Vor genau einem Jahrzehnt wurde die Alternative für Deutschland (AfD) gegründet. Seitdem hat sich der Fokus der damaligen westdeutsch geprägten „Professorenpartei“ nach Ostdeutschland verschoben.
Zehn Jahre AfD: Der kurze Weg nach Osten
Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
Vor genau einem Jahrzehnt wurde die Alternative für Deutschland (AfD) gegründet. Seitdem hat sich der Fokus der damaligen westdeutsch geprägten „Professorenpartei“ nach Ostdeutschland verschoben.
Sowohl beim Anteil der Mitglieder als auch beim Anteil der Anlaufstellen für Bürger macht die AfD dort der Partei DIE LINKE Konkurrenz. Allerdings hat die AfD bundesweit Schwierigkeiten, sich hinsichtlich Mitgliederzahlen und Anlaufstellen in der Fläche zu verankern. Das Verhältnis von Anlaufstellen zu Bundestagsabgeordneten als ein Indikator für die organisationale Durchdringung ist mindestens um den Faktor viereinhalb schlechter als bei allen anderen Parteien.
Die offizielle Gründung der AfD erfolgte am 6.2.2013 in Oberursel. Gründungsmotiv und Namensgebung leiten sich von der durch Angela Merkel als „alternativlos“ bezeichneten Rettungspolitik in der Euro- und Staatsschuldenkrise ab. Dass sich dieses Thema teils in den Professionen der Gründungsmitglieder widerspiegelte, brachte der AfD das Label einer „Professorenpartei“ ein: Tatsächlich finden sich unter den 58 Unterzeichnern der AfD-Vorläuferorganisation Wahlalternative 2013 (2012) 28 Professoren – davon 18 mit wirtschaftswissenschaftlichem Hintergrund. Noch eindeutiger war deren westdeutsche Prägung: Kaum eines der 58 Gründungsmitglieder der Wahlalternative 2013 verfügt über eine ostdeutsche Erwerbsbiografie oder war gar in der DDR sozialisiert (Wahlalternative 2013, 2012).
Mit prominenten Aushängeschildern wie Hans-Olaf Henkel oder Joachim Starbatty attrahierte die AfD trotz mangelnder tiefergehender Programmatik aus dem Stand fast 18.000 Mitglieder und scheiterte mit 4,7 Prozent bei der Bundestagswahl 2013 nur knapp. Danach bescherten der von Bernd Lucke beschworene „Partei neuen Typs“ die Wahlerfolge bei diversen Landtagswahlen weiteren Zulauf.
Mit stagnierenden Umfragewerten, dem Beginn der starken Flüchtlingsmigration sowie der abermals als „alternativlos“ titulierten Migrationspolitik kommt es zu einem ersten Bruch in der Partei. Mit dem „Flügel“ treten Björn Höcke und die ostdeutschen Landesverbände in das Licht der Öffentlichkeit. In der Folge häutet sich die AfD förmlich von einer eurokritischen, bürgerlichen hin zu einer rechtspopulistischen Partei. Für Bernd Lucke hat die Partei keinen Spitzenplatz mehr übrig. Nach seiner Demütigung auf dem Essener Parteitag 2015 verabschiedete er sich zusammen mit einem Fünftel der Mitglieder sowie fünf der sieben Europaabgeordneten aus der Partei in die politische Bedeutungslosigkeit.
Zwei Jahre später folgte Frauke Petry und verließ, politisch isoliert, die Partei trotz der erfolgreichen Bundestagswahl 2017. Auch in dieser zweiten Radikalisierungsperiode wandten sich Mitglieder gemeinsam mit der Vorsitzenden von der AfD ab. Die hohe Popularität der Partei, die sich nunmehr in den Wahlergebnissen zeigte, spiegelte sich jedoch demgegenüber in insgesamt steigenden Mitgliederzahlen. Der Höchststand wurde mit knapp 35.000 Mitgliedern 2019 erreicht. Mit starken Ergebnissen bei den ostdeutschen Landtagswahlen kippte das interne Gleichgewicht sowohl hin zu einer weiteren Radikalisierung, als auch zu einem immer stärkeren Einfluss der ostdeutschen Protagonisten auf Bundesebene. Mit der in Westdeutschland wenig populären Positionierung als Fundamentalopposition in der Corona-Pandemie und der drohenden Beobachtung durch den Verfassungsschutz sanken die Mitgliederzahlen schließlich wieder auf aktuell rund 30.000 Mitglieder.
Der Wandel in Richtung Osten zeigt sich auch in der geographischen Verortung der Mitgliederschaft: Heute ist etwas mehr als jedes vierte Parteimitglied dort beheimatet, nur die traditionell ost-verwurzelte LINKE hat mit fast 40 Prozent einen noch höheren Anteil. Obwohl die AfD selbst im Osten nicht als Volkspartei charakterisiert werden kann (Weisskircher, 2022), ist sie dort schon länger wesentlich stärker als im Westen in der Mitte der Bevölkerung angekommen (Bergmann et al., 2017). Dies zeigen auch die Wahlergebnisse: Während die AfD bei der Bundestagswahl im Westen lediglich 8,2 Prozent erzielte, waren es im Osten 20,5 Prozent. Dort sind auch alle der 16 Direktmandate beheimatet.
