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Jörg Schmidt / Oliver Stettes IW-Kurzbericht Nr. 28 13. Mai 2019 Befristete Beschäftigungsverhältnisse in digitalisierten und wachsenden Unternehmen

Die Bundesregierung plant, den Einsatz befristeter Beschäftigungsverhältnisse einzuschränken. Die Auswirkungen auf die Personalpolitik der betroffenen Unternehmen können einschneidend sein.

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Befristete Beschäftigungsverhältnisse in digitalisierten und wachsenden Unternehmen
Jörg Schmidt / Oliver Stettes IW-Kurzbericht Nr. 28 13. Mai 2019

Befristete Beschäftigungsverhältnisse in digitalisierten und wachsenden Unternehmen

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Die Bundesregierung plant, den Einsatz befristeter Beschäftigungsverhältnisse einzuschränken. Die Auswirkungen auf die Personalpolitik der betroffenen Unternehmen können einschneidend sein.

Dabei weisen Unternehmen mit einer positiven Beschäftigungsentwicklung einen größeren Anteil befristeter Beschäftigungsverhältnisse auf als vergleichbare Unternehmen, die Arbeitsplätze abgebaut haben. Auch die Sorge, dass der digitale Wandel die Ausbreitung befristeter Beschäftigung befördert, erscheint unbegründet. Unternehmen 4.0 weisen einen geringeren Befristungsanteil auf als Unternehmen 3.0.

Die Regierungsparteien haben sich in ihrem Koalitionsvertrag darauf verständigt, den Einsatz befristeter Beschäftigungsverhältnisse zu beschränken, um einem vermeintlichen Missbrauch des etablierten betrieblichen Flexibilisierungsinstruments entgegenzutreten. Dabei haben sie bereits konkrete Eckdaten formuliert (CDU/CSU/SPD, 2018): Die zulässige Dauer sachgrundloser Befristungen soll von maximal 24 auf 18 Monate verkürzt werden und in Unternehmen mit mehr als 75 Beschäftigten soll eine Quote von 2,5 Prozent sachgrundlos befristeter Beschäftigungsverhältnisse nicht mehr überschritten werden dürfen. Darüber hinaus soll auch eine maximale Beschäftigungsdauer für solche Beschäftigungsverhältnisse definiert werden, die auf Basis eines zulässigen Sachgrunds nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz geschlossen worden sind.

Sollte die Politik an ihrem Vorhaben festhalten, würde dies maßgeblich in die betriebliche Rekrutierungspraxis eingreifen, denn vier von zehn Neueinstellungen in der Privatwirtschaft sind zunächst befristet – ein Anteilswert, der sich aber seit 2010 im Grunde nicht verändert hat (Hohendanner, 2018). Im öffentlichen Dienst und im Dritten Sektor, dem zum Beispiel gemeinnützige Institutionen wie etwa Kirchen und Wohlfahrtsverbände zugeordnet sind, lag die Quote befristeter Neueinstellungen mit gut 61 Prozent und 63 Prozent im Jahr 2017 sogar deutlich darüber. Ein ähnlicher Befund ist auch bei dem Anteil der Befristungen an allen Beschäftigten zu beobachten. Mit 7,1 Prozent im Jahr 2017 hatten in der Privatwirtschaft weniger Arbeitsverträge ein automatisches Verfallsdatum als im öffentlichen Dienst (9,5 Prozent) oder im Dritten Sektor (15,5 Prozent).

Lediglich das Gewicht sachgrundloser Befristungen ist in den Betrieben der Privatwirtschaft größer als im öffentlichen Dienst. Dies ist aber zum einen die Folge der Definition von zulässigen Sachgründen im Teilzeit- und Befristungsgesetz. Kann sich der öffentliche Dienst zum Beispiel auf Haushaltsvorgaben und damit de facto auf die wirtschaftliche Unsicherheit als Sachgrund zurückziehen, ist dies Unternehmen der Privatwirtschaft versperrt. Zum anderen ist die Bezugnahme eines Arbeitsverhältnisses auf einen der zulässigen Sachgründe in der Praxis mittlerweile mit einer relativ hohen Rechtsunsicherheit verbunden. Arbeitsgerichte haben in juristischen Auseinandersetzungen vielerorts dem angegebenen Sachgrund die Anerkennung verweigert. Eine sachgrundlose Befristung ist vor diesem Hintergrund rechtssicherer. Ihre vermehrte Nutzung ist daher kein Missbrauch.

