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Holger Schäfer IW-Kurzbericht Nr. 60 1. September 2023 Arbeitszeitpotenziale bei geringfügig Beschäftigten

Ein häufig vorgebrachter Kritikpunkt an der geringfügigen Beschäftigung ist, dass Beschäftigte zu wenige Anreize haben, in Beschäftigungsverhältnisse mit längerer Arbeitszeit zu wechseln. Dies ist jedoch im Wesentlichen nur für die Teilgruppe der Hausfrauen und -männer ein Problem. Die meisten Minijobber streben keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung an.

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Arbeitszeitpotenziale bei geringfügig Beschäftigten
Holger Schäfer IW-Kurzbericht Nr. 60 1. September 2023

Arbeitszeitpotenziale bei geringfügig Beschäftigten

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Ein häufig vorgebrachter Kritikpunkt an der geringfügigen Beschäftigung ist, dass Beschäftigte zu wenige Anreize haben, in Beschäftigungsverhältnisse mit längerer Arbeitszeit zu wechseln. Dies ist jedoch im Wesentlichen nur für die Teilgruppe der Hausfrauen und -männer ein Problem. Die meisten Minijobber streben keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung an.

Die geringfügige Beschäftigung steht im Verdacht, eine „Falle“ darzustellen. Ein wesentlicher Aspekt dabei ist, dass Arbeitnehmer, die einmal einen Minijob aufgenommen haben, demnach zu wenige Anreize verspüren, ihre Arbeitszeit auf eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung auszudehnen, weil beim Überschreiten der Minijob-Grenze von 520 Euro Bruttomonatseinkommen Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung fällig werden. Der dauerhafte Verbleib in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen führe zu wirtschaftlicher Abhängigkeit vom Partner und einer unzureichenden eigenständigen Altersversorgung. Dies treffe in erster Linie Frauen, die im Zuge der Betreuung kleiner Kinder ihre Arbeitszeit reduzierten, aber anschließend nicht in Vollzeit zurückkehren. Ein weiterer Aspekt ist die Frage, wo Potenziale liegen, um die demografisch bedingte Schrumpfung des Arbeitskräfteangebots zu kompensieren. Die Ausweitung der Arbeitszeit – auch durch Reduzierung des Teilzeitanteils – kann dabei eine wichtige Rolle spielen (Hüther et al., 2022). Aus diesen Überlegungen wird mitunter die Forderung nach einer Abschaffung der geringfügigen Beschäftigung abgeleitet.

Im Oktober 2022 trat eine Reform des sogenannten Übergangsbereiches („Midi-Job“) mit Einkommen von 521 bis zunächst 1.600 und seit Anfang 2023 bis 2.000 Euro brutto monatlich in Kraft. Seither resultiert das Überschreiten der Minijob-Grenze nicht mehr für alle Arbeitnehmer in einer Absenkung des Nettoeinkommens. Die Sozialversicherungsbeiträge für Arbeitnehmer bauen sich erst sukzessive mit zunehmenden Erwerbseinkommen auf. Wer etwa 550 Euro im Monat verdient, zahlt nur rund 10 Euro Arbeitnehmerbeitrag zur Sozialversicherung. Dafür trägt der Arbeitgeber zwar einen erhöhten Beitragssatz. In der Summe liegen die Beitragszahlungen von Arbeitgebern und -nehmern aber trotzdem unterhalb dessen, was für Beschäftigungsverhältnisse jenseits des Übergangsbereiches gilt – wobei die Leistungen nicht entsprechend reduziert, sondern in vollem Umfang gewährt werden.

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Während die Sozialversicherungsbeiträge seit der Reform einen glatten Übergang von geringfügiger Beschäftigung zur Beschäftigung im Übergangsbereich bilden, muss hinsichtlich der Einkommensteuer differenziert werden. Arbeitnehmer in Steuerklasse 1 betrifft die Minijob-Grenze insofern nicht, als dass erst ab einem Bruttoeinkommen von ca. 1.300 Euro Einkommensteuer fällig wird. Für solche Arbeitnehmer stellt die Minijob-Grenze somit kein Hindernis dar, die Arbeitszeit auszuweiten.

Anders verhält es sich bei Arbeitnehmern in Steuerklasse 5 – zum Beispiel Verheiratete, deren Partner ein deutlich höheres Einkommen erzielen und daher Steuerklasse 3 haben. In diesen Fällen setzt mit dem Überschreiten der Minijob-Grenze die Steuerpflicht ein, die zu einer nennenswerten Reduzierung des Nettoeinkommens führt (Schäfer, 2022). So werden bei einem Bruttoeinkommen von 550 Euro 45,75 Euro Einkommensteuer fällig. Zusammen mit dem Arbeitnehmerbeitrag zur Sozialversicherung liegt das Nettoeinkommen bei 495 Euro und damit niedriger als bei einem 520-Euro-Minijob. Erst ab ca. 600 Euro brutto wird die Lücke geschlossen.

