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Michael Hüther in der Welt am Sonntag Interview 11. September 2010

"Manchmal muss man Schweinkram machen"

Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, über den Aufschwung, höhere Löhne und die Renaissance des Keynesianismus.

Dem einst etwas verschlafenen Institut der deutschen Wirtschaft hat er mit seiner Agilität zu mehr Präsenz in der Öffentlichkeit verholfen: Michael Hüther pendelt zwischen seinem Wohnort Wiesbaden und seinem Arbeitsplatz in Köln. Zum Gespräch mit der "Welt am Sonntag" kam er nach Berlin. Hier dürfte er noch präsenter werden: Seit Kurzem hat er im Umland der Hauptstadt einen zweiten Wohnsitz.

Herr Hüther, ist der Aufschwung schon vorbei?

Nein, ist er nicht, aber die deutsche Wirtschaft wird langsamer wachsen als in der ersten Jahreshälfte.

Die jüngsten Indikatoren deuten Stagnation an.

Das sollten Sie nicht überbewerten. Wir bewegen uns auf dem Weg zur Normalität, und in diesem Prozess gibt es Quartale, in denen das Wachstum besonders stark ist, und andere, die sind etwas schwächer.

Das klingt, als sei eigentlich gar nichts passiert. Sollte nicht nach der Krise alles anders werden?

Das war häufiger zu hören, aber was bei dieser schnellen Erholung deutlich wird: Die Krise war ein Finanzmarktthema, kein Thema der realen Wirtschaft. Die Realwirtschaft knüpft wieder an die Entwicklungen vor der Krise an. Die Krise war eine Wachstumspause, aber kein Strukturbruch.

Wie können wir wachsen, wenn unsere wichtigsten Handelspartner ausfallen?

Die Frage ist doch, wer unser Exportwachstum trägt, und es sind die Schwellenländer. Das war schon 2008 so. Damals stiegen die Exporte insgesamt um 19 Milliarden Euro, während die in die Eurozone aber um zwei Milliarden Euro sanken. Dank unseres hohen Industrieanteils können wir daran im Moment wieder anknüpfen.

Wie lange werden denn die nötigen Strukturanpassungen in den USA dauern?

Die Entwicklung dort ist tatsächlich schwierig, aber nicht so katastrophal wie immer getan wird. Die Sparquote hat sich schon verändert und wird weiter steigen. Die hohe Arbeitslosigkeit von neun Prozent ist da natürlich eine schwere Bürde. Aber die US-Volkswirtschaft wird es aus eigener Kraft heraus schaffen, dafür hat sie genug Dynamik und Flexibilität.

Deutsche Gewerkschaften fordern höhere Löhne Können Sie das verstehen?

Verstehen kann ich vieles. Die Frage ist aber, ob es Sinn ergibt. Wir müssen 2009 und 2010 zusammen betrachten. Vergangenes Jahr sind die Lohnstückkosten in der Industrie um 15,6 Prozent gestiegen, weil die Firmen trotz des Einbruchs in der Produktion die Beschäftigung gehalten und die Löhne nicht gesenkt haben. In diesem Jahr sinken die Lohnstückkosten zwar wieder, aber das korrigiert nur die Fehlentwicklung des vergangenen Jahres.

Die Arbeitnehmer, die in der Kurzarbeit auf Lohn verzichteten, sollen an der Erholung nicht teilhaben?

Wir erholen uns ja von einem tiefen Einbruch! Am Ende des Jahres werden wir erst 80 Prozent dieses Einbruchs wettgemacht haben. Jetzt beginnt wieder die Normalität, und das bedeutet auch, dass die Löhne sich im Grundsatz wieder an der Produktivitätsentwicklung orientieren. Also keine Lohnnachschläge auf breiter Front; aber in vielen Unternehmen wird es sicherlich Einmalzahlungen geben oder Gewinnbeteiligungen.

Damit bleiben aber Ungleichgewichte bestehen, die mit zur Krise geführt haben. In Deutschland wäre der Konsum weiter die Achillesferse.

Entscheidend ist doch die gesamte Inlandsnachfrage, also Konsum und Investitionen. Es ist wenig gewonnen, wenn wir über höhere Löhne kurzfristig den Konsum erhöhen, um den Preis, dass die Unternehmen weniger investieren, die Kapazitäten weniger stark ausweiten und so die Beschäftigungsperspektiven sinken.

Also ist an der Kritik, etwa der französischen Finanzministerin Christine Lagarde, nichts dran?

Bei den Dienstleistungen entwickeln sich die Löhne schwach, aber nicht in der Industrie. Bei Chemie, Metall und Elektro sind im Aufschwung die Löhne real gestiegen und gleichzeitig die Beschäftigung. Wir sind exportstark, aber nicht durch Lohndumping. Das Argument von Frau Lagarde zieht nicht.

Der Arbeitsmarkt war 30 fahre lang unser größtes wirtschaftliches und soziales Problem. Wird er das in Zukunft auch noch sein?

