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Anika Jansen / Helen Hickmann / Dirk Werner IW-Kurzbericht Nr. 41 26. April 2022 Steigendes Ausbildungsangebot in Berufen mit langjährigem Fachkräftemangel

In vielen Berufen gibt es seit Jahren starken Fachkräftemangel. Der Königsweg zur Fachkräftesicherung ist immer noch die duale Ausbildung. Doch in den letzten Jahren sanken sowohl das Angebot an als auch die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen. Ist der Fachkräftemangel also hausgemacht? Bei genauem Hinsehen zeigt sich, dass in Berufen mit starkem Fachkräftemangel das Angebot sogar gestiegen ist und zudem noch ungenutzte Potenziale bestehen.

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Steigendes Ausbildungsangebot in Berufen mit langjährigem Fachkräftemangel
Anika Jansen / Helen Hickmann / Dirk Werner IW-Kurzbericht Nr. 41 26. April 2022

Steigendes Ausbildungsangebot in Berufen mit langjährigem Fachkräftemangel

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

In vielen Berufen gibt es seit Jahren starken Fachkräftemangel. Der Königsweg zur Fachkräftesicherung ist immer noch die duale Ausbildung. Doch in den letzten Jahren sanken sowohl das Angebot an als auch die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen. Ist der Fachkräftemangel also hausgemacht? Bei genauem Hinsehen zeigt sich, dass in Berufen mit starkem Fachkräftemangel das Angebot sogar gestiegen ist und zudem noch ungenutzte Potenziale bestehen.

Die Fachkräfteengpässe auf dem Arbeitsmarkt sind in den letzten Jahren weiter gestiegen. In immer mehr Berufen können nicht alle offenen Stellen besetzt werden. Während beispielsweise im Verkauf von Fleisch- oder Backwaren im Jahr 2013 noch keine Engpässe herrschten, gibt es dort mittlerweile eine deutliche Fachkräftelücke. In anderen Berufen, wie der Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik oder der Bauelektrik, besteht seit über zehn Jahren kontinuierlich ein starker Fachkräftemangel.

Es werden verschiedene Wege diskutiert, um die Fachkräfteengpässe zu senken. In den vergangenen Jahren konnte die Erwerbsbeteiligung von Älteren und Frauen deutlich gesteigert werden (Destatis, 2022a; Koneberg/Jansen, 2021). Die Nettozuwanderung hingegen ist im Zuge der Corona-Pandemie im Jahr 2020 vorübergehend deutlich gesunken (Destatis, 2022b). Ein wesentlicher Bereich der Fachkräftesicherung ist in Deutschland die duale Ausbildung, in der die relevanten beruflichen Kompetenzen aktuell vermittelt werden. Hier gehen allerdings seit Jahren sowohl das Angebot an als auch die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen zurück. Hinzu kommt, dass der demografische Wandel sich immer stärker auswirkt, weil die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen und dadurch der Fachkräftebedarf zusätzlich steigt (Koneberg/Jansen, 2021). Daher gilt es, das vorhandene Ausbildungspotenzial umfassend auszuschöpfen und möglichst noch zu steigern.

Für den Ausbildungsmarkt wird dabei das Matching zunehmend zum Problem (Jansen/Hickmann, 2021). Die Herausforderung ist, Angebot und Nachfrage zusammenzuführen. Es gibt in vielen Berufen und Regionen unbesetzte Ausbildungsplätze, während es in anderen Berufen und Regionen unversorgte Bewerberinnen und Bewerber gibt. Doch während sich die Betriebe nur bedingt aussuchen können, in welchem Beruf sie einen Ausbildungsplatz anbieten, können Jugendliche hier durchaus flexibler agieren. Betriebe bieten vor allem in denjenigen Berufen Ausbildungsplätze an, in denen sie auf dem Arbeitsmarkt Fachkräfte benötigen. Diese Bedarfsorientierung ist ein zentraler Vorteil des dualen Ausbildungssystems, da dort qualifiziert wird, wo Beschäftigungs- und Karriereperspektiven bestehen, die sich nach der Ausbildung über Fort- und Weiterbildungsangebote fortsetzen.

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Insgesamt ist das Ausbildungsangebot seit 2013 gesunken, wo es noch bei gut 564.000 Ausbildungsstellen lag. Nach einem leichten Rückgang im Jahr 2014 stieg es dann bis 2018 auf etwa 589.000. Im Zuge der Corona-Pandemie erreichte das Ausbildungsangebot mit 527.000 einen Tiefststand. Im Jahr 2021 stieg es wieder leicht an und lag zuletzt bei 536.000.

Der Ausbildungsmarkt entwickelt sich zwischen den Regionen und Berufen sehr unterschiedlich. In diesem Kurzbericht wird der Fokus auf die berufsstrukturellen Unterschiede mit Bedeutung für Fachkräfteengpässe gelegt. Hier zeigt sich, dass Unternehmen intensiv auf den Fachkräftemangel reagieren, in dem sie das entsprechende Ausbildungsangebot ausweiten: In Berufen, in denen bereits seit vielen Jahren Engpässe herrschen, stieg das Angebot seit 2013 deutlich an. Vergleicht man den Wert am aktuellen Rand zum 30.09.2021 mit dem Ausgangswert von 2013, dann zeigt sich, dass das Ausbildungsangebot in Berufen mit langjährigem Fachkräftemangel um 15,7 Prozent gestiegen ist. In Berufen, die in diesem Zeitraum keine Fachkräfteengpässe verzeichneten, sank es hingegen um 15,1 Prozent. Bei Berufen, die nur teilweise von Fachkräfteengpässen betroffen waren, sank das Angebot leicht um 3,8 Prozent.

