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Ralph Henger / Judith Niehues / Maximilian Stockhausen IW-Kurzbericht Nr. 77 28. September 2022 Umfassende Wohngeldreform 2023

Zum dritten Entlastungspaket der Bundesregierung gehört eine umfassende Wohngeldreform. Nach Berechnungen des IW-Mikrosimulationsmodells werden sich die Anzahl der Wohngeldhaushalte und -ausgaben mehr als verdreifachen.

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Umfassende Wohngeldreform 2023
Ralph Henger / Judith Niehues / Maximilian Stockhausen IW-Kurzbericht Nr. 77 28. September 2022

Umfassende Wohngeldreform 2023

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Zum dritten Entlastungspaket der Bundesregierung gehört eine umfassende Wohngeldreform. Nach Berechnungen des IW-Mikrosimulationsmodells werden sich die Anzahl der Wohngeldhaushalte und -ausgaben mehr als verdreifachen.

Zu den drei wesentlichen Reformbausteinen zählen die dauerhafte Einführung einer Heizkostenkomponente, die Anhebung der Einkommensgrenzen sowie die Anhebung der Miethöchstbeträge durch eine Klimakomponente. Die Reform bietet eine zielgerichtete Entlastung für viele einkommensschwache Haushalte, bei der gleichzeitig die Anreize zum Energiesparen erhalten bleiben.

Wohngeld erhalten Haushalte mit niedrigen Einkommen und es kann von Familien zusammen mit dem Kinderzuschlag (KIZ) in Anspruch genommen werden. Es fungiert als „Netz vor dem Netz“, mit dem der Bezug von Grundsicherungsleistungen vermieden werden soll. Wohngeld richtet sich an Haushalte mit geringen Erwerbseinkommen, kleinen Altersrenten oder an Bezieher von Arbeitslosengeld I, die ihren Lebensunterhalt im Wesentlichen aus eigenen Mitteln bestreiten können und allein aufgrund der Wohnkosten in den Grundsicherungsbezug rutschen würden. Die Wohngeldleistung ist dabei nicht auf Miethaushalte beschränkt, sondern steht auch Selbstnutzern offen. Während bei Mietern die Bruttokaltmiete bezuschusst wird (Mietzuschuss), sind es bei Selbstnutzern die Ausgaben für Zins und Tilgung für den Immobilienkredit sowie die meisten Bewirtschaftungskosten (Lastenzuschuss).

Die Höhe des Wohngeldes richtet sich nach der Haushaltsgröße, den Wohnkosten und dem Einkommen (§ 4 Wohngeldgesetz – WoGG). Es steigt mit den Wohnkosten an und sinkt mit dem anrechenbaren Einkommen. Das Wohngeld berücksichtigt regionale Mietunterschiede durch die so genannten Höchstbeträge, die je nach Zugehörigkeit einer Kommune zu den seit 2020 sieben Mietenstufen unterschiedlich hoch sind. Die Zugehörigkeit einer Gemeinde oder eines Landkreises zu einer Mietenstufe richtet sich nach dem örtlichen Mietenniveau. Übersteigt die tatsächliche Miete oder Belastung den Höchstbetrag, dann wird nur der Höchstbetrag zur Berechnung des Wohngeldes herangezogen. Das bedeutet, dass das Wohngeld mit zunehmender Miete so lange steigt, bis der Höchstbetrag erreicht ist.

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Gegenüber der Grundsicherung führt das Wohngeld seit der Einführung von Hartz IV im Jahr 2005 ein Nischendasein. Ende 2020 bezogen 618.000 Haushalte Wohngeld. Das entspricht rund 1,5 Prozent aller Haushalte in Deutschland. Leistungen nach SGB II (Arbeitslosengeld II) und SGB XII (Sozialhilfe) erhielten 8,3 Prozent (Stand Ende 2020, 6,9 Mio. Personen, Statistisches Bundesamt, 2022). Die Leistungen des Wohngeldes wurden seit 2005 im Rahmen verschiedener Reformen angepasst. 2009 wurde das Wohngeld gestärkt und eine Heizkostenkomponente eingeführt, die jedoch bereits nach zwei Jahren wieder abgeschafft wurde. 2016 und 2020 erfolgten eine Anpassung an die Verbraucherpreis- und Mietentwicklung und zudem kleinere reale Leistungsverbesserungen. Mit der 2020 im Gesetz verankerten alle zwei Jahre stattfindenden „Dynamisierung“ fand eine Anhebung der Leistungen und Höchstbeträge zum 1.1.2022 statt. Darüber hinaus erhalten die Wohngeldhaushalte seit dem 1.1.2021 eine sogenannte CO2-Entlastungskomponente (§ 12 Abs. 6 WoGG) als Ausgleich für die 2021 gestartete CO2-Bepreisung des Wärmesektors. Die Entlastung ist gestaffelt nach Haushaltsgröße und beläuft sich auf monatlich 30 Cent/m2 Richtwohnfläche.

Bestandteile der Reform 2023

Mit der Reform zum 1.1.2023 werden vorhandene Bestandteile des Wohngeldes gestärkt sowie neue Bestandteile eingeführt (BMWSB, 2023):

1.) Die stärkste Wirkung auf die Leistungsansprüche sowie die Reichweite des Wohngeldes entfaltet die Einführung einer dauerhaften Heizkostenkomponente in Höhe von 2 €/m². Zusammen mit der CO2-Entlastungskomponente werden nun 2,30 €/m² pauschal für alle Wohngeldhaushalte als Heizkosten angesetzt. Entsprechend seiner Richtwohnfläche von 48 m² fließen bei einem 1-Personen-Haushalt beim Wohngeld somit jährlich 1.325 € als Heizkosten in die Berechnung des Wohngeldanspruchs ein (monatlich 110,40 €). Nach dem Zuschussprinzip des Wohngeldes wird immer nur ein Teil dieser anerkannten Kosten bezuschusst. Ein Haushalt mit 1.000 € wohngeldrechtlichem (Netto-)Einkommen und einer Bruttokaltmiete von 500 € erhielte dadurch nach bisherigem Wohngeldrecht allein durch die Einführung der Heizkostenkomponente 576 € mehr im Jahr (monatlich 127 € statt 79 € Wohngeld).