Ob eine anreizbedingte Minijob-Falle existiert, hängt somit davon ab, zu welcher sozio-demografischen Gruppe der Arbeitnehmer gehört. Körner et al. (2013) identifizieren vier Personengruppen, zu denen geringfügig Beschäftigte hauptsächlich zählen: Hausfrauen und -männer, Schüler und Studierende, Rentner sowie Arbeitslose. Bei Arbeitslosen im Bürgergeld-Bezug spielt die Frage der Sozialversicherungsbeiträge und Steuern keine Rolle, da ihr Nettoeinkommen ausschließlich vom Erwerbsfreibetrag determiniert wird. (Schäfer, 2019). Für Rentner werden bei einer Ausweitung der Arbeitszeit über die Minijob-Grenze hinaus zwar Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung fällig, diese sind allerdings reduziert und dürften kein prohibitives Anreizproblem darstellen. Inwieweit eine Steuerbelastung entsteht, hängt von der Höhe der steuerpflichtigen Rente, weiteren Einkommen und von der Steuerklasse ab. Schüler und Studierende fallen mit dem Überschreiten der Minijobgrenze aus der Familienversicherung, müssen sich also eigenständig krankenversichern. Außerdem besteht für sie Versicherungspflicht in der Rentenversicherung. Steuerlich dürften in den meisten Fällen keine Anreizprobleme entstehen, da selten weitere steuerpflichtigen Einkommen vorliegen. Die Anreizfalle konzentriert sich somit in starkem Maß auf Hausfrauen und -männer, die in Steuerklasse 5 eingruppiert sind.

Neben den Anreizen spielen für die Frage einer möglichen Ausdehnung der Arbeitszeit die Lebensumstände eine Rolle, die bei Schülern, Studierenden oder Rentnern sogar wichtiger sein könnten. Die zentralen Motive für Erwerbsarbeit bei Rentnern liegen in der Freude an der Tätigkeit, der Sinnstiftung von Arbeit sowie im Kontakt zu anderen Menschen (Gordo et al., 2022). Finanzielle Motive spielen eine untergeordnete Rolle. Insofern kann davon ausgegangen werden, dass in dieser Gruppe die geringfügige Beschäftigung im Wesentlichen den Arbeitszeitpräferenzen entspricht. Bei Schülern und Studierenden ist der Ausweitung der Arbeitszeit durch die für die Ausbildung erforderliche Zeit eine Grenze gesetzt. Insofern kann ein Potenzial zur Arbeitszeit-Ausweitung auch in dieser Hinsicht in erster Linie bei Hausfrauen und -männern vermutet werden.

Ein Teil der geringfügig Beschäftigten ist an einer Ausweitung der Arbeitszeit interessiert. Das Interesse richtet sich indes in erster Linie auf eine eher graduelle Aufstockung um einige Wochenstunden. So wünschen sich 20 Prozent der Beschäftigten mit einer tatsächlichen Wochenarbeitszeit von höchstens 15 Stunden eine Wochenarbeitszeit von mehr als 15 bis 25 Stunden. Aber nur 16 Prozent streben eine noch längere Arbeitszeit an, darunter nur 11 Prozent eine Vollzeitbeschäftigung mit 35 Wochenstunden oder mehr. Eine Längsschnittbetrachtung zeigt zudem, dass solche Verlängerungswünsche in vielen Fällen nach einiger Zeit realisiert werden können (Schäfer, 2018).

Diese Befunde bestätigen aktuelle Daten aus der IW-Beschäftigtenbefragung aus dem Frühjahr 2023. Demnach streben knapp 40 Prozent der geringfügig Beschäftigten eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung an. Unter Frauen ist dieser Anteil leicht geringer, aber unter den Personen, die in einem Haushalt mit einem vollzeitbeschäftigten Partner leben, ist der Anteil deutlich erhöht. Allerdings erreicht er auch in diesem Personenkreis nicht einmal die Hälfte (Grafik). Der größere Teil der geringfügig Beschäftigten strebt mithin keine längeren Arbeitszeiten an – wobei die Gründe dafür nicht aus den Daten ablesbar sind. So ist neben unzureichenden Anreizen denkbar, dass persönliche Gründe einer Ausweitung der Arbeitszeit im Wege stehen.

Könnten 40 Prozent der ausschließlich geringfügig Beschäftigten ihre Arbeitszeit um 10 Stunden pro Woche erhöhen, ergäbe das rechnerisch ein zusätzliches Arbeitsvolumen von rund 780 Millionen Stunden bzw. 1,4 Prozent des gesamten Arbeitsvolumens. Fraglich ist aber erstens, ob eine Abschaffung der Minijob-Regel dieses Potenzial heben könnte und zweitens, ob das zusätzliche Arbeitsvolumen überhaupt auf Nachfrage trifft. Denn während geringfügig Beschäftigte oft einfache Tätigkeiten ausüben, ist ein Arbeitskräftemangel vor allem bei Fachkräften spürbar.

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