Bei Berufen mit anhaltenden Engpässen ist das Ausbildungsangebot fast kontinuierlich gestiegen. Erst die Corona-Pandemie im Jahr 2020 führte zu einem vorübergehenden Rückgang. Aber selbst im ersten Pandemie-Jahr fiel der Rückgang in Berufen, welche durchgehend Engpässe aufwiesen, mit nur 6,8 Prozent vergleichsweise niedrig aus. In Berufen, die seit 2013 keine Engpässe aufwiesen, belief sich dieser pandemiebedingte Rückgang hingegen auf 10,3 Prozent. Diese strukturellen Unterschiede zeigen, dass Unternehmen intensiv auf den Fachkräftemangel reagieren und dass damit ein Strukturwandel in der Ausbildung einhergeht. Dieser könnte noch stärker ausfallen, wenn das Matching von Angebot und Nachfrage noch besser ausgeglichen werden könnte.

Das Ausbildungsangebot setzt sich aus den neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen sowie den unbesetzten, bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) gemeldeten Ausbildungsstellen jeweils zum Stichtag 30.09. eines Jahres, zusammen. Während die Entwicklung der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge, welche den deutlich größeren Teil des Angebots ausmachen, dem zuvor beschriebenen Muster folgt, sind die unbesetzten gemeldeten Ausbildungsstellen von 2013 bis 2018 kontinuierlich gestiegen. Diese Zahl sank leicht im Jahr 2019, stieg dann aber während der Corona-Pandemie wieder weiter an und lag 2021 bei gut 63.000 unbesetzten Ausbildungsstellen, was knapp zwölf Prozent des Ausbildungsangebots entspricht. Werden auch diejenigen Stellen betrachtet, die aus vielfältigen Gründen nicht bei den Arbeitsagenturen gemeldet werden, liegt dieser Anteil deutlich höher bei knapp 40 Prozent (Bellmann et. al, 2022).

Am höchsten lag der Anteil unbesetzter Ausbildungsstellen beim in dem Engpassberuf Verkauf von Fleischwaren (60,4 Prozent), hier war die Zahl unbesetzter Ausbildungsstellen sogar größer als die Zahl abgeschlossener Ausbildungsverträge. Ebenfalls einen hohen Anteil unbesetzter Ausbildungsstellen verzeichneten beispielsweise die Engpassberufe Klempner (38,9 Prozent), Fachkraft im Gastronomieservice (37,5 Prozent) oder die Beton- und Stahlbetonbauer (33,8 Prozent). Hier taten sich Unternehmen also besonders schwer, ihre Ausbildungsstellen zu besetzen.

Damit besteht in Berufen mit Fachkräftemangel noch ein erhebliches Potenzial unbesetzter Ausbildungsplätze. Hier kommt hinzu, dass Berufe, in denen es starke Engpässe auf dem Arbeitsmarkt gibt, kontinuierlich einen geringeren Anteil unversorgter Bewerberinnen und Bewerber am Angebot verzeichnen als andere. Während der Anteil unversorgter Bewerberinnen und Bewerber (mit und ohne Alternative, wie z.B. ein Schulbesuch) in Berufen, die nie Engpässe aufwiesen, seit 2013 immer über 15 Prozent lag (Jahr 2021: 15,0 Prozent), betrug dieser Anteil in Berufen, die immer Engpässe aufwiesen, immer unter zehn Prozent (Jahr 2021: 9,0 Prozent). Hier haben Bewerberinnen und Bewerber dementsprechend eine größere Chance auf einen Ausbildungsplatz. Jugendliche sollten sich bei der Wahl einer beruflichen Ausbildung somit noch mehr am Bedarf des Arbeitsmarktes orientieren, weil sie dann sowohl bessere Chancen auf einen Ausbildungsplatz haben - aufgrund eines geringen Anteils unversorgter Bewerberinnen und Bewerber in Engpassberufen - als auch später auf eine Anstellung. Viele Berufe mit Fachkräfteengpässen bieten außerdem später gute Verdienstmöglichkeiten, beispielsweise in der technischen Produktionsplanung und -steuerung, der elektrischen Betriebstechnik oder der Automatisierungstechnik. Die Hälfte der 20 Fachkraftberufe mit den höchsten Gehältern bei unter-30-jährigen zählt zu den Metall- und Elektroberufen (Hickmann/Schüler, 2021). In vielen Ausbildungsberufen, die einen hohen Anteil an unversorgten Bewerberinnen und Bewerber aufweisen, liegt das spätere Entgelt hingegen deutlich unter dem Durchschnitt. Beim Matching kommt es damit darauf an, die noch vorhandenen Potenziale bei den Jugendlichen zu heben, da es in einigen Berufen und Regionen einen hohen Anteil unversorgter Bewerberinnen und Bewerber gibt. Dafür sollte zum einen in der Berufsorientierung besonders auf Berufe mit hohem Fachkräftemangel aufmerksam gemacht werden, wenn diese nah an den Neigungen und Interessen der Jugendlichen liegen. Zum anderen kann eine noch intensivere Förderung der Mobilität, der persönlichen Betreuung auch in der Freizeit, bis hin zu Angeboten des Jugendwohnens helfen.

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