Deutschland verfolgt im internationalen Vergleich ambitionierte klima- und energiepolitische Ziele. Mit der Energiewende beispielsweise wird eine vollständige Umstrukturierung der gegenwärtigen Stromversorgungsstrukturen herbeigeführt – mithilfe staatlich gesteuerter Förderinstrumente. Insbesondere aufgrund staatlich induzierter Kostenkomponenten sind die Strompreise für Endverbraucher in Deutschland in den letzten Jahren deutlich gestiegen und haben zu einer intensiven Kostendebatte rund um die Energiewende geführt. Da eine derartige Entwicklung in den meisten Konkurrenzländern nicht zu verzeichnen ist, sind zunehmend Wettbewerbsnachteile für hiesige Unternehmen sowie den Industriestandort Deutschland zu erwarten. Im Mittelpunkt stehen dabei die gestiegenen Stromkosten; aber auch die Unsicherheiten bezüglich der energiepolitischen Rahmenbedingungen oder der Versorgungsqualität haben zugenommen. Die nachfolgend skizzierte Untersuchung behandelt zum einen die Entwicklung der deutschen Industriestrompreise, auch im internationalen Vergleich. Um ein differenzierteres Bild der Industrie als Stromverbraucher zu zeichnen, werden außerdem die Stromverbrauchsstrukturen der Industrie näher analysiert. Anschließend werden stromintensive Unternehmen und nicht stromintensive Unternehmen hinsichtlich ihrer Entwicklung bei wirtschaftlichen Aktivitätsgrößen, wie Exporttätigkeit, Bruttowertschöpfung oder Investitionen verglichen, um branchenübergreifende Unterschiede identifizieren zu können.
Die deutsche Industrie hat infolge von staatlich induzierten Kostenkomponenten im internationalen Vergleich besonders hohe Strompreise zu schultern. Im Jahr 2003 lag die Differenz zum europäischen Mittel noch bei etwa 1,1 Cent je Kilowattstunde, 2013 haben sich diese Mehrkosten auf 2,1 Cent beinahe verdoppelt. Die Mehrkosten nur durch Steuern und Abgaben haben sich in dem gleichen Zeitraum mit 2,9 Cent sogar verzehnfacht. Dass die Großhandelspreise für Strom in der Vergangenheit gesunken sind, wirkt sich dämpfend auf die Entwicklung des Endabnehmerpreises aus, kann den Anstieg der Steuer- und Abgabenlast jedoch nicht kompensieren. Zudem profitierten von dieser Entwicklung auch europäische Mitbewerber, da zu-nehmend integrierte Märkte zur Angleichung der Großhandelspreise führen. Im Ergebnis bleibt ein einseitiger Kostennachteil der hiesigen Industrie.
Der Stromverbrauch ist in der deutschen Industrie nicht gleichmäßig verteilt sondern nach oben hin stark verzerrt. Wenige sehr große Stromverbraucher stehen einer Mehrheit von kleinen bis mittleren Stromverbrauchern gegenüber. 75 Prozent der Stromverbraucher verbrauchen nicht mehr als 1,8 Gigawattstunden, 90 Prozent überschreiten die 6,6 Gigawattstunden nicht. Durchschnittlich ist der industrielle Stromverbrauch zwischen 2003 und 2007 von 6,3 auf 6,5 Gigawattstunden gestiegen und anschließend bis 2009 auf 5,9 Gigawattstunden gesunken. 2010 erreichte der Stromverbrauch wieder den Spitzenwert von 2007 und ist seitdem leicht auf 6,2 Gigawattstunden in 2012 gesunken. Die 10 Prozent größten Stromverbraucher verbrauchten im Mittel 53,4 Gigawattstunden. Auch hier ist der Stromverbrauch nach oben hin stärker ansteigend. Die Verbrauchscharakteristik zeigt, dass Großverbraucher und damit annahmegemäß Unternehmen, die von verschiedenen Ausnahmeregelungen staatlicher Preisbestandteile profitieren, nur einen sehr kleinen Teil des industriellen Sektors darstellen.
99,5 Prozent der deutschen Industrieunternehmen verbrauchen unter 150 Gigawattstunden im Jahr und deren Strompreise sind daher anhand der öffentlichen Statistik nachvollziehbar. In Bezug auf die Statistiken der Eurostat sind demnach etwa 50 Prozent aller Unternehmen den Verbrauchsklassen mit einem Jahresverbrauch unter 500 Megawattstunden zuzuordnen, weitere etwa 25 Prozent der nächstgrößeren Verbrauchergruppe bis unter 2 Gigawattstunden im Jahr. Mindestens weitere 20 Prozent können der Gruppe unter 20 zugeordnet werden. Die verbleibenden maximal 4,5 Prozent der Unternehmen verteilen sich folglich auf die beiden Gruppen bis 70 Gigawattstunden bzw. bis 150 Gigawattstunden.
