Das Umfragehoch der AfD und der Sieg eines AfD-Kandidaten bei der Landratswahl im Kreis Sonneberg im Juni weckten die Befürchtung, die Partei könnte sich als Risiko für den Standort Deutschland erweisen. Die medial breit geführte Debatte bot Anlass für eine IW-Befragung der Hauptgeschäftsführer von Verbänden zu den von der AfD ausgehenden Risiken.
AfD-Erstarken: Verbände sehen stärker politische als ökonomische Risiken
Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
Das Umfragehoch der AfD und der Sieg eines AfD-Kandidaten bei der Landratswahl im Kreis Sonneberg im Juni weckten die Befürchtung, die Partei könnte sich als Risiko für den Standort Deutschland erweisen. Die medial breit geführte Debatte bot Anlass für eine IW-Befragung der Hauptgeschäftsführer von Verbänden zu den von der AfD ausgehenden Risiken.
Mit Ausnahme der abschreckenden Wirkung auf ausländische Fachkräfte in AfD-Hochburgen werden die akuten Auswirkungen als relativ gering eingeschätzt. Langfristige Risiken werden deutlich stärker gesehen. Hier überwiegt jedoch die Sorge vor negative Konsequenzen hinsichtlich der politischen Kultur und Handlungsfähigkeit die Sorge um mögliche wirtschaftliche Risiken.
Anhand einer IW-Befragung unter Hauptgeschäftsführern (HFG) der Arbeitgeberverbände und Wirtschaftsverbände in Deutschland (siehe Kasten Datengrundlage) wurde ein empirisches Stimmungsbild zu den erwarteten Auswirkungen des AfD-Erstarkens erhoben. In der Diskussion benannte Themenfelder waren etwa negative Implikationen für Deutschland als attraktiver Wirtschaftsstandort für Fachkräfte oder Investoren. Tatsächlich stimmt fast jeder zweite Befragte der Aussage zu, das Erstarken der AfD führe auf betrieblicher Ebene zu „Schwierigkeiten, in AfD-Hochburgen Fachkräfte aus dem Ausland zu gewinnen“. Nur 13 Prozent lehnen diese Aussage ab. Dass die AfD das Anwerben ausländischer Fachkräfte deutschlandweit in der kurzen Frist erschwert, nehmen mit 28 Prozent deutlich weniger Befragte an – ebenso wie die erschwerte Rekrutierung inländischer Fachkräfte in AfD-Hochburgen. Auch die akuten negativen Auswirkungen auf den Zusammenhalt in den Belegschaften (32 Prozent „trifft zu“) werden als weniger ausgeprägt eingeschätzt. Noch geringer sind die Sorgen um die Attraktivität für ausländische Investoren (21 Prozent „trifft zu“). Letzteres spiegelt sich in den qualitativen Aussagen der Befragten wider. Diese deuten auf die Wahrnehmung hin, der Aufstieg radikaler Kräfte im europäischen Ausland – mit der expliziten Ausnahme des Brexits – habe kaum internationale Investitionen abgeschreckt. Hinsichtlich der aktuellen Schwierigkeiten der deutschen Wirtschaft wird in den Antworten betont, dass mehr als der Aufstieg der in Teilen rechtsextremen AfD unzureichende Digitalisierung, Fachkräftemangel, mangelhafte kommunale Daseinsvorsorge und Infrastruktur, hohe Abgabenbelastung sowie ausufernde Bürokratie zentrale Standortrisiken darstellen.
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Grundsätzlich muss bei allen Einschätzungen beachtet werden, dass eine Regierungsbeteiligung der AfD insbesondere auf der für die Wirtschaftspolitik besonders einflussreichen Bundesebene noch auf lange Zeit ausgeschlossen sein dürfe. Insofern sind singulär qualitative Antworten plausibel, die das Risiko für den Wirtschaftsstandort durch die – im Bund wie in vielen Bundesländern regierenden – Grünen größer bewerten als durch die AfD.
Langfristig dominieren politische Risiken
Langfristig werden die negativen Auswirkungen eines Erstarkens der AfD von den Verbands-HGFs deutlich stärker eingeschätzt als dies in der kurzfristigen Betrachtung der Fall ist. Alle zur Auswahl gestellten potenziellen Implikationen werden jeweils von lediglich unter 10 Prozent der Befragten als „kein Risiko“ eingeschätzt (siehe Abbildung). Die Bewertungen der Kategorie „hohes Risiko“ erlaubt die Interpretation, dass für die Vertreter der verfassten deutschen Wirtschaft weniger die wirtschaftlichen, sondern eher die politischen Implikationen im Vordergrund stehen: Mehr als vier von fünf Befragten schätzen die negativen Auswirkungen auf eine konstruktive politische Kultur als hoch ein. Und 85 Prozent sehen ein hohes Risiko, dass die Bildung einer handlungsfähigen Regierung auf Landesebene erschwert werden könnte. Immerhin 74 Prozent befürchten dies für die Bundesebene. Erstere Einschätzung gewinnt mit der Vorausschau auf die drei Landtagswahlen im September 2024 in Sachsen, Thüringen und Brandenburg, in denen die AfD in Umfragen aktuell teils mehr als 10 Prozentpunkte vor allen anderen Parteien liegt (Wahlrecht.de, 2023), an Brisanz.
