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Alexander Burstedde / Paula Risius / Dirk Werner IW-Kurzbericht Nr. 39 21. Juni 2021 Fachkräftemangel bei Hochqualifizierten wieder über Vor-Corona-Niveau

Die Corona-Krise hat zu einem Nachfrageeinbruch am Arbeitsmarkt geführt. Seit Mitte letzten Jahres steigt die Fachkräftelücke jedoch bereits wieder an, vor allem bei Hochqualifizierten: Hier fehlen seit Mai 2021 bereits wieder mehr Fachkräfte als vor der Krise. Langfristig rückt jedoch der Mangel an Fachkräften mit Ausbildung in den Fokus.

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Fachkräftemangel bei Hochqualifizierten wieder über Vor-Corona-Niveau
Alexander Burstedde / Paula Risius / Dirk Werner IW-Kurzbericht Nr. 39 21. Juni 2021

Fachkräftemangel bei Hochqualifizierten wieder über Vor-Corona-Niveau

IW-Kurzbericht

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Die Corona-Krise hat zu einem Nachfrageeinbruch am Arbeitsmarkt geführt. Seit Mitte letzten Jahres steigt die Fachkräftelücke jedoch bereits wieder an, vor allem bei Hochqualifizierten: Hier fehlen seit Mai 2021 bereits wieder mehr Fachkräfte als vor der Krise. Langfristig rückt jedoch der Mangel an Fachkräften mit Ausbildung in den Fokus.

Als im März 2020 die Corona-Pandemie Deutschland erreichte, verhängten viele Unternehmen zunächst einen Einstellungs-Stopp, mussten in Kurzarbeit gehen oder teilweise sogar Mitarbeiter entlassen. Die Zahl der offenen Stellen sank, während die Zahl der Arbeitslosen stieg. In der Folge ging auch die Fachkräftelücke zunächst rapide zurück: Von 347.484 fehlenden Fachkräften im Februar 2020 hatte sich die Fachkräftelücke bis Juni 2020 auf nur noch 180.706 fehlende Personen fast halbiert (-48 Prozent). Seitdem steigt die Fachkräftelücke jedoch wieder – und dass trotz der weiteren Lockdowns und Schließungen in vielen Branchen.

Die Fachkräftelücke entspricht der Zahl der offenen Stellen, für die es zum gleichen Zeitpunkt in ganz Deutschland keine passend qualifizierten Arbeitslosen gibt. Sie wird berechnet nach der IW-Methodik von Burstedde et al. (2020; mit monatlich rollierend geglätteten Meldequoten). Die verwendeten Daten der Bundesagentur für Arbeit wurden mit dem von Eurostat (2021) empfohlenen Verfahren saisonbereinigt.

Die Fachkräftelücke hat sich auf den verschiedenen Anforderungsniveaus unterschiedlich entwickelt (vgl. Abbildung), ist aber auf allen drei Niveaus zunächst gesunken. Auf das schnelle Absinken der Fachkräftelücke folgte ab Juli 2020 ein allmählicher Anstieg. Sie wurde indexiert auf den Februar 2020 vor Corona. Analysen des Kompetenzzentrums Fachkräftesicherung (Koneberg, 2021) haben bereits gezeigt, dass die Einschränkungen des Geschäftsbetriebs in Folge der Corona-Pandemie sehr unterschiedliche Auswirkungen auf verschiedene Bereiche hatten. Fachkräfte mit Ausbildung und vergleichbaren Qualifikationen sind von der Pandemie überdurchschnittlich betroffen: Die Fachkräftelücke auf Ausbildungsniveau sank besonders stark und die Erholung wurde Anfang 2021 von der zweiten Welle unterbrochen – sie steht aktuell bei 67,4 Prozent des Vorkrisenniveaus. Bei Meistern, Technikern und Bachelorabsolventen sind es immerhin schon wieder 90,2 Prozent. Bei Arbeitskräften mit Master und ähnlicher Qualifikation ist die Fachkräftelücke seit Mai 2021 sogar größer als unmittelbar vor der Pandemie (101,3 Prozent). Eine Ursache für die unterschiedlichen Verläufe könnte sein, dass Hochqualifizierte öfter im Homeoffice arbeiten können als andere Fachkräfte (Alipour et al., 2020). Dieser Effekt dürfte nach der Corona-Pandemie jedoch nach und nach entfallen.

Im Mai 2021 fehlten insgesamt 268.786 qualifizierte Arbeitskräfte in Deutschland. Davon entfielen mit 156.513 (58 Prozent) der Großteil auf Fachkräfte mit Ausbildung, auch wenn sich die Lücke dort am stärksten verringert hat. Im Februar 2020, vor Ausbruch der Corona-Pandemie, betrug die Fachkräftelücke insgesamt noch 347.484 fehlende Personen. Die deutsche Wirtschaft befand sich damals teilweise in einer Rezession und zudem mitten im Strukturwandel der Automobilindustrie. Die bislang größte gemessene Fachkräftelücke gab es im September 2018 mit insgesamt 486.768 fehlenden Personen. Der Anteil der Fachkräfte mit Ausbildung betrug damals 69 Prozent. Möglicherweise werden diese Werte bald schon wieder erreicht werden, wenn sich die wirtschaftliche Lage bessert. Der Renteneintritt der geburtenstarken Babyboomer-Jahrgänge in den nächsten Jahren dürfte das Fachkräfteproblem strukturell verstärken, insbesondere bei beruflich Qualifizierten (Geis-Thöne, 2021).