Die stromintensive Industrie hat sich zwischen 2003 und 2012 wirtschaftlich nicht so stark entwicklelt die nicht-stromintensiven Unternehmen. Während die Bruttowertschöpfung von nicht-stromintensiven Unternehmen im Schnitt um knapp 20 Prozent gewachsen ist, haben stromintensive Unternehmen einen Rückgang von 12 Prozent zu verzeichnen. Auch ist bei den nicht stromintensiven eine Steigerung der Exportquote um 3,8 Prozentpunkte von 16,6 auf 20,4 Prozent zu verzeichnen. Die Exportquote der stromintensiven Unternehmen stieg im gleichen Zeitraum um 3,1 Prozentpunkte von 26,8 auf zuletzt rund 29,9 Prozentpunkte. Auch, wenn die Exportquote annahmegemäß aufgrund von Größeneffekten höher ist als bei nicht stromintensiven Unternehmen, konnten stromintensive Unternehmen insbesondere in den Jahren 2003 bis 2007 ihr Geschäft mit dem Export nicht so stark steigern wie die Vergleichsgruppe.
Auch hinsichtlich der Investitionstätigkeit lassen sich Unterschiede feststellen. Die Bruttoinvestitionsquote sank bei stromintensiven Unternehmen zwischen 2003 bis 2010 um 1,8 Prozentpunkte auf knapp 4 Prozent. Danach erholte sie sich, erreichte aber weiterhin nicht das Ausgangsniveau von 5,8 Prozent. Anders bei der nicht-stromintensiven Industrie: Nach einem Einbruch in 2010 lag die Investitionsquote zuletzt bei knapp 4 Prozent und damit 0,4 Prozentpunkte über dem Ausgangswert von 2003. Folglich dient ein geringer werdender Anteil des Umsatzes in der stromintensiven Industrie dazu, den Kapitalstock zu ersetzen und zu erweitern. Mit einer durchschnittlichen Nettoinvestitionsquote von 0,21 Prozent über den Betrachtungszeitraum investiert ein stromintensives Unternehmen in Relation zum Umsatz auch netto weniger als ein nicht stromintensives Unternehmen (0,39), teilweise sind seine Abschreibungen sogar höher als die getätigten Investitionen. Vergleicht man die Brutto- und Nettoinvestitionen der Volkwirtschaftlichen Gesamtrechnung in den energieintensiven Branchen Papier und Pappe, Chemie, Glas und Keramik sowie Metallerzeugung und -verarbeitung, wird deutlich, dass diese Branchen ihren Kapitalstock in den letzten Jahren sukzessive zurückgefahren haben. Durchschnittlich wurde in diesen Branchen seit dem Jahr 2000 jährlich nur etwa 90 Prozent der Abschreibungen refinanziert. Mit diesem Befund einhergehen überdurchschnittliche Direktinvestitionen in energieintensive Industrien im Ausland in den letzten zwölf Jahren.
Im Zeitablauf ist zudem erkennbar, dass stromintensive Unternehmen ihre Fertigungstiefe mit 5,6 Prozentpunkten stärker reduziert haben als nicht stromintensive mit 2,9 Prozentpunkten. Das kann bedeuten, dass steigende Vorleistungskosten nicht auf den Kunden überwälzt und damit die Umsätze nicht gleichermaßen erhöht werden können. Zum anderen ist es möglich, dass Teile der Wertschöpfungsstufen in stromintensiven Unternehmen ausgegliedert oder verlagert worden sind.
Für die unterschiedliche Entwicklung der betrachteten Aktivitätsgrößen, wie Exporte, Investitionen, Wertschöpfung oder auch Fertigungstiefe, stellen Stromkosten zweifelsohne keine ausschließliche Erklärung dar. Jede Entwicklung ist multikausal und der spezifische Einfluss von Stromkosten bedarf weiterer ökonometrischer Analysen. Aufgrund der Bedeutung des Faktors Elektrizität für die betrachtete Unternehmensgruppe kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die bisherige Entwicklung der Endabnehmerpreise für Strom sowie die absehbaren weiteren Kostenwirkungen des EEGs zu deren wirtschaftlicher Entwicklung beziehungsweise Investitionsentscheidungen beigetragen haben.
Eine Unternehmensbefragung des IW Köln zeigt zudem, dass eine Vielzahl von Industrieunternehmen auf energieintensive Unternehmen angewiesen ist, sowohl als Zulieferer, aber auch wichtiger Partner in FuE-Netzwerken und Impulsgeber für Innovationen. Im Ergebnis tragen energieintensive Unternehmen nicht nur durch ihren direkten Unternehmenserfolg, sondern vor allem auch durch ihre Bedeutung in Wertschöpfungsketten und durch Impulse für die hiesige Innovationskraft erheblich zur Stärke des Standortes Deutschland bei.
Aber auch für weniger stromintensive Unternehmen bedeutet die Dynamik der Strompreise wirtschaftliche Unsicherheit. Dies gilt umso mehr, als dass sie nicht von Ausnahmeregelungen profitieren und staatlich induzierte Kostenkomponenten voll auf sie wirken. Das gilt für den über-wiegenden Teil der deutschen Industrie.
Es ist vor allem mit Blick auf die vorliegenden Ergebnisse notwendig, auf eine verlässliche Energiepolitik, die der stromintensiven Industrie wie auch dem produzierenden Gewerbe insgesamt den Erhalt ihrer Wettbewerbsfähigkeit und Planungssicherheit ermöglicht, hinzuwirken.