Seit 2014 hat Deutschland an Wettbewerbsfähigkeit verloren und ist im IMD World Competitiveness Ranking von Platz sechs auf Platz 22 gerutscht. Auch China und die USA dienen nur begrenzt als Vorbilder für Wettbewerbsfähigkeit.
Standortwettbewerb im Wandel
Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
Seit 2014 hat Deutschland an Wettbewerbsfähigkeit verloren und ist im IMD World Competitiveness Ranking von Platz sechs auf Platz 22 gerutscht. Auch China und die USA dienen nur begrenzt als Vorbilder für Wettbewerbsfähigkeit.
Betrachtet man eine sichere Stromversorgung als Standortindikator, zeigen die USA im Vergleich zu anderen Industriestaaten erhebliche Schwächen. Beim Dreiklang aus Marktwirtschaft, Demokratie und Zivilgesellschaft als Standortindikator fällt China weit zurück, während Deutschland und andere europäische Staat die Top 10 dominieren.
Die vielschichtigen Anforderungen der angestrebten Dekarbonisierung, der Fachkräftemangel, die schleppende Digitalisierung und hohe Energiepreise stellen viele Volkswirtschaften vor enorme Herausforderungen. Vor diesem Hintergrund drängt sich die Frage auf, welche Länder Vorbilder im Standortwettbewerb sind und welchen Standortfaktoren wohlmöglich eine zu geringe Aufmerksamkeit geschenkt wird?
Historisch gab es verschiedene Vorbilder für Wettbewerbsfähigkeit. Lange Zeit galt etwa die Schweiz mit ihrer Banken- und Finanzindustrie als Vorbild. Im 20. Jahrhundert wurden dann die USA und Kanada aufgrund ihrer starken industriellen Basis und Innovationsfähigkeit Vorbilder für Wettbewerbsfähigkeit. Japan und Deutschland erlebten nach dem Zweiten Weltkrieg dank ihrer hohen Produktionsleistung, Qualitätsstandards und Exportfähigkeiten einen raschen wirtschaftlicher (Wieder-)Aufschwung und wurden viele Jahre als Wettbewerbschampions betrachtet. Auch Schweden galt durch seine erstklassige Bildung und den sozialen Wohlfahrtsstaat als wettbewerbsstark. Ebenso beeindruckten Singapur und Südkorea durch ihren schnellen Aufstieg im Bereich Finanzen bzw. Elektronik. In ähnlicher Weise konnte China seit den 1970er durch Investitionen in Infrastruktur und Bildung und einen starken Exportsektor einen wirtschaftlichen Wandel vollziehen.
Heute existieren Wettbewerbsvorbilder nicht mehr in diesem Maße. Die beiden größten Volkswirtschaften und Protagonisten des Systemkonflikts, China und die USA, erscheinen als vielversprechende Kandidaten. Schaut man sich allerdings die Wettbewerbsfähigkeit das IMD World Competitiveness Ranking (WCR) für das Jahr 2023 mit seinen vier Unterkategorien – staatliche und unternehmerische Effizienz, Infrastruktur und Wirtschaftsleistung – sowie die zusätzlichen Indikatoren zur Digitalisierung (World Digital Competitiveness Index), Attraktivität für ausländische Fachkräfte (Global Talent Competitiveness Index) und zur ökologischen Nachhaltigkeit (Green Future Index) an, wird deutlich: Die USA und China sind keine Vorbilder. Die USA erzielen in zwei von vier Unterkategorien des WCR Top-10-Platzierungen und stehen im Gesamtranking nur auf Platz 9. Die USA sind zwar sehr attraktiv für ausländische Fachkräfte und schaffen eine sehr gute Platzierung im Digitalisierungsranking, in Bezug auf eine nachhaltige Zukunft schneiden sie allerdings schlecht ab. China erreicht sogar nur in einer von vier Unterkategorien des WCR eine Top-10-Platzierung und steht im Gesamtranking nur auf Platz 21. Schlecht sind die Platzierungen bei der Attraktivität für ausländische Fachkräfte, in Bezug auf eine grüne Zukunft und den Stand der Digitalisierung.
Bei der Betrachtung der genannten Indizes stechen Singapur, die Schweiz, Dänemark und Irland hervor. Singapur erzielt in allen vier Unterkategorien des WCR einen der ersten zehn Plätze. Auch bei der Attraktivität für ausländische Fachkräfte und im Digitalisierungsranking kann das Land punkten. Allerdings schneidet Singapur mit Blick auf seine Nachhaltigkeitsbemühungen schlecht ab und ist aufgrund seines Stadtstaat-Charakters mit einer umfassend deregulierten Wirtschaft nicht mit anderen Ländern vergleichbar. Die Schweiz, Dänemark und Irland schaffen es in drei von vier Unterkategorien des WCR in die Top 10. Die Schweiz und Dänemark sind sehr attraktiv für ausländische Fachkräfte. Die Schweiz punktet außerdem bei der Digitalisierung. Während Dänemark sehr gut im Hinblick auf eine nachhaltige Zukunft dasteht, schneiden beide Länder bei der wirtschaftlichen Performance nur mittelmäßig ab. Irland steht aufgrund seines Steuersystems, das die Wirtschaftsindikatoren durch Kapitalbewegungen globaler Konzerne verzerrt in der Kritik, sodass die Ergebnisse hier mit Vorsicht zu betrachten sind. Deutschland schafft es in keiner der vier Unterkategorien des WCR in die Top 10, ist für ausländische Fachkräfte nur mäßig attraktiv und schneidet beim Digitalisierungsranking schlecht ab. Mit Blick auf eine nachhaltige Zukunft ist Deutschland laut Green Future Index gut positioniert.