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Zusätzlich führt die Pandemie aktuell zu deutlich weniger Bewerbern am Ausbildungsmarkt (BA, 2021). Nach einem Rückgang von 8 Prozent im letzten Ausbildungsjahr sind bis Mai 2021 noch einmal 9 Prozent weniger Bewerber zu verzeichnen. Die Berufsorientierung erweist sich als Achillesferse am Ausbildungsmarkt. Denn viele traditionelle Angebote wie Unterrichtsbesuche, Praktika oder Ausbildungsmessen konnten nicht vor Ort stattfinden. Neue digitale Wege der Berufsorientierung sind noch nicht ausreichend etabliert und der strenge Datenschutz steht dem häufig entgegen. Dieser Bewerberrückgang dürfte den Mangel an beruflich Qualifizierten künftig weiter verschärfen.

Der Fachkräftemangel betrifft nicht alle Berufe gleichermaßen. Die meisten Berufe, die vor der Corona-Pandemie schon Engpassberufe waren, sind es auch jetzt noch. Im Mai 2021 gab es immerhin noch 229 Engpassberufe, im Februar 2020 waren es hingegen 278. Datenseitig können insgesamt 1.300 Berufe unterschieden werden. Von ihnen sind jedoch nicht alle in jeder Region relevant. In den meisten Berufen besteht folglich damals wie heute kein Fachkräftemangel. Der Fachkräftemangel konzentriert sich auf bestimmte Berufe und Tätigkeitsfelder. Darunter sind viele technische und soziale Berufe, die für die Innovationskraft der deutschen Wirtschaft und die Versorgung der Bevölkerung besonders wichtig sind.

In einigen Berufen ist der Fachkräftemangel zuletzt auffällig gestiegen. In zehn Berufen hat sich die Fachkräftelücke von Februar 2020 bis Mai 2021 mehr als verdoppelt und liegt jetzt bei über 100 fehlenden Personen: Sechs dieser Berufsgattungen entfallen auf Experten mit Diplom, Master oder vergleichbaren Qualifikationen in den Bereichen Spedition und Logistik (Fachkräftelücke: 647), Umweltschutztechnik (255), Lehrkräfte für berufsbildende Fächer (225), Informations- und Telekommunikationstechnik (194), Führungskräfte in der Altenpflege (136) und im IT-Anwendungstraining (101). Aber auch Fachkräfte mit Berufsausbildung fehlen jetzt deutlich häufiger für die Überwachung und Steuerung des Eisenbahnverkehrsbetriebs (362), Spezialbereiche des Handels (319), Gleisbau (166) und industrielle Gießerei (136).

Andere Berufe sind hingegen von einem deutlichen Rückgang der Nachfrage betroffen. In den folgenden zehn Berufen, in denen derzeit mindestens 1.000 arbeitslose Fachkräfte registriert sind, ist die Anzahl der offenen Stellen im gleichen Zeitraum um etwa 50 Prozent oder mehr eingebrochen: Geringqualifizierte im Friseurgewerbe (-63 Prozent offene Stellen), Aufsichtskräfte für Körperpflege (-56) und acht Berufsgattungen für Fachkräfte auf Ausbildungsniveau in den Bereichen Objekt-, Werte- und Personenschutz (-84); Tourismuskaufleute (-69); Veranstaltungs- und Bühnentechnik (-61); Bus- und Straßenbahnfahrer (-59); Veranstaltungsservice und -management (-54); Sport- und Fitnesskaufleute, Sportmanager (-50); Systemgastronomie (-49); Textilreinigung (-48). Deutlich weniger gefragt sind also Tätigkeiten, die von den Schließungen im Zuge der Pandemie besonders stark betroffen waren. Für einige Berufe wie Kindererziehung kann aufgrund der Einführung einer neuen Berufsklassifikation keine Aussage getroffen werden.

Die Jobchancen für Fachkräfte haben sich in Folge der Corona-Pandemie also je nach Beruf sehr unterschiedlich entwickelt. Der Arbeitsmarkt verändert sich strukturell, das Thema Fachkräftemangel bleibt jedoch aktuell. Aus demografischen Gründen dürfte dies auch noch lange so bleiben. Für hochqualifizierte Experten ist der Fachkräftemangel bereits wieder so gravierend wie vor der Krise. In absoluten Zahlen dürfte jedoch auch in Zukunft die Fachkräftelücke in Ausbildungsberufen am größten bleiben. Dem gilt es kurzfristig durch mehr digitale Angebote zur Berufsorientierung entgegenzuwirken.

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