Digitale Kompetenzen sind für eine erfolgreiche Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft essenziell. Die Nachfrage nach Personal in Digitalisierungsberufen ist deshalb hoch, der Fachkräftemangel aber bremst den Beschäftigungsaufbau. Insbesondere Frauen fehlen in den Digitalisierungsberufen: Der Frauenanteil liegt bei nur 16,3 Prozent. Um das zu ändern, muss bereits in der Schule angesetzt werden.
Der Digitalisierung fehlen die Frauen
Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
Digitale Kompetenzen sind für eine erfolgreiche Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft essenziell. Die Nachfrage nach Personal in Digitalisierungsberufen ist deshalb hoch, der Fachkräftemangel aber bremst den Beschäftigungsaufbau. Insbesondere Frauen fehlen in den Digitalisierungsberufen: Der Frauenanteil liegt bei nur 16,3 Prozent. Um das zu ändern, muss bereits in der Schule angesetzt werden.
Wenn Unternehmen digitale Prozesse einführen, digitale Produkte und Dienstleistungen anbieten oder ein digitales Geschäftsmodell entwickeln wollen, brauchen sie Fachkräfte mit digitalen Kompetenzen. Entsprechende Digitalisierungsberufe werden definiert von Burstedde (2020). Ihre Profile enthalten Kompetenzen, um neue digitale Schlüsseltechnologien herstellen oder sie durch besondere technische Kenntnisse nutzen und verbreiten zu können. 97 der derzeit 1.300 in der Klassifikation der Berufe erfassten Berufsgattungen gelten als solche Digitalisierungsberufe, darunter finden sich Softwareentwickler, IT-Anwendungsberater, Mechatroniker, Bauelektriker und Computerlinguisten (Burstedde, 2023).
Wie die Untersuchung im Rahmen des Projekts „Entwicklung und Messung der Digitalisierung der Wirtschaft am Standort Deutschland“ im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) zeigt, ist die Beschäftigung in Digitalisierungsberufen von 2013 bis 2021 um 17,9 Prozent gestiegen. Seit 2017 wächst sie schneller als im Durchschnitt aller Berufe (14,8 Prozent; ebd.). Unternehmen und Behörden würden gerne noch mehr Personal in Digitalisierungsberufen einstellen, es gibt jedoch nicht genügend Fachkräfte. Der Fachkräftemangel war in Digitalisierungsberufen stets stärker als im Durchschnitt aller Berufe. 2021 gab es für etwa jede zweite offene Stelle in Digitalisierungsberufen deutschlandweit keine passend qualifizierten Arbeitslosen. Entspannung ist nicht in Sicht – eher wird der Fachkräftemangel in Digitalisierungsberufen noch weiter zunehmen. Auch in den kommenden Jahren braucht die Wirtschaft also deutlich mehr Digitalisierungskompetenzen als der deutsche Arbeitsmarkt bereitstellt.
Ohne ausreichende digitale Kompetenzen können Innovationen nicht entwickelt und genutzt werden. Beispielsweise für die neuen Sprachmodelle, die sich derzeit rasant verbreiten, braucht es Fachkräfte, die mit diesen Anwendungen künstlicher Intelligenz umgehen können.
Eine Analyse von Daten aus der IW-Fachkräftedatenbank deutet auf eine Ursache des Fachkräftemangels in Digitalisierungsberufen hin: Der Digitalisierung fehlen die Frauen. Lediglich 16,3 Prozent der Beschäftigten in Digitalisierungsberufen waren im Zeitraum vom 01.07.2021 bis 30.06.2022 Frauen (siehe Abbildung). Zudem hat sich dieser Anteil seit 2013 nur wenig verändert. Von 14,6 Prozent im Jahr 2013 auf 16,3 Prozent im Jahr 2022 ist der Anteil der Frauen nur marginal, um 1,7 Prozentpunkte, gewachsen.
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In einzelnen Digitalisierungsberufen ist der Frauenanteil deutlich höher. Am höchsten ist er in der nicht-klinischen Psychologie (76 Prozent), zu der die Kognitionswissenschaftler gehören, die Systeme der Mensch-Maschine-Interaktion und künstlichen Intelligenz entwickeln. Die nächsthöchsten Frauenanteile weisen das Archivwesen (63 Prozent) und das Grafik-, Kommunikations- und Fotodesign (60 Prozent) auf. Die geringsten Frauenanteile sind in den Berufsgattungen Bauelektrik-Fachkraft (2 Prozent), Aufsicht in Mechatronik und Automatisierungstechnik (1 Prozent) zu finden. Diese Zahlen zeigen stereotype Männer- und Frauenberufe, in denen der Fachkräftemangel meist stärker ausgeprägt ist als in Berufen mit ausgeglichener Besetzung beider Geschlechter (Malin et al., 2019).
