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Hubertus Bardt / Dennis Bakalis IW-Kurzbericht Nr. 76 16. Oktober 2023 Anhaltende Schwächung energieintensiver Branchen

Die Klimaschutzziele Deutschlands implizieren hohe Transformationsanforderungen für die Industrie. Die energieintensiven Branchen spielen dabei eine Schlüsselrolle, verzeichnen jedoch seit 2001 einen kontinuierlichen Rückgang ihres Kapitalstocks.

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Anhaltende Schwächung energieintensiver Branchen
Hubertus Bardt / Dennis Bakalis IW-Kurzbericht Nr. 76 16. Oktober 2023

Anhaltende Schwächung energieintensiver Branchen

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Die Klimaschutzziele Deutschlands implizieren hohe Transformationsanforderungen für die Industrie. Die energieintensiven Branchen spielen dabei eine Schlüsselrolle, verzeichnen jedoch seit 2001 einen kontinuierlichen Rückgang ihres Kapitalstocks.

Insgesamt ist dieser von der Jahrtausendwende bis ins Jahr 2021 um rund ein Fünftel geschrumpft. Während die im internationalen Vergleich hohen Energiepreise Deutschlands die energieintensiven Branchen auch schon vor der Energiekrise 2022 stark belastet haben, lassen die Entwicklungen der letzten beiden Jahre nun auch weitere Abnahmen des Kapitalstocks erwarten.

Reinvestitionsbedarf in der Industrie

Mit dem Klimaschutzgesetz hat sich Deutschland ambitionierte Ziele zum Erreichen der Klimaneutralität bis 2045 gesetzt. Der Industriesektor und insbesondere die energieintensive Industrie (Papier, Chemie, Glas/Keramik sowie Metallerzeugung und -verarbeitung) steht dabei vor umfangreichen Transformationsherausforderungen. Neben dem in den nächsten Jahren ohnehin anfallenden regulären Reinvestitionsbedarf besteht die Notwendigkeit, dass die neuen Anlagen bereits heute klimaneutral sind oder sich auf CO2-neutrale Produktion umrüsten lassen (Agora et al., 2019). Angesichts der Dekarbonisierungsziele muss die Erneuerung des Anlagenparks beschleunigt werden - im Zweifel über die regulären Investitionszyklen hinaus. Ein wesentliches Hemnis für Investitionen sind die im internationalen Vergleich wettbewerbswidrig hohen Energiekosten. Bleiben diese Rahmenbedingungen bestehen, droht durch attraktivere Produktionsbedingungen im Ausland eine Schwächung des Wirtschaftsstandorts Deutschland.

Schrumpfender Kapitalstock

Der Kapitalstock der Industrie wird durch dessen Bruttoanlagevermögen beschrieben, welches den Wert des Anlageparks zum spezifischen Betrachtungszeitpunkt abbildet und als Maß der Produktionskapazität sowie Basis zukünftiger Produktionsmöglichkeiten einer Volkswirtschaft gilt. Sind die Investitionen in das Anlagevermögen zu niedrig, wird die laufende Entwertung des Kapitalstocks nicht ausgeglichen – erst über die Ersatzinvestitionen hinausgehende Erweiterungsinvestitionen erhöhen das Produktionspotenzial.

Die beiliegende Abbildung zeigt die jährlichen Veränderungen des Bruttoanlagevermögens inflationsbereinigt in Prozent. Während dieses im Verarbeitenden Gewerbe insgesamt seit der Jahrtausendwende leicht gestiegen ist, zeigen sich bei einer Unterscheidung der darin integrierten Branchen nach Energieintensität signifikante Unterschiede. So ist bei den energieintensiven Branchen ein kontinuierlicher Rückgang zu verzeichnen: Deren Kapitalstock hat sich zwischen 2000 und 2021 um 19,7 Prozent (insgesamt 71,2 Milliarden Euro) verringert. Damit wurde rund die Hälfte des Aufbaus der anderen Branchen im Gesamtsaldo zunichte gemacht.

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Während in den Jahren zwischen der Wiedervereinigung und der Jahrtausendwende auch in den energieintensiven Industrien positive Wachstumsraten zu verzeichnen waren, sinkt deren Kapitalstock seit 2001 ausnahmslos Jahr für Jahr. In den übrigen Branchen des Verarbeitenden Gewerbes ist der Kapitalstock hingegen mit Ausnahme des Jahres 2005 sowie der Jahre der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise 2009 und 2010 stetig angestiegen. Selbst in den Corona-Jahren 2020 und 2021 haben die nicht-energieintensiven Branchen ihren Kapitalstock weiter aufgebaut. Dieser Erfolg war insbesondere der Automobilindustrie zu verdanken.

