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Michael Grömling IW-Kurzbericht Nr. 33 23. Juni 2016 Unternehmensrisiken: Europa verunsichert die deutschen Unternehmen

Die deutsche Konjunktur ist alles andere als robust. Das schwächere Tempo der Weltwirtschaft und vor allem die politischen Unsicherheiten in Europa werden von den vom IW Köln befragten Unternehmen als Risiken gesehen.

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Europa verunsichert die deutschen Unternehmen
Michael Grömling IW-Kurzbericht Nr. 33 23. Juni 2016

Unternehmensrisiken: Europa verunsichert die deutschen Unternehmen

IW-Kurzbericht

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Die deutsche Konjunktur ist alles andere als robust. Das schwächere Tempo der Weltwirtschaft und vor allem die politischen Unsicherheiten in Europa werden von den vom IW Köln befragten Unternehmen als Risiken gesehen.

Die deutsche Volkswirtschaft ist relativ gut in das Jahr 2016 gestartet. Das reale Bruttoinlandsprodukt als Maß für die gesamtwirtschaftliche Leistung übertraf im ersten Quartal dieses Jahres den entsprechenden Vorjahreswert um 1,3 Prozent. Das ist moderat, aber auch weit entfernt von Stagnationssorgen. Die größten Impulse kamen vom privaten und öffentlichen Konsum. Aber auch die Investitionen zogen an. Der Außenbeitrag hat dagegen das Wachstum deutlich abgebremst, weil die Importe mit 3 Prozent doppelt so stark zulegten wie die Exporte. Die Abschwächung der Weltwirtschaft ist hierzulande deutlich zu spüren.

Auf den ersten Blick suggeriert die kräftige Inlandsnachfrage, dass die deutsche Konjunktur ziemlich robust ist. Auf den zweiten Blick zeigt sich eine vordergründige Stabilität (IW-Forschungsgruppe Konjunktur, 2016):

  • Die Konjunktur erhielt zusätzlichen Rückenwind infolge der nochmals gesunkenen Energiepreise.
  • Die ultra-expansive Geldpolitik der EZB sorgt ebenfalls für Rückenwind.
  • Merkliche Konjunkturimpulse kommen über den Konsum und die Investitionen der öffentlichen Haushalte infolge der Flüchtlingsausgaben.

Das reicht aber für einen dauerhaften Aufschwung nicht aus. Deutschland ist ein exportstarkes Land und sein globales Umfeld ist derzeit von vielen Belastungsrisiken geprägt. Zum Beispiel dämpft die nachlassende Dynamik in den aufstrebenden Volkswirtschaften die deutschen Exporte. In den Emerging Markets bestehen infolge der eingeschränkten ökonomischen und politischen Inklusion vielfältige Strukturprobleme, die sich auch in einer schwachen technologischen Leistungsfähigkeit manifestieren. Während die Schwellenländer über lange Zeit eine hohe ökonomische Stabilität aufweisen und damit auch die Robustheit der deutschen Exportwirtschaft begründeten, stehen sie derzeit für Unsicherheit (Abbildung).

Die Unternehmen in Deutschland wurden im Rahmen der IW-Konjunkturumfrage (zur Methodik siehe Grömling, 2016) im Frühjahr 2016 nach ihren gegenwärtigen Risikofaktoren befragt. An dieser Zusatzfrage beteiligten sich über 3.000 Unternehmen.

Zunächst wurden die Unternehmen gefragt, ob aus ihrer Sicht die wirtschaftliche Unsicherheit zugenommen hat. Gut 44 Prozent aller befragten Firmen bejahten dies. Dabei fallen die Ergebnisse für die Industrie mit knapp 48 Prozent deutlich höher aus als im Dienstleistungsbereich (43 Prozent) und vor allem im Baugewerbe (33 Prozent). Über alle Branchen hinweg sehen große Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten eine höhere Unsicherheit als mittelgroße Firmen und Kleinbetriebe. In Westdeutschland wird die Unsicherheit merklich stärker wahrgenommen als in Ostdeutschland. Gut 40 Prozent aller befragten Firmen verspürten jedoch keine höhere Unsicherheit, 15 Prozent gaben keine Einschätzung zu dieser Frage ab.

Anschließend wurden den Firmen 14 Antwortmöglichkeiten vorgegeben, um Hintergrundinformationen über die unternehmerischen Risikofaktoren zu bekommen (Abbildung). Die Befragten konnten bewerten, ob diese Optionen ein hohes, geringes oder kein Risiko für ihre Firma darstellen.