Warum die Politik gleichwohl einen Anhaltspunkt für einen potenziellen „Missbrauch“ sieht, erschließt sich vor dem Hintergrund der empirischen Fakten nicht. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die Privatwirtschaft. Denn im ersten Halbjahr 2017 wurden knapp 46 Prozent der befristeten Beschäftigungsverhältnisse in privatwirtschaftlichen Betrieben in ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis umgewandelt (Hohendanner, 2018). Dies waren 10 Prozentpunkte mehr als noch im Jahr 2010 und gut 20 Prozentpunkte mehr im Vergleich zum öffentlichen Dienst. Mit anderen Worten: Die Umwandlung von befristeter in unbefristeter Beschäftigung erfolgt, wenn absehbar ist, dass sich ein Arbeitsplatz auch mittelfristig wirtschaftlich tragen wird und/oder sich die Person als für den Arbeitsplatz geeignet erwiesen hat.

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Auch für die Befürchtung, dass der digitale Wandel die Verbreitung von befristeten Beschäftigungsverhältnissen in der Privatwirtschaft befördern könnte, findet sich derzeit kein Beleg. Im Gegenteil, die Befristungsquote lag in den hochdigitalisierten Unternehmen 4.0 mit 8,5 Prozent unter dem Anteil von 10,2 Prozent in den wenig digitalisierten Unternehmen 3.0 (vgl. Abbildung und die methodische Anmerkung am Ende des Berichts). Eine ökonometrische Überprüfung auf Basis von fractional-response-Modellen signalisiert, dass dieser Unterschied signifikant ist. Umgekehrt sinkt mit einem steigenden Anteil von befristeten Beschäftigungsverhältnissen tendenziell die Wahrscheinlichkeit, dass ein Unternehmen als hochdigitalisiert eingestuft wird (signifikant auf dem 5-Prozent-Niveau in multinomialen logistischen Regressionen mit Unternehmen 3.0 als Referenzkategorie).

Die Abbildung zeigt zudem, dass die durchschnittliche Befristungsquote in den Unternehmen relativ groß ist, die zwischen 2015 und 2017 Beschäftigung aufgebaut haben. Auch dieser Unterschied gegenüber der Vergleichsgruppe – Unternehmen, die einen Arbeitsplatzabbau verzeichnen mussten – erweist sich bei multivariater Überprüfung als schwach signifikant. Der Befund signalisiert, dass befristete Arbeitsverhältnisse für Unternehmen wie eine Versicherung fungieren. Dadurch steigt die Bereitschaft, Arbeitsplätze auch in einem unsicheren wirtschaftlichen Umfeld zu schaffen oder diese mit Personen zu besetzen, deren persönliche und fachliche Eignung sich nicht im Vorfeld durch Zeugnisse, Einstellungstests oder Auswahlgespräche feststellen lassen.

Es ist daher zu befürchten, dass eine gesetzliche Beschränkung bei den Befristungsmöglichkeiten die Einstellungsbereitschaft vieler Unternehmen reduzieren wird. Daten aus dem IW-Personalpanel für die Privatwirtschaft deuten an, dass in rund 78 Prozent der größeren Unternehmen (mit 250 und mehr Beschäftigten) mehr als 2,5 Prozent der Beschäftigten befristet tätig sind. Selbst wenn man auf Basis der IAB-Betriebspaneldaten nur von einem durchschnittlichen Anteil von 62 Prozent sachgrundloser Befristungen für die Privatwirtschaft ausgeht, wären knapp drei von vier der größeren Unternehmen von der gesetzlichen Neuregelung betroffen. Eine beschäftigungsfreundliche Arbeitsmarktpolitik in Zeiten zunehmender wirtschaftlicher Unsicherheiten sieht anders aus.

Methodische Anmerkung

Digitalisierungsgrad eines Unternehmens

Unternehmen, die sich bereits sehr intensiv mit dem Thema Digitalisierung befassen und bei denen das Internet als Basistechnologie eine hohe Bedeutung für die Geschäftsaktivitäten aufweist, werden als stark digitalisiert beziehungsweise als Unternehmen 4.0 bezeichnet. Unternehmen, die sich bereits sehr intensiv mit dem Thema Digitalisierung befassen oder bei denen das Internet als Basistechnologie eine hohe Bedeutung für die Geschäftsaktivitäten aufweist, gelten als Betriebe mit einem mittleren Digitalisierungsgrad, sofern für sie das jeweilige andere Merkmal als eher wichtig (Internet) oder am Rande wichtig (Befassung mit Thema Digitalisierung) gilt. Die verbleibenden Unternehmen (Unternehmen 3.0) befassen sich derzeit nicht mit dem Thema Digitalisierung oder räumen dem Internet eine relativ geringe unternehmerische Bedeutung ein.

Regressionstabellen auf Anfrage von den Autoren erhältlich.

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