Die Folgen des AfD-Erstarkens für die wirtschaftspolitisch wichtigen Themenfelder Fachkräftesicherung (68 Prozent), Bestand des Euros und der EU (62 Prozent) und Wirtschaftsstandort Deutschland (60 Prozent) werden zwar hoch, aber dennoch weniger risikobehaftet eingeschätzt. Die Freitextantworten illustrieren nichtsdestotrotz die Gefahren, die von der Partei für das deutsche Erfolgsmodell mit seiner Abhängigkeit von internationalen Handelspartnern, Investoren und Arbeitskräften ausgehen. Überdies wird deutlich, dass die Befragten die EU und ihre Institutionen als reformbedürftig ansehen – wobei sich ebenso die Sorge herauslesen lässt, dies klar zu benennen, um nicht von der AfD vereinnahmt zu werden oder die EU-Skepsis in der Bevölkerung zu befeuern. Offenbar treibt die Verbandsvertreter die Sorge um, andernfalls den euroskeptischen Positionen der Partei Vorschub zu leisten.
Darüber hinaus weisen die qualitativen Antworten darauf hin, dass AfD-Positionierungen für die Befragten häufig nicht klar konturiert sind. Tatsächlich hat die teils chamäleonhaft anmutende Partei Positionen in der Vergangenheit immer wieder revidiert oder Grundsatzentscheidungen über Jahre vertagt (Pühringer et al., 2021; Diermeier, 2020). Welche Wirtschaftspolitik die AfD im Falle einer Regierungsbeteiligung umsetzen würde, bleibt für zentrale Politikfelder selbst im jüngsten Sofortprogramm einer AfD-geführten Bundesregierung (AfD-Fraktion im Bundestag, 2023) im Dunkeln.
Hohes Vertrauen in etablierte Parteien
Gerade bei der Einordnung der wirtschaftspolitischen Fragen – wie insbesondere eines möglichen Euro-Austritts – muss beachtet werden, dass die AfD von den Schalthebeln der (bundespolitischen) Macht noch sehr weit entfernt ist. Passend hierzu sprechen fast alle Verbandsvertreter der Partei auf Bundesebene (96 Prozent „(eher) nicht regierungsfähig“ sowie weitere 2 Prozent “teils-teils”) wie in den Bundesländern (80 Prozent „(eher) nicht regierungsfähig“ sowie weitere 15 Prozent “teils-teils”) die Regierungsfähigkeit ab.
Nichtsdestotrotz wird der AfD-Aufstieg von führenden Repräsentanten der deutschen Wirtschaft aufgrund der über wirtschaftliche Fragen hinausgehenden Risiken äußerst kritisch beobachtet. Entgegen der Selbststilisierung als Partei der wirtschaftlichen Vernunft und Reanimateurin der Sozialen Marktwirtschaft halten 57 Prozent der Befragten die Aussage, „das Erstarken der AfD gefährdet die Errungenschaften der Sozialen Marktwirtschaft“, (eher) für zutreffend (weitere 28 Prozent „teilsteils“). Und trotz aller Enttäuschung der Verbands-HGFs über die aktuelle Bundesregierung und die hausgemachten Standortrisiken sind fast alle Befragten (96 Prozent „trifft (eher) zu“) überzeugt, dass sich „die aktuellen Herausforderungen mit Parteien, die auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung stehen, grundsätzlich erfolgreicher angehen lassen als mit Parteien, bei denen daran Zweifel bestehen“.
Datengrundlage
Um ein Stimmungsbild der deutschen Wirtschaft über die Implikationen des AfD-Erstarkens einzuholen, hat das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) eine anonymisierte ca. 5-minütige Online-Stand-Alone-Befragung unter den 119 Hauptgeschäftsführerinnen und Hauptgeschäftsführer der zentralen deutschen Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände durchgeführt. Die Grundgesamtheit setzt sich zusammen aus den Mitgliedsverbänden der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) sowie des Instituts der deutschen Wirtschaft. Die Rücklaufquote beträgt mit 54 validen Antworten 45 Prozent. Neben den skalenbasierten Fragen hatten die Befragten nach jeder Frage die Möglichkeit, in einem Freitextfeld qualitative Kommentare zu hinterlassen. 24 Verbände geben einen Verbandssitz in Berlin an, 27 in Westdeutschland außerhalb von Berlin. Da sich unter den 119 angeschriebenen lediglich fünf ostdeutsche Landesverbände befinden und davon nur drei an der Befragung teilgenommen haben, lassen sich keine ostdeutschlandspezifischen Auswertungen ableiten. Zudem ist nicht auszuschließen, dass politisch besonders interessierte oder sogar der AfD besonders kritisch gegenüberstehende Verbände eine höhere Antwortquote aufweisen. Die Ergebnisse sind daher trotz der relativ hohen Rücklaufquote mit Vorsichtig zu interpretieren. Die Befragung war vom 9. bis zum 30. August 2023 im Feld.
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