Bundesweit umgibt sich die AfD gern mit dem Nimbus einer bürgernahen Repräsentation des „wahren Volkswillen“, der von den „Altparteien“ zu wenig berücksichtigt würde (Bauer / Fiedler, 2021). Bei den Mitgliederzahlen liegt die – indes immer noch junge – Partei deutlich hinter anderen zurück. Umso mehr muss sie um Aufmerksamkeit kämpfen. Eine besondere Sichtbarkeit hat sie sich im digitalen Raum erarbeitet. Auf Facebook sind es abermals die ostdeutschen Landesverbände, die den Bundestagswahlkampf 2021 geprägt haben (Tagesspiegel, 2021). Eine starke Interaktion mit potenziellen Wählergruppen impliziert dieses Verhalten hingegen nicht unbedingt. So zeigen Auswertungen der politischen Kommunikation auf Twitter, dass auch die AfD den Kurznachrichtendienst fast exklusiv als top-down Kommunikationskanal nutzt; ein Diskurs findet kaum statt (Diermeier et al., 2023). Selbst auf direkte Bürgeranfragen reagieren ihre Parlamentarier weniger häufig als die Parlamentarier anderer Parteien (Diermeier, 2023). Insofern stellt sich die Frage, ob die AfD die von ihr in Anspruch genommene Bürgernähe nur suggeriert.
Um die Präsenz der Parteien vor Ort zu ermessen, wurde die Verfügbarkeit von Wahlkreis-, Abgeordneten- und Bürgerbüros sowie Landes- oder Kreisgeschäftsstellen untersucht. Eine Statistik zur Anzahl und geographischen Verteilung dieser Anlaufstellen existiert jedoch nicht. Laut Auskunft der Pressestelle der AfD-Bundespartei verfügt nicht einmal die Partei selbst über eine entsprechende Datenbasis. Hier wurden daher die Anzahl und Geoinformationen der Anlaufstellen anhand der Google Nearby Search API maschinell ausgelesen. Im Fokus stehen alle Orte, die in Google als „Politische Parteien“ gelabelt sind. Das garantiert keine fehlerlose Treffsicherheit und unterschätzt vermutlich die tatsächliche Anzahl; die stichprobehafte Überprüfung deutet jedoch auf eine valide Approximation der Verteilung der Anlaufstellen hin. Plausibel erscheint zudem, dass Interessierte, die mit der Partei physisch in Kontakt zu treten versuchen, Anlaufstellen im Internet suchen würden. Die weitergehende Klassifikation der aufgefundenen insgesamt 10.102 Anlaufstellen in Deutschland nach Parteiaffiliation erfolgte über stichwortbasierte Positivlisten basierend auf der String-Methode sowie eingelesenen Listen von Bundes- und Landtagsabgeordneten.
Entgegen ihrer Selbstzuschreibung, das Ohr besonders nah am Volk zu haben, bildet die AfD unter den im Bundestag vertretenen Parteien mit 144 Anlaufstellen mit Abstand das Schlusslicht. Für Interessierte ist die Partei damit physisch wesentlich schlechter zu erreichen als ihre Mitbewerberinnen. Dass die AfD eine unterproportionale Anzahl an Parteibüros unterhält, wird besonders im Verhältnis zur Anzahl der Bundestagsabgeordneten deutlich. Die Erwartung, dass eine im Bundestag vertretene Partei – zumal mit dem Selbstbild der AfD – über einen entsprechenden organisatorischen Unterbau verfügt, wird enttäuscht: Auf einen MdB der AfD kommen im Schnitt lediglich 1,7 Anlaufstellen. Bei Bündnis 90/Die Grünen sind es schon 8,1, bei der FDP 9,8, bei der Linkspartei 13,9, bei der SPD 14,9 und in der Spitze bei der Union 15,8 Anlaufstellen. Schon im Vergleich mit der Partei mit den zweitwenigsten Anlaufstellen, der Linkspartei, wird deutlich, wie schwach die organisatorische Verankerung der AfD ist: Sowohl bundesweit wie auch in Ostdeutschland, wo beide Parteien besonders präsent sind, verfügt die AfD über jeweils 3,8 Mal weniger Anlaufstellen – und das bei mehr als doppelt so vielen Sitzen im Bundestag und fünf Mal so vielen Direktmandaten.
Abermals zeigt sich ihr Fokus auf Ostdeutschland, wo sich 38 Prozent der AfD-Büros befinden. Dass der Anteil dort vergleichbar hoch ausfällt wie bei der Linkspartei, verfestigt den Befund, dass es der AfD auch organisational in Ostdeutschland besser gelungen ist, Fuß zu fassen. Schließlich konzentrieren sich die Anlaufstellen nicht allein in Sachsen und Thüringen, wo zusammen 14 der insgesamt 16 der Bundestagsdirektmandate errungen wurden. In diesen beiden Bundesländern befinden sich nicht einmal die Hälfte der Büros. In der Gesamtbetrachtung wird deutlich, wie schwer es der AfD fällt, sich insbesondere im Westen organisatorisch flächendeckend aufzustellen, aber dass die Partei bundesweit deutlich weniger präsent ist als ihre Mitbewerberinnen.
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