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Hubertus Bardt / Michael Grömling IW-Kurzbericht Nr. 91 10. Dezember 2021 Anhaltende Produktionsausfälle durch fehlende Vorleistungen

Die anhaltenden Probleme bei der Beschaffung von Vorleistungen belasten die deutsche Wirtschaft. Drei Viertel der Unternehmen berichten derzeit von Produktionsausfällen von im Durchschnitt 7 Prozent. Erst ab dem zweiten Halbjahr 2022 wird sich die Situation deutlich verbessern. Aber auch im Jahr 2023 rechnet noch knapp die Hälfte der privatwirtschaftlichen Unternehmen mit Ausfällen. Die Lücke infolge fehlender Vorleistungen beläuft sich dann noch auf 3 Prozent.

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Anhaltende Produktionsausfälle durch fehlende Vorleistungen
Hubertus Bardt / Michael Grömling IW-Kurzbericht Nr. 91 10. Dezember 2021

Anhaltende Produktionsausfälle durch fehlende Vorleistungen

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Die anhaltenden Probleme bei der Beschaffung von Vorleistungen belasten die deutsche Wirtschaft. Drei Viertel der Unternehmen berichten derzeit von Produktionsausfällen von im Durchschnitt 7 Prozent. Erst ab dem zweiten Halbjahr 2022 wird sich die Situation deutlich verbessern. Aber auch im Jahr 2023 rechnet noch knapp die Hälfte der privatwirtschaftlichen Unternehmen mit Ausfällen. Die Lücke infolge fehlender Vorleistungen beläuft sich dann noch auf 3 Prozent.

Risiken durch Vorleistungsengpässe

Der Mangel an Vorleistungen hat sich nach dem wirtschaftlichen Tiefpunkt der Corona-Krise im Frühjahr 2020 zu einer wesentlichen Bremse für den Aufschwung entwickelt (Bardt et al., 2021a). Elektronische Bauteile, Baumaterialien, Metalle und Chemikalien – die Liste der Vorprodukte mit Lieferschwierigkeiten ist lang. Teilweise können die notwendigen Teile mit höheren Preisen beschafft und die Produktion kann am Laufen gehalten werden. Teilweise stehen Maschinen und ganze Autofabriken still.

Die Ursachen für diese Situation sind vielfältig:

  • Die überraschend schnelle Erholung der Weltwirtschaft hat zu einem Rückstau geführt. Gleichzeitig müssen sich Zuliefer- und Wertschöpfungsstrukturen nach dem plötzlichen Stillstand von 2020 und dem Stop-and-go im Gefolge der weiteren Infektionswellen neu organisieren.
  • Das weltweit anhaltende Pandemie-Geschehen sorgt – etwa über die Schließung von Häfen – nach wie vor für Störungen im internationalen Warenhandel. Einzelereignisse in der Logistik wie die Sperrung des Suez-Kanals verschärften zwischenzeitlich den Rückstau. Direkte Produktionsausfälle durch die Pandemie kommen hinzu.
  • Ein deutlicher Nachfrageanstieg auf dem Markt für Halbleiter – durch eine coronabedingte Mehrnachfrage etwa nach Laptops und durch technologische Mehrbedarfe für Elektroautos – trifft dort auf hoch ausgelastete und erst mittelfristig erweiterbare Angebotskapazitäten.
  • Temporäre Angebotsausfälle, beispielsweise durch den Brand von Halbleiterfabriken in Asien oder auf dem Holzmarkt nach Waldbränden in den USA, haben die Engpässe zusätzlich verschärft.

Diese Produktionsprobleme bei den Unternehmen führen zu Versorgungsengpässen auf bestimmten Märkten, zu höheren Produktionskosten und teilweise zu höheren Verkaufspreisen. Im Sommer 2021 sah rund die Hälfte der Unternehmen hohe oder mittlere Überwälzungsmöglichkeiten dieser höheren Produktionskosten auf ihre Verkaufspreise (Bardt et al., 2021b). Dies hat auch zur Folge, dass sich zum einen die Nachfrage in diesen Märkten nach den Einschränkungen infolge des Einbruchs vom letzten Jahr nicht vollständig erholen kann. Zum anderen gehen die nicht überwälzbaren Produktionskostenanstiege zulasten der Rentabilität und dies dämpft die Erholung der Investitionen deutlich ab. Seit dem dritten Quartal 2020 war mit Blick auf die Ausrüstungsinvestitionen in Deutschland kein Fortschritt mehr zu beobachten (Bardt et al., 2021a).

Differenzierte Erholungsrhythmen

Die aufgezeigten Ursachen der Engpässe bei den Vorleistungen deuten auf unterschiedliche Zeiträume hin, in denen eine Normalisierung der Produktionsprozesse stattfinden kann. Kurzfristige Vorleistungsausfälle können zumeist zeitnah ausgeglichen werden. Das gilt auch für Einzelereignisse in der Logistik wie Bahnstreiks oder die Suez-Blockade, die gleichwohl in der gegenwärtig angespannten Situation stärker wirken als im Normalfall. Die Nachwirkungen der Corona-Krise aus dem Jahr 2020 in Logistik und Produktion sollten ebenfalls schrittweise zurückgehen. Mit kurz- und mittelfristigen Ausfällen aufgrund von erneuten und unerwartet starken Corona-Ausbrüchen muss gleichwohl weiterhin gerechnet werden.