Der sogenannte Digital Gender Gap – geschlechtsspezifische Unterschiede im Kontext der Digitalisierung – existiert nicht nur in Digitalisierungsberufen. Auch bei anderen Tätigkeiten, für die digitale Kompetenzen nötig sind, zeigen sich deutliche Unterschiede, wie eine Studie auf Basis des Nationalen Bildungspanels (NEPS) zeigt. Zwar arbeiten Frauen und Männer ähnlich häufig am Computer (Lott, 2023). Männer nutzen dabei aber deutlich häufiger fortgeschrittene und spezialisierte Software sowie vernetzte digitale Technologien wie Clouddienste. Besonders Frauen mit Teilzeitstellen sind digital abgehängt. Dementsprechend schätzen Frauen ihre Berufschancen auf einem zunehmend digitalisierten Arbeitsmarkt als schlechter ein: Die Wahrscheinlichkeit, dass sich berufstätige Frauen gut auf den Umgang mit vernetzten digitalen Technologien vorbereitet fühlen, liegt bei 34 Prozent, unter Männern bei 49 Prozent (ebd.).
Der Digital Gender Gap zeigt sich noch deutlicher bei den Patentanmeldungen. Auswertungen der IW-Patentdatenbank zeigen, dass der Anteil der Frauen bei den Patentanmeldungen in Digitalisierungstechnologien von 2010 bis 2019 von lediglich 3,7 Prozent auf 5,2 Prozent ebenfalls nur marginal gestiegen ist (Anger et al., 2022).
Dass die Digitalisierung Wirtschaft und Gesellschaft in Gegenwart und Zukunft prägt, ist unbestritten. Problematisch ist, dass Frauen – und damit die Hälfte der Bevölkerung – viel weniger an den Chancen der Digitalisierung partizipieren als Männer. Dies bedeutet weniger Teilhabe und Wohlstand für Frauen und damit für die Gesellschaft. Auch für die Wirtschaft ist der Digital Gender Gap nachteilig. Laut einer McKinsey-Studie bremst er die wirtschaftliche Entwicklung aus. Die Studie geht davon aus, dass Europas Bruttoinlandsprodukt um 260 bis 600 Milliarden Euro steigen könnte, wenn es gelänge, den Frauenanteil in Tech-Jobs bis 2027 zu verdoppeln (Blumberg et al., 2023). Um die Chancen der Digitalisierung nachhaltig zu nutzen, müssen Frauen deutlich stärker in diese eingebunden werden.
Ein Ansatzpunkt dafür ist die schulische Bildung. Die ICILS-Studie zeigt, dass Mädchen in der achten Jahrgangsstufe in Deutschland signifikant höhere computer- und informationsbezogene Kompetenzen haben als Jungen (Eickelmann et al., 2019). Betrachtet man die Kompetenzen von Jugendlichen in Mathematik und Naturwissenschaften, so liegen im Durchschnitt nur geringe Unterschiede zwischen den Geschlechtern vor. In der Selbsteinschätzung der Kompetenzen trauen sich Mädchen jedoch relativ zu den Jungen in allen getesteten Bereichen deutlich weniger zu als es die gemessenen Kompetenzwerte zeigen. Dazu kommt, dass auch die Eltern die Fähigkeiten ihrer Töchter bei gleichen mathematischen Kompetenzen schlechter einschätzen als die Kompetenzen der Söhne (Anger et al., 2021). Mädchen brauchen also mehr Selbstbewusstsein, Bestärkung und Anwendungsbezug bezüglich ihrer digitalen Kompetenzen, wenn sie häufiger Digitalisierungsberufe wählen sollen.
Um die Potenziale der Frauen für Digitalisierungsberufe zu heben, sollten schon in der Schulzeit geeignete Maßnahmen umgesetzt werden. Weil das schulische Feedback zu den Stärken von Mädchen für die Berufs- und Studienwahl zentral ist, sollten die Feedbacksysteme Mädchen ihre digitalen Stärken unverzerrt, aber zugleich deutlich vor Augen führen und sie mit Kontakt zur Praxis zur Ergreifung von Digitalisierungsberufen ermutigen. Dazu könnten die digitalen Fähigkeiten getestet und passende Tätigkeitsfelder und berufliche Laufbahnen aufgezeigt werden. Mentoringprogramme zur Berufsorientierung und Angebote für praktische Erfahrungen der Schülerinnen müssen ausgebaut werden. Da gerade für die Entwicklung klimafreundlicher Produkte und Technologien digitale Kompetenzen benötigt werden (Demary et al., 2021) und junge Frauen besonders große Sorgen bezüglich des Klimawandels haben, liegt es nahe, die Wichtigkeit der Digitalisierungsberufe für Klimaschutz und Nachhaltigkeit bei der Berufsorientierung zu betonen (Anger et al., 2021). Auch so könnte sich die Attraktivität der Digitalisierungsberufe für Frauen erhöhen.
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