Deutschland wurde zuletzt heftig wegen seiner eher geringen Investitionsquote kritisiert, schreibt IW-Direktor MIchael Hüther auf creditreform-magazin.de. Manche Ökonomen in Deutschland, aber vor allem im Ausland sehen dies als Bremsfaktor für die Wirtschaft der Eurozone.
Industrie 4.0 als Triebfeder für Investitionen im deutschen Mittelstand
Tatsächlich ist der Anteil des Bruttoinlandsprodukts, der hierzulande für neue Maschinen, Anlagen und Bauten ausgegeben wird, seit gut drei Jahrzehnten rückläufig. In den 1980er Jahren lag die westdeutsche Investitionsquote im Durchschnitt noch bei 14,6 Prozent, seit 2010 wurden in Deutschland nur noch 11,9 Prozent der Wirtschaftsleistung investiert.
Aber die gemeinsame Betrachtung von Bau- und Ausrüstungsinvestitionen in diesem Indikator lässt bereits Zweifel an einem vermeintlichen Investitionsstau aufkommen: Gerade im Bereich der Bauinvestitionen kam es in manchen südeuropäischen Ländern wie Spanien und Griechenland nach der Euroeinführung und damit deutlich verringerten Zinsniveaus zu Übertreibungen, die schließlich im Platzen der Immobilienblase mündeten.
Frankreich und Großbritannien haben demgegenüber eine günstigere Demografie als Deutschland, was in diesen Ländern für einen zukünftig höheren Bedarf an Bauten – inklusive Infrastruktur – spricht. Wie der Sachverständigenrat in seinem Gutachten 2014/15 jüngst anmerkte, fehlt aus wissenschaftlicher Sicht das Instrumentarium, eine optimale Investitionsquote für eine Volkswirtschaft zu definieren.
Investitionen sind das Ergebnis vieler Einzelentscheidungen, so dass es auch keine „Investitionslücke“ geben kann. Sehr wohl gilt aber die Feststellung rückläufiger Quoten sowohl bei den öffentlichen Infrastrukturinvestitionen als auch bei den (privatwirtschaftlichen) Ausrüstungsinvestitionen und daraus abgeleitet die Befürchtung, dass der Industriestandort Deutschland mittelfristig Schaden nehmen könnte. Mängel in der Verkehrsinfrastruktur stellen ein Hemmnis für die Wirtschaft dar und bremsen damit tendenziell auch private Investitionen. Der von Experten genannte jährliche Mehrbedarf von 4 bis 7 Milliarden Euro Investitionen in die Verkehrswege ließe sich durch Umschichtungen im Bundeshaushalt realisieren, ohne die Neuverschuldung auszuweiten oder Steuern zu erhöhen.
In den energieintensiven Branchen, vor allem in der Chemieindustrie, ist bereits seit gut 10 Jahren eine Desinvestition zu beobachten: Die Investitionen der Unternehmen decken nicht mehr die Abschreibungen. Angesichts der Energiewende droht ein schleichender Rückzug energieintensiver Industrien, die oft am Anfang der Wertschöpfungsketten stehen. Hier wäre eine echte Reform des EEG anzustreben, um die Kosten zu reduzieren.
Die industrielle Wertschöpfungskette ist ebenso in Gefahr, wenn die Unternehmen nicht genug in neue Technologien investieren, um den Innovationsvorsprung gegenüber Konkurrenten in günstigeren Ländern zu wahren.
Industrie 4.0 ist ein Zukunftsthema, das ein enormes Produktivitätspotenzial für den industriellen Mittelstand birgt, aber auch die Integration des Industrie-Dienstleistungsverbundes weiter vorantreibt. Die in wenigen Jahren demografiebedingt stark zunehmende Knappheit von nicht akademischen Fachkräften kann von jenen Unternehmen am besten aufgefangen werden, die den Schritt zur voll vernetzten flexiblen Produktion gehen. Andere Betriebe ohne entsprechende Produktivitätssprünge werden größere Nachwuchsprobleme haben.
Doch aktuell übt sich der Mittelstand investiv eher in Zurückhaltung, wozu auch die Politik ihren Teil beiträgt. Nicht nur internationale Krisen wie der Ukrainekonflikt trüben die Investitionslaune. Neue Regulierungen wie der Mindestlohn, die abschlagfreie Frührente mit 63, die Frauenquote sowie geplante Einschränkungen für Zeitarbeit und Werkverträge verunsichern auch jene Unternehmen, die direkt kaum betroffen sind.
Auch bezogen auf das Zukunftsfeld Industrie 4.0 selbst ist die Unsicherheit noch groß. Neben dem Thema der Datensicherheit und der Kompatibilität unterschiedlicher Soft- und Hardwarelösungen stellt sich die Frage, inwieweit Innovationsrenditen beim deutschen Mittelstand verbleiben, oder von digitalen Großkonzernen internalisiert werden. Im Hintergrund steht dabei das Thema der Standardsetzungen, wo es bereits ein Tauziehen zwischen amerikanischen Konzernen und der deutschen Industrie gibt.
Im B2B-Bereich stehen die Chancen bislang aber noch gut, dass der industrielle Mittelstand dank seiner Expertise Wertschöpfung an sich binden kann, die im B2C-Bereich bereits von digitalen Megakonzernen mit US-Wurzeln internalisiert wurde. Eine Avantgarde von Unternehmen investiert bereits in Industrie 4.0-Lösungen.
Damit der industrielle Mittelstand in der Breite folgen kann, sollte aber auch die Wirtschaftspolitik flankierend handeln. Statt immer neue Regulierungen anzugehen sollte der Staat für günstige Investitionsbedingungen Sorge tragen, etwa durch einen zügigen Ausbau der digitalen Infrastruktur in ländlichen Regionen, in denen viele deutsche „Hidden Champions“ ansässig sind. Und auch das im Koalitionsvertrag angekündigte Venture-Capital-Gesetz lässt weiter auf sich warten – dabei ist die deutsche Schwäche im Bereich digitaler Startups im Vergleich zu den USA alles andere als hilfreich, wenn es um die Entwicklung und Umsetzung von Industrie 4.0-Innovationen geht.
Zum Gastbeitrag auf creditreform-magazin.de
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