Bei den Halbleitern ist eine kurzfristige Verbesserung dagegen nicht zu erwarten. Der zusätzliche Nachfrageanstieg konnte nicht durch freie Kapazitäten aufgefangen werden. Auch eine kurzfristige Kapazitätsausweitung ist aufgrund der hohen Kosten und der notwendigen Planungsvorläufe nicht möglich. Eine Entspannung könnte allenfalls über die Nachfrageseite erfolgen: Mehranschaffungen als direkte Folge der Corona-Krise werden nicht erneut vorgenommen. Zudem dämpfen höhere Preise die Nachfrage. Perspektivisch dürften die verfügbaren Chips in wertschöpfungsintensiven Gütern wie Kraftfahrzeugen eingesetzt werden. Hier liegt allerdings mit Blick auf Deutschland und die hohe Bedeutung der Automobilwirtschaft im gesamtwirtschaftlichen Branchengefüge ein großes engpassbedingtes Konjunkturrisiko (Bardt et al., 2021a).

Betroffenheit der Unternehmen

Um die bestehenden und die in naher Zukunft erwarteten Produktionsausfälle in der deutschen Wirtschaft zu vermessen, wurden im Rahmen der IW-Konjunkturumfrage im Herbst über 2.800 Unternehmen nach dem Ausmaß und den Gründen ihrer Produktionsbeeinträchtigungen befragt.

Bezogen auf das vierte Quartal 2021 konstatieren drei Viertel der befragten Unternehmen (auf Basis von ungewichteten Ergebnissen) Produktionsausfälle infolge fehlender Vorleistungen (Abbildung). Davon gehen derzeit 28 Prozentpunkte von einer Größenordnung von bis zu 5 Prozent an Produktionseinschränkungen aus, weitere 24 Prozentpunkte von Einbußen bis zu 10 Prozent. Knapp ein Viertel der Betriebe hat im vierten Quartal dieses Jahres mit großen Problemen zu kämpfen. Dabei schätzen 17 Prozent aller befragten Firmen ihre Produktionsausfälle auf bis zu 20 Prozent und 6 Prozent auf über 20 Prozent. Gut 1 Prozent der Betriebe produziert derzeit weniger als die Hälfte seines Normaloutputs.

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Die IW-Befragung zeigt, dass gestörte Produktionsprozesse die Unternehmen auch im kommenden Jahr belasten werden. Während im Vergleich zum aktuellen Quartal das Belastungsniveau im ersten Halbjahr 2022 sogar leicht zunehmen dürfte, ist in der zweiten Jahreshälfte 2022 eine spürbare Entlastung zu erwarten: Der Anteil der Betriebe ohne Beeinträchtigung steigt zunächst auf knapp 80 Prozent und geht dann auf 70 Prozent zurück. Rund ein Drittel der Betriebe rechnet auch in der zweiten Jahreshälfte 2022 mit Produktionsausfällen in einer Größenordnung von mehr als 5 Prozent – davon rund 3 Prozentpunkte mit Einbußen jenseits von 20 Prozent.

Eine weitgehende mittelfristige Entspannung der Zuliefer- und Produktionsprobleme und der ihr zugrunde liegenden Ursachen erwartet vor dem Hintergrund der aktuellen Informationslage und der damit einhergehenden Verunsicherungen offensichtlich nur gut die Hälfte der befragten Firmen. Gut ein Viertel geht auch für das Jahr 2023 davon aus, dass Produktionsausfälle von bis zu 5 Prozent des Normaloutputs eintreten. Gut 2 Prozent aller Betriebe erwarten sogar einen Ausfall von über 20 Prozent im Jahr 2023.

Ausmaß der Produktionslücken

In der Abbildung sind die Anteile von Unternehmen dargestellt, die am aktuellen Rand und für die nähere Zukunft ein bestimmtes Ausmaß an Produktionseinbußen infolge von gestörten Zulieferketten erwarten. Dabei werden die Unternehmen unabhängig von ihrer Betriebsgröße berücksichtigt. Um eine Größenordnung für die damit einhergehenden gesamtwirtschaftlichen Produktionslücken zu erhalten, muss auf gewichtete Ergebnisse zurückgegriffen werden. Da in der Befragung kleine Unternehmen (weniger als 10 Beschäftigte) nicht berücksichtigt werden, halten sich die Unterschiede zwischen gewichteten und ungewichteten Ergebnissen in engen Grenzen. Zudem muss bei der Schätzung einer gesamtwirtschaftlichen Produktionslücke das Intervall hinsichtlich der Betroffenheit normiert werden. Dazu wurde pragmatisch die Mitte der Intervalle gewählt.

Auf Basis dieser Setzungen und der vom IW befragten Wirtschaftsbereiche ergibt sich für das vierte Quartal eine Produktionslücke in den der Befragung zugrunde liegenden Wirtschaftsbereichen – Industrie, Bauwirtschaft und Teile der privatwirtschaftlichen Dienstleister – in Höhe von 7 Prozent. Gemäß dieser Schätzung gehen die gesamtwirtschaftlichen Produktionsausfälle im ersten Halbjahr 2022 auf nur knapp 7 Prozent zurück und im zweiten Halbjahr 2022 dürften sie sich auf knapp 5 Prozent belaufen.

Die Abbildung zeigte bereits, dass auch im Jahr 2023 die angebotsseitigen Störungen im gegenwärtigen Urteil der Unternehmen nicht behoben sein werden. Die damit einhergehende Produktionslücke dürfte bei 3 Prozent im Vergleich mit einer Geschäftslage ohne Vorleistungs- und Produktionsstörungen liegen. Dabei ist zu bedenken, dass in der IW-Konjunkturumfrage der öffentliche Sektor und Teile der privatwirtschaftlichen Dienstleister (wie das Finanzwesen) nicht berücksichtigt werden. Vielmehr dominieren unternehmensnahe Dienstleister sowie Industrie- und Baufirmen, wo die Produktionsbeeinträchtigungen aufgrund ihrer arbeitsteiligen Produktionsprozesse stärker auftreten.

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