Das Risikoprofil der deutschen Unternehmen im Frühjahr 2016 ist sehr ausgeprägt: Während einige Faktoren (z. B. Schwellenländer, Rohstoffpreise) eine hohe Zustimmung erreichen, ist dies bei anderen Faktoren (z. B. Zinsrisiken, inländische Lieferbeziehungen) nicht der Fall. Mit Blick auf die hohe Bedeutung, die gemäß der IW-Umfrage der europäischen Politik zukommt, werden im Folgenden ausschließlich Aspekte angesprochen, die diese Einschätzung der Unternehmen plausibel machen.

Gut 42 Prozent der befragten Unternehmen in Deutschland gaben an, dass der ungewisse Kurs der europäischen Politik ein hohes Risiko für sie darstellt. Für 12 Prozent der Firmen ist dies nicht der Fall. Im Vergleich dazu wird die deutsche Wirtschaftspolitik als deutlich weniger risikobehaftet eingeschätzt: Gut ein Viertel der Firmen sieht hier einen hohen Risikofaktor für ihren Geschäftsbetrieb.

Mit Blick auf die in der IW-Konjunkturbefragung dargestellten Branchen zeigen sich vor allem die Industrieunternehmen stärker besorgt. Gut 46 Prozent dieser Betriebe sehen ein hohes Risiko infolge des unsicheren Kurses der europäischen Politik. Im Vorleistungs- und Investitionsgüterbereich sind es sogar rund 48 Prozent. Bei den Dienstleistern belaufen sich die entsprechenden Werte auf gut 38 Prozent und bei den Baufirmen auf 36 Prozent. Dies zeigt, dass selbst die stärker inlandsorientierten Betriebe der politischen Unsicherheit in Europa eine hohe Bedeutung mit Blick auf ihr eigenes Unternehmen zuschreiben. Hinsichtlich der Unternehmensgröße oder der Firmen in West- und Ostdeutschland gibt es keine nennenswerten Differenzen bei diesem Risikofaktor.

Welche Argumente und aktuellen Ereignisse können diese Haltung der deutschen Unternehmen bezüglich der europäischen Politik erklären?

  • Es gibt offensichtlich unter den Ländern keine einheitliche Linie hinsichtlich des adäquaten Reformkurses angesichts der hohen Staatsschulden und der notwendigen fiskalischen und realwirtschaftlichen Anpassungen. Die Geduld für die Wirksamkeit angebotsorientierter Maßnahmen ist nur eingeschränkt vorhanden. Getroffene Vereinbarungen werden infrage gestellt. Das schafft kein Vertrauen und schürt Unsicherheit.
  • Verschärft wird diese Orientierungskrise durch den drohenden Ausstieg von Großbritannien aus der EU. Dies träfe nicht nur das Vereinigte Königreich wirtschaftlich negativ, sondern auch seine Handels- und Innovationspartner (Busch/Matthes, 2016). Auch die EU-Politik würde an marktwirtschaftlicher Orientierung verlieren.
  • Die Unstimmigkeit in der EU zeigt sich auch in der Flüchtlingsfrage. Die einzelnen Regierungen haben unterschiedliche Vorstellungen bei dieser humanitären Herausforderung. Zum Teil führte dies zur Wiedereinführung von Grenzkontrollen. Derzeit besteht zwar keine Gefahr für die Funktionsfähigkeit länderübergreifender Wertschöpfungsketten. Gleichwohl wird die Freizügigkeit nicht mehr mit der gewohnten Selbstverständlichkeit gesehen.
  • Die expansive Geldpolitik der EZB ist nicht unumstritten (IW-Forschungsgruppe Konjunktur, 2016). Einerseits soll sie auch die realwirtschaftliche Restrukturierung der europäischen Krisenländer unterstützen. Andererseits wird davor gewarnt, dass eine andauernde Niedrigzinspolitik die ökonomischen Spar- und Investitionsentscheidungen verzerrt, zu Blasen und Turbulenzen an den Vermögensmärkten und in einzelnen Branchen führt und den Strukturwandel eher hemmt. Ist dies der Fall, dann stabilisiert die Politik des billigen Geldes die Erwartungen der Unternehmen nicht, sondern sie destabilisiert sie.

Im Rahmen der IW-Konjunkturumfrage machen die deutschen Unternehmen deutlich, dass der ungewisse Kurs der europäischen Politik derzeit den größten Risikofaktor darstellt und die betriebliche Unsicherheit erhöht. Ein Austritt Großbritanniens aus der EU erhöht die Unsicherheit in allen europäischen Unternehmen. Die Bürger Europas und die europäische Politik haben es in der Hand, die ökonomische Unsicherheit zu vermindern und damit wieder eine bessere Basis für Investitionen und Innovationen zu schaffen.

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