Die Preise stiegen zuletzt langsamer. Derzeit ist die Kaufkraft der Grundsicherung höher als vor vier Jahren. Regelbasiert bliebe die Grundsicherung im Wahljahr 2025 voraussichtlich unverändert. Die Politik sollte dennoch Ruhe bewahren und sich an die selbst gesetzten Regeln halten.
Bürgergeld und Preisentwicklung
Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
Die Preise stiegen zuletzt langsamer. Derzeit ist die Kaufkraft der Grundsicherung höher als vor vier Jahren. Regelbasiert bliebe die Grundsicherung im Wahljahr 2025 voraussichtlich unverändert. Die Politik sollte dennoch Ruhe bewahren und sich an die selbst gesetzten Regeln halten.
Regelbedarf, Inflation und Lohnabstand
Die finanziellen Leistungen des Bürgergeldes bestehen im Wesentlichen aus dem Regelbedarf und den Kosten der Unterkunft, die sich wiederum aus Bruttokaltmiete und Heizkosten zusammensetzen. Hinzu kommen gegebenenfalls Leistungen für „Bildung und Teilhabe“ für Kinder und Jugendliche – zum Beispiel die Kosten für Klassenfahrten – sowie Mehrbedarfe, etwa für Schwangere, Alleinerziehende, Menschen mit Behinderung oder chronisch Kranke. Die Kosten der Unterkunft werden – soweit sie sich nach Ablauf einer Karenzzeit von einem Jahr im Rahmen der kommunal festgelegten Angemessenheit bewegen – in der jeweils anfallenden Höhe übernommen. Der Regelsatz deckt die übrigen Ausgaben ab, die das sozio-kulturelle Existenzminimum bilden. Er muss regelmäßig mit einem gesetzlich festgelegten Verfahren an die Preis- und Lohnentwicklung angepasst werden (Kasten). Damit soll unter anderem sichergestellt werden, dass der als Minimum definierte Warenkorb auch gekauft werden kann.
Anpassungen des Regelsatzes, aber auch Anpassungen der Kosten der Unterkunft – etwa im Zuge steigender Heizkosten – führen regelmäßig zu Diskussionen darüber, ob der Lohnabstand zu den Einkommen aus Erwerbstätigkeit noch gewahrt ist. Dieser Lohnabstand wird dabei oft definiert als Differenz zwischen der Bürgergeld-Gesamtleistung und dem Nettoerwerbseinkommen, gegebenenfalls zuzüglich des Kindergeldes. Der Vergleich ist zwar hypothetisch, weil dabei von der Möglichkeit abstrahiert wird, Erwerbseinkommen und Transferleistungen zu kombinieren (Blömer et al., 2024). Dennoch ist die Höhe des Bürgergeldes in Relation zur Preisentwicklung und zu den Löhnen ein wichtiger Faktor für die gesellschaftliche Akzeptanz der Grundsicherung. Der Abstand der Grundsicherung zum Mindestlohn in Deutschland wuchs deutlich mit dessen Anhebung auf 12 Euro im Oktober 2022. Mit der Anhebung des Bürgergeldes zum 1. Januar 2024 relativierte sich dieser Lohnabstand und lag geringfügig über dem des Jahres 2020 (Abbildung).
Kaufkraft vom Regelbedarf gestiegen
Der Begriff Kaufkraft beschreibt, wie viele Geldeinheiten nötig sind, um einen bestimmten Warenkorb zu kaufen. Der Verbraucherpreisindex (VPI) beschreibt die Preisentwicklung eines allgemeinen Warenkorbes. Für den Regelbedarf Alleinstehender ist ein spezieller Warenkorb mit ausgewählten Komponenten definiert. Dieser bestimmt den regelbedarfsrelevanten Preisindex (RPI). Wenn der RPI schneller wächst als das Bürgergeld, dann sinkt die Kaufkraft des Regelsatzes und umgekehrt. Die Abbildung zeigt, dass die Kaufkraft des Regelsatzes schwankte, weil er jeweils zu Jahresbeginn erhöht wurde und die Preise sich auch unterjährig änderten. So war die Kaufkraft der Grundsicherung zum Jahresende 2020 höher als zu Beginn, weil der RPI ab der Jahresmitte sank. Seit dem Sommer 2021 ist eine Preisentwicklung mit Preisveränderungen deutlich über zwei Prozent zu beobachten, was sich zuerst im VPI zeigte und verzögert auf den RPI durchschlug. Im Dezember 2021 überholte der RPI die Entwicklung des Regelsatzes. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass von Juli 2020 bis November 2021 die Kaufkraft der Grundsicherung höher war als im Januar 2020.
Im Nachgang zur russischen Invasion der Ukraine 2022 beschleunigte sich die Preisentwicklung nochmals. Ab Oktober 2022 nahm der RPI stärker zu als der VPI. Im Zuge der Bürgergeldeinführung im Jahr 2023 wurde angesichts der hohen Inflation 2022 der Anpassungsmechanismus umgestellt. Dies konnte teilweise die Kaufkraftverluste im Vergleich zum Januar 2020 wettmachen. Seit April 2023 verlangsamte sich der RPI wieder. Die Kaufkraft des Bürgergeldes im Jahr 2024 liegt unter pessimistischer Annahme einer Preisentwicklung von 5 Prozent im Jahresvergleich voraussichtlich selbst zum Jahresende deutlich über dem Niveau des Januars 2020.
