In den für Innovationen, Digitalisierung und Dekarbonisierung besonders wichtigen akademischen MINT-Berufen trägt die Zuwanderung nach Deutschland bereits seit Jahren stark zur Fachkräftesicherung bei.
MINT-Zuwanderung – erste Leuchttürme auch im Osten
Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
In den für Innovationen, Digitalisierung und Dekarbonisierung besonders wichtigen akademischen MINT-Berufen trägt die Zuwanderung nach Deutschland bereits seit Jahren stark zur Fachkräftesicherung bei.
Am Beispiel der Ingenieurberufe zeigt sich, dass einzelne Kreise in Deutschland besonders stark von der Zuwanderung profitiert haben. Neben dem Großraum München und wirtschaftsstarken Regionen in Westdeutschland gibt es auch erste erfolgreiche Leuchttürme in Ostdeutschland.
Digitalisierung, Dekarbonisierung, demografischer Wandel sowie die mit der De-Globalisierung verbundenen stark steigenden Energiepreise erzwingen eine Anpassung der Geschäftsmodelle (Demary et al., 2021). Zusammen mit dem damit ableitbaren Innovationsdruck nimmt die Nachfrage nach Beschäftigten vor allem in akademischen MINT-Berufen zu. Zugleich dürfte in den kommenden Jahren die Anzahl der MINT-Absolventinnen und -Absolventen aufgrund abnehmender MINT-Studienanfängerinnen und -anfänger sowie sinkender MINT-Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler abnehmen (Anger et al., 2023).
Für die Fachkräftesicherung in diesen Berufen gewinnt die Zuwanderung daher in den kommenden Jahren an Bedeutung und hat bereits in den letzten Jahren einen großen Beitrag zu Innovationskraft und Wohlstand geleistet. Der Beitrag der Zuwanderung zur Innovationskraft zeigt sich bei der Entwicklung der Patentanmeldungen. Zwischen den Jahren 2010 und 2019 nahm der Anteil der Erfindenden mit ausländischen Wurzeln unter Erfindenden mit Wohnsitz in Deutschland von 6,4 Prozent auf 10,9 Prozent zu. Besonders hoch ist die Dynamik unter Inderinnen und Indern (Haag et al., 2022).
Mit der Umsetzung der Hochqualifizierten-Richtlinie der Europäischen Union und der verstärkten Werbung um MINT-Akademikerinnen und -Akademiker aus Drittstaaten verbesserten sich die Rahmenbedingungen für die Zuwanderung im August 2012. Erste Erfolge für die MINT-Fachkräftesicherung zeigen sich bei einem Blick auf die Entwicklung der Anzahl sozialversicherungspflichtig beschäftigter Ausländerinnen und Ausländer in akademischen MINT-Berufen.
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Von Ende Dezember 2012 bis Ende Dezember 2022 nahm die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in akademischen MINT-Berufen von 1.078.731 auf 1.594.874 und damit um 47,8 Prozent zu. Unter ausländischen Personen stieg die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in akademischen MINT-Berufen von 69.612 auf 201.781 und damit um 189,9 Prozent. Der Ausländeranteil an allen Beschäftigten in akademischen MINT-Berufen stieg dabei kontinuierlich innerhalb von zehn Jahren von 6,5 Prozent auf 12,7 Prozent. Allein die gut 132.000 zusätzlichen ausländischen Beschäftigten in akademischen MINT-Berufen tragen rund 16 Mrd. Euro pro Jahr zur Wertschöpfung bei.
Während die Beschäftigung von Personen mit einer Staatsangehörigkeit aus der EU und gleichgestellten Ländern von Ende 2012 bis Ende 2022 um 91,1 Prozent zunahm, war das Beschäftigungswachstum besonders stark unter Drittstaaten. Bei Personen mit dieser Staatsangehörigkeit (ohne Syrien, Afghanistan, Eritrea und Irak) nahm die Beschäftigung in akademischen MINT-Berufen von 30.298 auf 121.810 zu.
Besonders deutlich hat in diesem Zeitraum die Beschäftigung von Inderinnen und Indern in akademischen MINT-Berufen zugenommen. Diese stieg von 3.750 auf 27.566 und damit um 635 Prozent. Relativ groß fiel auch der Beschäftigungszuwachs von Personen mit einer Staatsangehörigkeit aus Mittel- und Südamerika von 2.305 auf 9.869 und damit um 328 Prozent und von Personen aus Nordafrika mit einem Zuwachs von 1.265 auf 8.054 (537 Prozent) aus. China (9.125 Beschäftigte) und das sonstige Asien waren auch für ein hohes Maß an Beschäftigten in akademischen MINT-Berufen verantwortlich, jedoch ist hier die Dynamik etwas geringer. Gerade die Regionen Indien, Lateinamerika und Nordafrika dürften auch langfristig gute Potenziale für eine qualifizierte Zuwanderung nach Deutschland bieten (Geis-Thöne, 2022; 2023a; 2023b).