Energiekosten als Wettbewerbsnachteil

Ein wesentlicher Einflussfaktor für die Investitionsentscheidungen der großen Energieverbraucher sind die erwarteten zukünftigen Kosten für Energie. Kritisch ist dies ist vor allem dann, wenn starker internationaler Wettbewerb dazu führt, dass Kostensteigerungen nicht ausreichend an Kunden weitergegeben werden können. Daraus entstehende potenzielle Produktionsverlagerungen können negative Effekte auf die Beschäftigung haben, wenn ganze Wertschöpfungsketten geschwächt werden. Dabei war Deutschland bereits in den letzten Jahren hinsichtlich der Energiekosten ein Hochkostenstandort. Dazu trugen unter anderem staatliche Belastungen wie die Stromsteuer und die EEG-Umlage, aber auch gestiegene CO2-Preise bei. Für besonders energieintensive Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, sind zwar Ausnahmen geschaffen worden, diese wurden jedoch immer wieder als Subventionen klassifiziert und kritisiert. Die damit verbundenen Unsicherheiten haben die Investitionsbereitschaft der betroffenen Unternehmen geschwächt.

In den letzten beiden Jahren hat sich die Wettbewerbssituation der energieintensiven Branchen Deutschlands noch einmal merklich verschlechtert. So beträgt auch nach dem Rückgang der Preisspitzen des letzten Jahres der durchschnittliche Preis für Erdgas in Europa mit 47,9 $/MWh fast das sechsfache des Preises in den USA mit 8,2 $/MWh (World Bank, 2023). Auch die deutschen Industriestrompreise lagen im zweiten Halbjahr des Jahres 2022 überdurchschnittlich hoch. Treiber waren hier die gestiegenen Strombezugskosten, welche mit durchschnittlich 506,6 €/MWh rund 95 Prozent des Brutto-Industriestrompreises von 533,8 €/MWh ausmachten (BDEW, 2023). Damit hat Deutschland auch im Vergleich zu Frankreich an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt: Dort besteht auch 2023 noch für alternative Stromversorger die Möglichkeit, über den ARENH-Mechanismus bis zu 100 TWh pro Jahr vom verstaatlichten Energiekonzern EDF zum geregelten Tarif von 42 €/MWh zu beziehen. Über diese teilregulierten Strombezugskosten werden somit indirekt die Haushalts- und Industriestrompreise niedriger gehalten. Weiterhin ist der Preis für CO2-Zertifikate deutlich gestiegen (Bardt/Schaefer, 2023) und Öl ist dort billiger geworden, wo weiterhin russisches Öl mit entsprechenden Abschlägen eingekauft und verwendet wird.

Schwache Investitionsaussichten

Die Wirkungen dieses Energiekostenschocks auf die Investitionen sind in den vorliegenden Daten noch nicht berücksichtigt. Die Effekte des Jahres 2022 werden erst im Spätsommer 2024 durch die amtliche Statistik mit dem notwendigen Detailgrad erfasst sein. Dabei ist der Kapitalstock des Verarbeitenden Gewerbes insgesamt im Jahr 2022 in etwa so stark gewachsen wie in den beiden Vorjahren. Die erheblichen Produktionsrückgänge in den energieintensiven Branchen (Grömling, 2023a) und die perspektivisch stark verschlechterten Rahmenbedingungen sprechen demnach nicht für das notwendige Investorenvertrauen, das Voraussetzung zumindest für die Stabilisierung des Kapitalstocks wäre. Insbesondere die im internationalen Vergleich hohen Energiekosten führen zu persistenten Wettbewerbsnachteilen (Grömling/Bardt, 2023), die die energieintensive Produktion erschweren. Die bereits beobachtbaren dauerhaften Produktionsschließungen sind der sichtbare Ausdruck der Verringerung des Kapitalstocks.

Die Zeitverzögerung der statistischen Erfassung des branchenspezifischen Bruttoanlagevermögens ist in  Situationen mit kurzfristigen strukturellen Veränderungen besonders kritisch. Am aktuellen Rand und mit Blick nach vorne muss auf Befragungsergebnisse zurückgegriffen werden. Die IW-Konjunkturumfrage aus dem Sommer 2023 (Grömling, 2023b) zeigte hier für die Industrie insgesamt eine im Saldo leicht negative Investitionslage und eine leicht bessere Bewertung der Aussichten. Innerhalb der Industrie hingegen stechen die Investitionsgüterhersteller mit positiven Investitionsaussichten hervor, wohingegen die Stimmung in den Grundstoffbranchen deutlich negativ ausfällt.

Der Rückgang des Kapitalstocks der energieintensiven Industrien ist kein primär marktbasierter Struktur-wandel, sondern wird stark durch die staatlichen Preissignale und Kostenbelastungen beeinflusst. Um den ohne diese Wettbewerbsverzerrungen wettbewerbsfähigen Unternehmen die weitere Tätigkeit am Standort Deutschland zu ermöglichen, braucht es eine glaubwürdige Perspektive auf eine Transformation mit wettbewerbsfähigen Energiepreisen. Ohne diese Aussichten sind langfristig wirksame Investitionen in kapitalintensive Grundstoffbranchen, die für die Transformation dieser Unternehmen benötigt werden, kaum möglich. Weiterhin bedarf es klarer Übergangsregeln, um die Unternehmen nicht im Transformationsprozess zu verlieren (Hüther et al., 2023).

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