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Andreas Fischer / Malte Küper IW-Kurzbericht Nr. 77 20. Oktober 2023 Net-Zero Industry Act: Europas Aufholbedarf bei grünen Technologien

Die EU setzt mit dem Net-Zero Industry Act (NZIA) den Rahmen für die Förderung grüner Technologien und gibt Zielmarken für die europäische Produktion solcher Anlagen aus. Während die EU-Pläne auch für den deutschen Anlagenbau große Potenziale versprechen, ist bisher noch unklar, wie diese Ziele bis 2030 erreicht werden sollen.

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Europas Aufholbedarf bei grünen Technologien
Andreas Fischer / Malte Küper IW-Kurzbericht Nr. 77 20. Oktober 2023

Net-Zero Industry Act: Europas Aufholbedarf bei grünen Technologien

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Die EU setzt mit dem Net-Zero Industry Act (NZIA) den Rahmen für die Förderung grüner Technologien und gibt Zielmarken für die europäische Produktion solcher Anlagen aus. Während die EU-Pläne auch für den deutschen Anlagenbau große Potenziale versprechen, ist bisher noch unklar, wie diese Ziele bis 2030 erreicht werden sollen.

Vor einigen Monaten präsentierte die EU den Net Zero Industry Act als Teil des Green Industrial Plan – auch als Reaktion auf die massive Förderung grüner Technologien in den USA im Rahmen des dortigen Inflation Reduction Acts (IRA) (Küper, 2023; European Commission, 2023). Der NZIA setzt den Rahmen zur Förderung grüner Schlüsseltechnologien. Bei der Auswahl der Technologien stützt sich die EU auf drei Kriterien: hoher technologischer Reifegrad, Beitrag zur Dekarbonisierung beziehungsweise Wettbewerbsfähigkeit des verarbeitenden Gewerbes und Absicherung von Risiken bei der Technologieversorgung.

Nach den EU-Plänen sollen die Produktionskapazitäten für acht ausgewählte Schlüsseltechnologien so weit ausgebaut werden, dass sie bis 2030 im Schnitt mindestens 40 Prozent des europäischen Bedarfs decken könnten. Dies soll die Wettbewerbsfähigkeit und die Resilienz grüner Technologien stärken. Die EU setzt damit eine Zielquote, formuliert letztendlich allerdings nur politische Zielmarken. Verbindliche Produktionsziele oder dergleichen sind bisher nicht vorgesehen.  Realisiert werden sollen die EU-Pläne unter anderem durch geringere bürokratische und administrative Hürden, beschleunigte Genehmigungsverfahren und erleichterte Subventionsmöglichkeiten für Mitgliedsstaaten. Zurecht wurde zudem von einer ausschließlich europäischen Produktion der zentralen Technologien abgesehen. Denn vor dem Hintergrund des sich zuspitzenden Fachkräftemangels und der multiplen Herausforderungen für die deutsche und europäische Wirtschaft wäre dies weder zielführend noch kosteneffizient.

Aufholbedarf bei grünen Schlüsseltechnologien

Die gesetzten Ziele für den europäischen Produktionsanteil der Schlüsseltechnologien im Jahr 2030 beinhalten unter anderem:

  • 85 Prozent bei Windenergieanlagen,
  • 45 Prozent bei Photovoltaikanlagen,
  • 60 Prozent bei Wärmepumpen,
  • 90 Prozent bei Batteriezellen sowie
  • 100 Prozent der Elektrolyseure.

Wenn man den aktuellen Bedarf zu Grunde legt, sind diese prozentualen Zielmarken bei Windenergieanlagen, Wärmepumpen und zur Hälfte bei Batteriezellen bereits erreicht. Da die Nachfrage nach den grünen Technologien aber im Zuge der europäischen Klimapläne in den nächsten Jahren rapide anstiegen wird, ist die tatsächliche Lücke zu den Zielwerten 2030 deutlich größer. In der Abbildung ist der bisherige Stand in Bezug auf die Zielmarken und Bedarfe in 2030 zu erkennen. Demnach zeigen die aufgeführten Zielmarken mit Bezug auf den Bedarf in 2030 wieviel Prozent die EU über die Anlagenfertigung innerhalb Europas abdecken möchte und welche Anteile des zukünftigen Bedarfs über bereits bestehende Fertigungskapazitäten gedeckt werden können. In allen Bereichen zeigt sich großer Ausbaubedarf, die relative Lücke ist allerdings bei den Elektrolyseuren und der Photovoltaik am größten: Beispielsweise sollen europäische Produktionsstandorte bis 2030 45 Prozent des Bedarfs der jährlich neu installierten Solaranlagen abdecken können. Bisher könnten die bestehenden Produktionskapazitäten nur knapp 2 Prozent der für 2030 erwarteten Nachfrage versorgen.