Anpassungsmechanismus reagiert träge
Mit der Änderung des Anpassungsmechanismus will die Bundesregierung die Bürgergeldempfänger vor den Folgen hoher Inflationsraten schützen. Für dieses Motiv spricht, dass gerade Transferempfängern meist die finanziellen Reserven fehlen, Preisschübe aufzufangen. Mit dem modifizierten Verfahren der Anpassung (Kasten) liegt der neue Regelsatz in Höhe der erwarteten Preissteigerung über dem nach der früheren Berechnungsmethode. Um die Entwicklung des RPI im Folgejahr zu schätzen, wird die Preiserhöhung im zweiten Quartal des aktuellen Jahres gegenüber dem Vorjahresquartal als Näherungswert herangezogen. Dadurch reagiert das Anpassungssystem träge auf kurzfristige Preisänderungen. Wäre die Neureglung schon 2022 in Kraft getreten, hätte sich in jenem Jahr nur ein Aufschlag von 0,5 Prozent gegenüber der alten Regelung ergeben. Umgekehrt ist die Situation in diesem Jahr. Denn im Frühling 2023 lag die Preissteigerung gegenüber dem Vorjahr noch bei knapp 10 Prozent.
Dies führt nicht nur zu einem deutlichen Überschießen gegenüber der Preisentwicklung seit 2020, sondern auch dazu, dass es im Jahr 2025 vermutlich keine Erhöhung des Regelsatzes geben wird. Selbst bei dem hier projizierten hohen monatlichen Anstieg des RPI von 0,4 Prozent – das entspricht 5 Prozent auf Jahresbasis – und einer Lohnentwicklung wie in den letzten Quartalen des Jahres 2023 würde die neue Basisfortschreibung und die neue ergänzende Fortschreibung zusammen genommen deutlich unter 10 Prozent bleiben.
Damit liefe die Regierung Gefahr, in einem Wahljahr die genau umgekehrte Diskussion wie heute auszulösen. Der politische Druck, entgegen dem Anpassungsmechanismus den Regelsatz doch anzuheben, könnte zu Aktionismus führen. Stattdessen sollte die Politik die Ergebnisse der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe abwarten, auf dessen Grundlage Regelbedarfe bestimmen und den Fortschreibungsmechanismus so umgestalten, dass sich die Reaktionszeit auf Preisschübe verringert.
Die Höhe des Regelsatzes errechnet sich aus den Konsumausgaben der 15 Prozent (Einpersonenhaushalte) bzw. 20 Prozent (Familienhaushalte) aller Haushalte mit den geringsten Einkommen, wobei Haushalte mit Grundsicherungsempfängern nicht berücksichtigt werden. Güter, die nicht zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums notwendig sind – unter anderem alkoholische Getränke, Tabak oder Glücksspiele (Deutscher Bundestag, 2020) – werden dabei herausgerechnet. Datenbasis ist die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS), für die in einem Fünfjahresrhythmus rund 60.000 Haushalte befragt werden. Zuletzt wurde 2021 der Regelsatz aufgrund der EVS bestimmt. Die folgende EVS fand 2023 statt, deren Aufbereitung und Auswertung dauert aber so lange, dass Ergebnisse voraussichtlich erst in die Regelsatzneubestimmung zum 1. Januar 2026 einfließen werden.
Zwischen den Neuberechnungen des Regelsatzes auf Basis der EVS erfolgt eine Anpassung auf Basis des sogenannten Mischindex, der sich zu 70 Prozent aus der Preisentwicklung regelsatzrelevanter Waren und Dienstleistungen (RPI) sowie zu 30 Prozent aus der Entwicklung der Nettolöhne und -gehälter zusammensetzt. Daten aus diesem Index liegen meist im August vor und werden für die Regelsatzanpassung zum Jahresbeginn genutzt. Das bedeutete bis zur Einführung des Bürgergeldes, dass Preiserhöhungen, die innerhalb eines Jahres erfolgten, erst im Nachgang zum neuen Jahr durch die Regelsatzanpassung ausgeglichen wurden.
Da im Jahr 2022 eine Phase mit ungewöhnlich stark steigender Preisentwicklung einsetzte, hat der Gesetzgeber die Regelsatzanpassung mit der Einführung des Bürgergeldes zum Jahresbeginn 2023 neu gefasst. Ziel war es, in Zeiten stark steigender Preise über Einmalzahlungen hinaus eine schnellere Anpassung des Regelsatzes zu ermöglichen (Deutscher Bundestag, 2022). Die Anpassung besteht seither aus zwei Stufen. In der ersten Stufe („Basisfortschreibung“) erfolgt die Anpassung mit dem Mischindex, der die Veränderung vom Jahreszeitraum zwischen dem 1. Juli des Vorvorjahres und dem 30. Juni des Vorjahres mit dem davorliegenden Zwölfmonatsabschnitt vergleicht. In der zweiten Stufe („ergänzende Fortschreibung“) werden die Ergebnisse der Basisfortschreibung mit der Veränderung des RPI im zweiten Quartal des Vorjahres zum zweiten Quartal des Vorvorjahres fortgeschrieben. (Deutscher Bundestag, 2023).
Der neue Anpassungsmechanismus führte zu einer außergewöhnlich starken Regelsatzanpassung zum 1. Januar 2024 um gut 12 Prozent, da sowohl die Preis- und Lohnsteigerungen aus dem Jahr 2023 als auch die noch zu erwartenden Preissteigerungen aus dem Jahr 2024 gleichzeitig berücksichtigt wurden. Die Fortschreibung im Jahr 2025 erfolgt nicht auf Basis des 2024 angepassten Regelsatzes, sondern auf der Basisfortschreibung des Vorjahres. Damit sollte eine aufgrund sinkender Inflationsraten zu hohe ergänzende Fortschreibung des Vorjahres wieder ausgeglichen werden.
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