Betrachtet man innerhalb der akademischen MINT-Berufe die Ingenieurberufe, so zeigt sich ein ähnliches Bild. Der Ausländeranteil an allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Ingenieurberufen stieg von Ende 2012 bis Ende 2022 von 6,0 Prozent auf 10,5 Prozent. Auch hier übertrifft die Beschäftigung von Personen mit Drittstaaten deutlich die Beschäftigtenzahl von Personen mit einer Staatsangehörigkeit aus der EU oder gleichgestellter Länder. Dabei ist insbesondere in den Ingenieurberufen der demografische Ersatzbedarf in den kommenden Jahren besonders groß, sodass der Fachkräftesicherung durch Zuwanderung eine besondere Rolle zukommt. Für die Zuwanderung wiederum spielen vorhandene Netzwerke in mögliche Herkunftsländer der Zuwandernden eine besonders große Rolle.
Regional gibt es dabei große Unterschiede. So beträgt der Ausländeranteil in den Ingenieurberufen Ende 2022 in Deutschland 10,5 und reicht bei den Bundesländern von den Stadtstaaten Berlin (19,0 Prozent) und Hamburg (13,6 Prozent) sowie dem Flächenland Bayern (12,9 Prozent) bis hin zu Sachsen-Anhalt (4,1 Prozent) und Mecklenburg-Vorpommern (3,9 Prozent). Auch wenn der Ausländeranteil in Ostdeutschland niedriger ist als in Westdeutschland, haben inzwischen erste ostdeutsche Bundesländer wie Brandenburg (7,4 Prozent), Thüringen (6,4 Prozent) und Sachsen (5,3 Prozent) einzelne westdeutsche Bundesländer wie Schleswig-Holstein (5,1 Prozent) überholt.
Werden die 400 Kreise und kreisfreien Städte in Deutschland betrachtet, so fällt die Entwicklung der Ausländeranteile noch deutlicher differenzierter aus.
Unter den zehn Kreisen mit dem höchsten Ausländeranteil an den sozialversicherungspflichtig beschäftigten Ingenieurinnen und Ingenieuren liegen mit Starnberg, dem Landkreis München, der Landeshauptstadt München und Freising vier in Bayern. Mit dem Main-Taunus-Kreis, Offenbach am Main und dem Hochtaunuskreis befinden sich drei weitere in Hessen. Die restlichen drei Kreise sind der Ilm-Kreis aus Thüringen, Frankfurt (Oder) in Brandenburg und Berlin.
Die Zunahme bei den Ausländeranteilen in den Ingenieurberufen fällt in den drei ostdeutschen Leuchttürmen relativ groß aus. Der Ilm-Kreis steigerte innerhalb von zehn Jahren den Ausländeranteil von 4,8 auf 22,3 Prozent. Verantwortlich dafür sind hohe Absolventenzahlen der TU Ilmenau und die Ansiedlung ausländischer Unternehmen. In Frankfurt (Oder) stieg der Ausländeranteil von 6,8 Prozent auf 21,2 Prozent, in Berlin von 5,9 Prozent auf 19,0 Prozent.
Innerhalb Ostdeutschlands weist zudem Gotha (Thüringen) mit Platz 30 und einer Zunahme von 0,7 Prozent auf 13,7 Prozent einen relativ hohen Ausländeranteil auf. Auf Platz 31 folgt Teltow-Fläming in Brandenburg mit einem Anteil von 13,7 Prozent, der Ende 2012 aber bereits 11,1 Prozent betrug. Hier ist ein größerer ausländischer Konzern schon länger in der High-Tech-Industrie tätig. Ein hohes Niveau beim Ausländeranteil in Ingenieurberufen erreichen auch Potsdam auf Platz 89 mit 9,6 Prozent und der Oder-Spree-Kreis mit Platz 114 und einem Anteil von 9,1 Prozent, der zehn Jahre zuvor noch bei 2,2 Prozent lag. Im Oder-Spree-Kreis stieg der Ausländeranteil schlagartig mit der Ansiedlung des Tesla-Werkes an. Die Nähe zu Berlin mit der technischen Universität ist zudem hilfreich.
Zukünftig bleibt zu beobachten, wie sich weitere Ansiedlungen von internationalen Großunternehmen auf den Ausländeranteil einer Region in Ingenieurberufen auswirken. So beträgt dieser Ende 2022 in Magdeburg 4,7 Prozent und nahm in den letzten zehn Jahren weniger dynamisch zu. Mit der Ansiedlung von Intel dürfte die Anzahl hochqualifizierter Zuwanderinnen und Zuwanderer stark steigen, was wiederum mögliche Zweitrundeneffekte an Zuwanderung durch entstehende persönliche Netzwerke in die jeweiligen Herkunftsländer ermöglicht. Langfristig kann sich dadurch die demografische Struktur der Region verbessern.
Um die Zuwanderung nach Deutschland zu erhöhen, sollten die Chancen des neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetzes genutzt werden. Besonders wichtig ist es dabei, bürokratische Prozesse zu verbessern und mehr Personalressourcen in Ausländerämtern und Botschaften zu schaffen und diese weiter zu qualifizieren. Darüber hinaus ist die Zuwanderung über das Bildungssystem auszuweiten. Über die Hochschule zuwandernde Personen haben besonders häufig eine MINT-Qualifikation. Entsprechende Kapazitäten sollten weiter gestärkt und Programme zur Begleitung und finanziellen Unterstützung der Bildungsteilnehmerinnen und -teilnehmer aus dem Ausland ausgebaut werden.
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