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Die heute sehr geringen Anteile bei einigen Technologien ergeben sich daraus, dass für deren Berechnung alle Komponenten entlang der Produktionskette berücksichtigt werden. Das heißt, sie beziehen sich jeweils auf den Teil der Produktionskette mit dem geringsten Anteil europäischer Produktion. Ein gutes Beispiel ist die Photovoltaik: In den vergangenen Jahren wurden hohe Anteile der benötigten Polysilikone und Module in Europa gefertigt, aber die sogenannten Wafer-Silizium-Blöcke, die zu Solarzellen weiterverarbeitet werden, wurden nahezu ausschließlich in China produziert und von dort importiert (European Commission, 2023). Die Zielmarken im Rahmen des NZIA können daher nur erreicht werden, wenn bei allen zentralen Komponenten die gesetzten Mindestanteile erreicht werden. Dadurch will sich die EU zukünftig besser vor den Risiken einseitiger Abhängigkeiten in Zeiten wachsender geopolitischer Unsicherheit schützen und verhindern, dass Lieferkettenprobleme die Umsetzung des Europäischen Green Deals erschweren. Gleichzeitig macht dieser Ansatz die Zielerreichung deutlich ambitionierter.  

Chancen für deutsche Unternehmen

Neben der Herausforderung die gesetzten Zielmarken zu erreichen, sind damit allerdings auch ökonomische Chancen verbunden. Bei einigen der Technologien weisen deutsche Unternehmen bereits heute nennenswerte Weltmarktanteile auf. Vor allem in der Herstellung elektrischer Ausrüstung und dem Maschinenbau ist aufgrund des hohen Bedarfs nach neuen Technologien von enormen Potenzialen auszugehen. Insgesamt machten diese beiden Branchen mit über 18 Prozent bereits in den vergangenen Jahren den größten Anteil des Umsatzes im Verarbeitenden Gewerbe aus (Destatis, 2021). Beispielsweise im Bereich der technischen Maschinen und Apparate, dem auch Elektrolyseure zugeordnet werden, war Deutschland im Jahr 2016 noch Weltmarktführer mit 19 Prozent der weltweit verkauften Anlagen. Mit einem deutlichen Anstieg des Marktes nahmen die deutschen Anteile zwar ab, allerdings bestehen auch heute noch hohe Markanteile von knapp 9 Prozent (UN Comtrade Database, 2023).  

Allerdings werden auch in diesen Branchen Risiken bei der Umsetzung des Green Deals erwartet: So sieht jedes zweite Unternehmen des Maschinen- und Fahrzeugbaus sowie der Elektroindustrie die unklare Kosten-Nutzen-Relation als großes Hemmnis bei der Umsetzung der EU-Klimapläne (Küper et al., 2023). Auch Abwanderungen ins außereuropäische Ausland innerhalb der eigenen Branche werden von einigen befürchtet: So gaben in der Frühlingswelle des IW-Zukunftspanels 11,9 Prozent der Unternehmen in den Bereichen Elektronik und Maschinenbau an, dass sie davon ausgehen, dass „viele“ oder „fast alle“ Unternehmen der eigenen Branche ins außereuropäische Ausland abwandern könnten. Branchenübergreifend befürchteten dies nur 4,5 Prozent der befragten Unternehmen (Fischer et al., 2023).

Abhängigkeiten senken und ökonomische Potenziale heben

Die geplante Förderung von Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz grüner Schlüsseltechnologien ist zentral zur Erreichung der europäischen Klimaziele. Eine systematische Erfassung und Monitoring potenzieller Importabhängigkeiten in der gesamten Liefer- und Wertschöpfungskette grüner Technologien wird in den nächsten Jahren notwendig sein, um eine erfolgreiche Transformation nicht durch Lieferkettenprobleme zu gefährden. Dabei ist es sinnvoll, dass man sich gegen starre Zielvorgaben entschieden hat. Der Ansatz des amerikanischen IRA zeigt exemplarisch, wie eine breite Förderung von Produktionskapazitäten grüner Technologien aussehen kann; etwa indem Standortvoraussetzungen branchen- und technologieübergreifend gestärkt werden und der Bau neuer Anlagen finanziell und regulatorisch angereizt wird. Daher braucht es vor allem die passenden Maßnahmen, um den Ausbau der Fertigungskapazitäten anzureizen – eine politische Zielsetzung allein reicht nicht aus.  Ein breiter Ansatz ist der politischen Vorauswahl bestimmter Technologien zudem vorzuziehen. So findet sich etwa der beschleunigte Ausbau neuer Gaskraftwerke – die langfristig mit klimafreundlichem Wasserstoff betrieben werden können - nicht in den von der EU ausgewählten Schlüsseltechnologien. Dieser ist auf dem Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem allerdings unabdingbar. Trotz der ambitionierten Zielmarken bleibt zudem die Frage offen, wie genau die Produktion grüner Schlüsseltechnologien innerhalb der EU verstärkt gefördert werden soll. Gerade Aspekte der Finanzierung sind weiter ungeklärt.  

Insbesondere Deutschland könnte enorm von seiner hohen wirtschaftlichen Spezialisierung und Exportausrichtung profitieren. Der Standort Deutschland erweist sich allerdings durch die Energiepreiskrise weiterhin als Sorgenkind, die Produktion der energieintensiven Industrie liegt immer noch deutlich unter dem langjährigen Mittel. Hinzu kommen weiterhin bröckelnde Verkehrsinfrastrukturen und langwierige Genehmigungsverfahren. Diese wirtschaftliche Realität steht gegensätzlich zu den Plänen der EU; ohne eine grundsätzliche Stärkung des hiesigen Standortes erscheint die Umsetzbarkeit aus deutscher Perspektive daher zum jetzigen Zeitpunkt in weiter Ferne.  

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