Ja. aber in anderer Form. Über Jahrzehnte war hierzulande Arbeit im Überfluss vorhanden, und Kapital war teilweise knapp. Heute hat sich das Bild gewendet: Wir haben genügend Kapital, aber das Angebot an ausreichend qualifizierten Mitarbeitern reicht nicht mehr und wird sich weiter verknappen. Der Arbeitsmarkt ist kein soziales Problem mehr, sondern ein strukturelles: Wir haben nicht genügend Fachkräfte und nicht ausreichende Qualifikationsmöglichkeiten für potenzielle Fachkräfte.

Daran könnten die Firmen doch selbst etwas ändern.

Das stimmt, die Unternehmen müssen eine andere Personalpolitik machen und die Menschen anders fit halten - durch Weiterbildung, Gesundheitsprogramme, Ernährungsberatung und durch abwechslungsreiche Tätigkeiten. Studien zeigen, dass die geistigen Fähigkeiten ein ganzes Leben lang auf dem gleichen Niveau gehalten werden können, wenn ich früh interveniere. Großen Unternehmen fällt das nicht schwer, aber was macht ein Metallbauer mit 50 Mitarbeitern?

Sollte der Staat die Unternehmen etwa verpflichten?

Nein. Viel wichtiger ist aber, dass er verlässliche Rahmenbedingungen setzt.

Es soll also zum Beispiel bei der Rente mit 67 bleiben?

Genau, der Staat muss verlässlich sagen, Rente mit 67 steht fest, ohne Ausnahmen wie Altersteilzeit oder 58er-Regelung. Auch was die SPD jetzt erzählt, ist dummes Zeug. Die Obergrenzen, die dort diskutiert werden, erreichen wir ohne Probleme; bei den Männern arbeiten in diesem Jahr schon mehr als die Hälfte der 60- bis 64Jährigen. Wer, wie die SPD, in Aussicht stellt, die Rente mit 67 rückgängig zu machen, richtet gravierenden Schaden an. Dann können Arbeitnehmer und Unternehmen nicht mehr langfristig planen.

Die Bundesregierung macht gern die staatlichen Konjunkturprogramme für die überraschend schnelle konjunkturelle Erholung der vergangenen zwölf Monate verantwortlich. Ist da nicht auch viel Geld verschwendet worden?

Ich kann nicht für jeden Euro sprechen, aber die Grundidee ist sinnvoll. Die Programme schaffen jetzt Arbeit und Einkommen, die in den privaten Verbrauch fließen. Und das Geld wird zum überwiegenden Teil in sinnvolle Projekte gesteckt, in bessere Infrastruktur und in Bildungseinrichtungen. Bisher hatten wir im öffentlichen Bereich einen Investitionsstau; der wird dadurch zum Teil aufgelöst.

Das Geld sollte den Einbruch der Wirtschaftsleistung aufhalten, fließt jedoch erst 2010 oder gar 2011!

Aber es ist doch gelungen, den Einbruch aufzuhalten! Unterschätzen Sie nicht den Effekt, den die Konjunkturprogramme auf die Erwartungen hatten. Im Oktober 2008 sind die Aufträge eingebrochen, aber der Einbruch ist schon im ersten Quartal 2009 wieder abgebremst worden. Das kann ich mir nur damit erklären, dass die globale Konjunkturpolitik die Zuversicht gestärkt hat. Es ist gelungen, die Panik und die Verunsicherung zu bekämpfen, und das ist die Aufgabe von Politik.

Sie befürworten also eine stärkere Rolle des Staates in der Wirtschaft?

Auf keinen Fall. Aber wir müssen in der Konjunkturpolitik umdenken. Krisen im Konjunkturverlauf sind nichts Ungewöhnliches: Schwankungen nach unten oder oben gehören dazu, das sollte die Politik nicht herausfordern, weil sie sie ohnehin nicht steuern kann. Aber wir haben auch gelernt: In schweren Krisen mit dem Antlitz der Panik wie Ende 2008 sollte der Staat handeln.

Hätte man nicht besser den Markt wirken lassen sollen?

Sich in schweren Krisen auf den Markt zu verlassen, das halte ich nicht für angemessen. Ich habe mich nie anfreunden können mit der Ordnungspolitik, die im keimfreien Raum vor sich hin theoretisiert. Manchmal muss man auch ordnungspolitischen Schweinkram machen. Das war im Herbst 2008 so. Man muss aber wissen, dass es Schweinkram ist, und hinterher dafür sorgen, dass solche Extremsituationen möglichst nicht mehr entstehen können.

Der Ordnungspolitiker Hüther ist also zum Keynesianismus bekehrt worden?

Nein. Aber die Ordnungspolitik sollte Keynes akzeptieren: nicht als Leitlinie für die Konjunkturpolitik, aber als Krisenpolitik. Als eine Lehre, die greift, wenn Panik herrscht und alles zu entgleiten droht.

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