2.) Den Zusammenhang zwischen Wohngeldanspruch, Wohnkosten und Einkommen beschreibt die Wohngeldformel (§ 19 WoGG). Die Parameter dieser Formel werden angepasst, sodass sich die Leistungen erhöhen werden und die Zahl der Anspruchsberechtigten ansteigt. Durch die Leistungsausweitung erhöhen sich die Maximaleinkommen, bis zu denen ein Wohngeldanspruch möglich ist, deutlich (Abbildung). Bei aktuellem Recht kann ein 1-Personen-Haushalt mit einer Miete in Höhe des Höchstbetrags in Mietenstufe VII (651 € z. B. in München) bis zu einem wohngeldrechtlichen Einkommen von 1.188 € Wohngeld beziehen. Zukünftig wird dieses auf 1.541 € ansteigen. Das wohngeldrechtliche Einkommen entspricht bei erwerbstätigen Haushalten dem Bruttoeinkommen nach Pauschalabzügen für Steuern und Sozialversicherungsbeiträge. Die Bruttobeträge der Maximaleinkommen für einen 1-Personen-Haushalt erhöhen sich von 1.797 € auf 2.301 €.

3.) Der dritte Reformbaustein betrifft die Höchstbeträge, die durch eine so genannte Klimakomponente angehoben werden (Neitzel et al., 2017). Da bislang noch kein rechtsicherer Nachweis für die Einteilung in Energieeffizienzklassen für Gebäude besteht, werden die Höchstbeträge in allen Mietenstufen um 40 Cent/m2 Richtwohnfläche erhöht. Aktuell liegen die Höchstbeträge für einen 1-Personen-Haushalt zwischen 7,23 €/m² (Mietenstufe I) und 13,56 €/m² (Mietenstufe VII). Ab nächstem Jahr steigt der Höchstbetrag damit beispielsweise in Mietenstufe V (z. B. Bonn) von 540 auf 559 €.

Reformwirkungen

Durch die Reform steigt das Wohngeld für die bestehenden Empfängerhaushalte: Für reine Wohngeldhaushalte, die bereits vor der Reform wohngeldberechtigt waren, wird sich das Wohngeld im Jahr 2023 um durchschnittlich 190 € auf 370 € je Monat ungefähr verdoppeln. Die Wirkungen sind dabei je nach Haushaltsgröße sehr unterschiedlich.  Gleichzeitig weitet sich auch der Empfängerkreis aus. Durch die Reform wird die Anzahl der Wohngeldhaushalte um 1,4 Mio. Haushalte auf 2 Mio. Haushalte steigen. Die Wohngeldausgaben für Bund und Länder werden auf vorrausichtlich 5,2 Mrd. € zulegen. Die Haushalte, die vom oberen Einkommensrand neu ins Wohngeld „hereinwachsen“, erhalten aufgrund des relativ hohen Einkommens mit durchschnittlich rund 100 € geringere Wohngeldbeträge. Insgesamt erhält ein reiner Wohngeldhaushalt im Jahr 2023 ein durchschnittliches Wohngeld in Höhe von 210 €.

Bewertung

Die Reform wird das Wohngeldsystem nachhaltig stärken. Durch die Anhebung der Einkommensgrenzen reicht das Wohngeld dann deutlich in die untere Mittelschicht hinein (Personen zwischen 60 und 80 % des Medianeinkommens). Dies ermöglicht eine zielgenaue Unterstützung einkommensschwacher Haushalt in Zeiten hoher Inflation und steigender Energiekosten. Die Einführung der Heizkostenkomponente gleicht zudem den Systemnachteil des Wohngeldes gegenüber der Grundsicherung aus, welche die Heizkosten mitberücksichtigt. Dieser Schritt war seit Jahren überfällig, da hierdurch mehr Haushalte, die nur wegen ihrer Wohn- und Heizkosten auf aufstockende Grundsicherungsleistungen angewiesen sind, in das Wohngeldsystem integriert werden können (Henger et al., 2022). Aufgrund der schlanken Verwaltung des Wohngeldes hat das sowohl Vorteile für den Staat als auch für die Antragsteller. Zudem erhöht die dauerhafte Heizkostenkomponente auch die Leistungen am oberen Einkommensrand. Wichtig ist, dass die Heizkostenkomponente nicht wieder abgeschafft wird, wenn die Energiepreise zurückgehen. Die pauschale Bezuschussung der Heizkosten hat zudem den Vorteil, dass die Anreize zum Energiesparen erhalten bleiben. Durch die spezifische Anpassung der Wohngeldformel verbessern sich auch die Arbeitsanreize für die Wohngeldempfänger (Henger/Niehues, 2019). Im Zuge der Reform werden ebenso die Anreize erhöht, bei den Wohnkosten zu sparen. Aus sozialpolitischer Sicht ist zu begrüßen, dass die maximale Wohnkostenbelastung auf nun durchschnittlich maximal 40 Prozent des Nettoeinkommens abgesenkt wird.

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