschätzt, sollte die Ukraine-Route unterbrochen werden.

Bevor die einzelnen Ergebnisse näher betrachtet werden, soll an dieser Stelle betont werden, dass es sich dabei nicht um Prognosen, sondern um mögliche Entwicklungen handelt. Eine Prognose wird aufgrund der aktuell hohen Unsicherheit nicht vorgenommen.

Die Abbildung zeigt die Ergebnisse der Modellsimulationen verglichen mit dem Basisszenario, in dem ein allmählicher Rückgang des Gaspreises bis Ende 2022 um etwa ein Viertel gegenüber dem Niveau im vierten Quartal 2021 und ein weiterer Rückgang um etwa die Hälfte im Jahr 2023 unterstellt wird. Sollte der Gaspreis aufgrund des Ukraine-Konflikts auf dem Niveau des vierten Quartals 2021 in diesem Jahr verharren (Szenario 1), wäre damit ein Anstieg der Inflationsrate um 0,7 Prozentpunkte im Jahr 2022 und 2,3 Prozentpunkte im Jahr 2023 gegenüber dem Basisszenario verbunden. Für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung würde das ein um 0,2 Prozent geringeres preisbereinigtes BIP im Jahr 2022 und um 0,7 Prozent geringeres BIP im Jahr 2023 bedeuten. Der private Konsum wäre erheblich durch die Verringerung der verfügbaren Einkommen beeinträchtigt. So liegt dieser im Jahr 2022 um 0,2 Prozent und im Jahr 2023 um 0,8 Prozent unter dem Niveau aus dem Basisszenario.

Sollte es zu einem (wenig wahrscheinlichen und dennoch erheblichen) weiteren Anstieg des Gaspreises um weitere 50 Prozent gegenüber dem vierten Quartal 2021 aufgrund einer Verschärfung des Ukraine-Konflikts kommen, so wären die damit verbundenen Konsequenzen für die Entwicklung der Preise und der gesamtwirtschaftlichen Aktivität in Deutschland noch gravierender (Szenario 2). So könnte dies eine im Jahr 2022 um 2,5 Prozentpunkte und im Jahr 2023 um 2,8 Prozentpunkte höhere Inflationsrate bedeuten. Das preisbereinige BIP dürfte dann im Jahr 2023 um 1,4 Prozent geringer ausfallen, was die Erholung im Zuge der Pandemie erheblich verlangsamen könnte. Die privaten Konsumausgaben würden in diesem und im nächsten Jahr um jeweils 0,6 und 1,6 Prozent unter dem Niveau aus dem Basisszenario liegen.

Somit zeigen die durchgeführten Modellsimulationen den enormen Einfluss, den die Entwicklung des Gaspreises auf die deutsche Wirtschaft nehmen könnte. Dabei gilt es zu bedenken, dass es sich bei diesen Simulationen allein um eine Änderung des Gaspreispfads handelt. Eine Auswirkung eines potenziell höheren Preises für Rohöl (wo etwa ein Drittel der deutschen Importe auf Russland entfällt) und für andere Rohstoffe ist hierbei nicht berücksichtigt. Der anhaltende Ukraine-Konflikt und sogar eine Verschärfung des Konflikts kann zudem weitere, noch gravierendere Implikationen aufgrund der gestiegenen geopolitischen Unsicherheit, gestörter Handelsströme und Produktionsausfälle in der deutschen Industrie entfalten. Auch wenn die durch hohe Energiepreise belastete private Konsum- und Investitionstätigkeit in Deutschland zu geringerem Wachstum führen könnte, würden das schwindende Investorenvertrauen und massive Handelssanktionen Russland noch viel mehr belasten. Deutschland ist nach wie vor einer der wichtigsten Handelspartner Russlands. 7,4 Prozent des gesamten Außenhandels Russlands entfallen auf Deutschland (Beer, 2022). Diese bestehenden wechselseitigen Abhängigkeiten gilt es zu bedenken, aber auch die bedeutende Rolle der Nutzung von Erdgas als Brückentechnologie in der deutschen Industrie und die damit aufkommende Frage der Energiesicherheit in den nächsten Jahren hin zu der angestrebten Klimaneutralität.

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