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Stromversorgung als Standortfaktor
Nicht nur die viel diskutierten Energiepreise sind ein wichtiger Wettbewerbsfaktor, sondern auch eine zuverlässige Stromversorgung. Schaut man sich die Stromversorgungsindikatoren aus dem Doing Business Project der Weltbank an wird deutlich, dass auch hier zwischen möglichen Vorbildern für Wettbewerbsfähigkeit und dem Standortindikator eine große Diskrepanz herrscht. Im Jahr 2020 zeigt der Stromunterbrechungs-Indikator (System Average Interruption Duration Index, SAIDI) folgende durchschnittliche Stromausfallzeit: USA fast 1,3 Stunden, China 54 Minuten, Frankreich 20 Minuten, Vereinigte Königreich 17 Minuten (siehe Abbildung). Deutschland hat im Vergleich die geringste Stromausfalldauer von 15 Minuten, liegt aber bei der durchschnittlichen Anzahl der Stromunterbrechungen, die ein Kunde im Jahr 2020 erlebt, knapp vor Frankreich. In den USA ist nicht nur die durchschnittliche Dauer, sondern auch die jährliche Anzahl an Stromunterbrechungen im Vergleich am höchsten, während sie in China am geringsten ist. Da die Indexwerte der Weltbank auf Befragungen von Fachleuten des Elektrizitätssektors basieren, sollten die Daten zwar auch die für Unternehmen relevanten Stromausfallindikatoren wiedergeben, da der SAIDI Kunden jedoch unabhängig von seinem Stromverbrauch gleichgewichtet und nur Unterbrechungen länger als 3 Minuten berücksichtigt, kann er eine beschränkte Aussagekraft für die industrielle Versorgungssicherheit haben.
Stromausfälle können nicht nur für Haushalte und kritische Infrastruktureinrichtungen eine Herausforderung darstellen, sondern vor allem auch ein unternehmerischer Kostenfaktor sein. Stromausfälle kosten amerikanischen Unternehmen schätzungsweise rund 150 Milliarden Dollar pro Jahr (US-Energieministerium, o.D.). Der Großteil der Stromausfallkosten entstehen im Gewerbesektor, aber auch in der Industrie (LaCommare et al. 2018). Einer Auswertung mehrerer Studien zufolge gehen die Zahlungsbereitschaften des Handels und des Industriesektors, um sich gegen eine Stromunterbrechung abzusichern, je nach Region und Sektor weit auseinander und reichen von einer geringen Zahlungsbereitschaft von unter 50 Euro in europäischen Ländern bis zu mehr als 250 Euro pro nicht-entgangener Kilowattstunde in den USA (Schröder / Kuckushinrichs, 2015). Folgt man der Annahme, dass diese Zahlungsbereitschaften einen Hinweis auf die mit einer Stromunterbrechung verbundenen Kosten geben, lassen sich die Verluste durch Stromausfälle in den USA höher beziffern als in den europäischen Vergleichsländern.
Unternehmen können zusätzliche Maßnahmen ergreifen, um Ausfallkosten zu verhindern oder zu minimieren, etwa durch Versicherungen zur Abdeckung dieser Kosten, den Einsatz von Notstromgeneratoren oder eigenen, autarken Stromquellen. Solche unternehmerischen Maßnahmen sind jedoch immer mit Investitions-, Wartungs- und Versicherungskosten verbunden. Eine stabile Stromversorgung ist somit ein wichtiger Standortfaktor, bei dem die USA im internationalen Vergleich zurückzufallen scheinen. Die regionale Heterogenität der sicheren Stromversorgung in den USA gewinnt insbesondere vor dem Hintergrund an Brisanz, da Staaten wie Michigan und Texas, die sich durch viele Großinvestitionen im Rahmen des Inflation Reduction Acts hervorheben, beim national ausgewiesenen SAIDI häufiger und längere Stromausfälle verzeichnen als der US-Durchschnitt (US-Energieministerium, 2023). Die Daten zeigen, dass der ausschließliche Blick auf die günstigeren Strompreise in den USA in der aktuellen Standortdebatte zu kurz greift.
Demokratie und Zivilgesellschaft
Standortfaktoren gehen über eine wirtschaftliche Komponente hinaus, denn: „Soziale Marktwirtschaft ohne demokratische Einbettung und zivilgesellschaftliche Mitgestaltung ist nicht denkbar“ (Hüther, 2022, S. 73). Kombiniert man den ökonomischen Wettbewerbsindex (WCR) mit dem Freedom in the World Index, der die demokratische Verfasstheit von Staaten anhand politischer Rechte und bürgerlicher Freiheiten misst, und der Messung bürgerlicher Aktivität in Organisationen im Civil Society Participation Index, so zeigt sich, dass Demokratien nach „westlichem Vorbild“ insbesondere europäische Wohlfahrts- und Sozialstaaten die Top 10 dominieren und Wettbewerbschampions sind. Die autokratischen Staaten China und Singapur schaffen es bei einer stärkeren Gewichtung der Indikatoren für Zivilgesellschaft und Demokratie nicht, oder nur knapp in die Top 10. Deutschland hingegen liegt gemeinsam mit den USA und Kanada im oberen Drittel. Der Dreiklang aus Marktwirtschaft, Demokratie und Zivilgesellschaft muss als langfristiger Standortindikator mehr Beachtung finden, verdrängt die (Geo)politik doch immer stärker die (Geo)ökonomie.
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