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Susanne Seyda im Deutschlandfunk Interview 13. Januar 2015

"Wir haben derzeit 139 Engpassberufe festgestellt"

Bei einem Engpassberuf reicht die Zahl der Arbeitslosen nicht aus, um offene Stellen zu besetzten. Derzeit sind es laut des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) 139. Um dem entgegenzuwirken, sollte bei der Berufswahl angesetzt werden, damit zum Beispiel mehr Ausbildungsabbrüche verhindert würden, sagte Susanne Seyda vom IW im Deutschlandfunk.

Wenn in einem Beruf rein rechnerisch die Zahl der Arbeitslosen nicht ausreicht, um alle offenen Stellen besetzen zu können, dann sprechen Arbeitsmarktexperten von einem Engpass - und diese Engpassberufe werden vom Institut der deutschen Wirtschaft regelmäßig beobachtet: Jedes halbe Jahr erscheint ein Bericht, der uns sagt, in welchen Bereichen die Situation besonders angespannt ist. Der Fachkräftemangel lässt eben grüßen. Nun liegen die aktuellen Zahlen vor, und ich habe mit Dr. Susanne Seyda darüber gesprochen, der Koautorin dieser Studie. Sie sagt, die Lage sei diesmal besonders ernst.

Die Lage ist deswegen besonders ernst, weil wir auch ein demografisches Problem haben, das heißt, wir haben immer weniger Menschen im erwerbsfähigen Alter. Und wir haben derzeit in den Berufen, die wir als Engpassberufe diagnostiziert haben, etwa 6,7 Millionen Beschäftigte, und von denen sind 2,1 Millionen derzeit 50 Jahre oder älter, das heißt, diese Menschen werden im Verlauf der nächsten 15 Jahre in Rente gehen und können somit potenzielle Fachkräftemangel noch weiter verschärfen.

Und welche sind das jetzt genau, können Sie mal Beispiele geben?

Wir haben derzeit 139 Engpassberufe festgestellt, und diese Engpassberufe finden wir auf allen drei Qualifikationsniveaus, also wir finden sie in Berufen, die eine abgeschlossene Berufsausbildung voraussetzen, wir haben sie aber auch bei Berufen, für die ein Fortbildungsabschluss erforderlich ist, und wir haben sie auch bei Berufen für Akademiker. Wir können zwei Schwerpunkte ausmachen bei den Engpassberufen, und zwar zum einen Gesundheitsberufe und zum anderen MINT-Berufe, also Berufe aus dem Bereich Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Und für diese beiden Schwerpunkte, Gesundheit und MINT, gilt eben auch, dass wir die auch über alle drei Qualifikationsniveaus sehen.

Was ist denn aus Ihrer Sicht sozusagen die Handlungsempfehlung daraus? Dass die Unternehmen sich langsam aufmachen, hört man immer wieder, merkt man auch, aber offenbar reicht das nicht.

Ja, Unternehmen haben drei Ansatzpunkte, um dem Fachkräftemangel oder Fachkräfteengpässen zu begegnen. Das ist einmal das große Feld der Rekrutierung von Fachkräften, das ist zum Zweiten die Frage, wie kann man Fachkräfte qualifizieren oder weiterqualifizieren, und der dritte Punkt ist: Wie kann das Unternehmen bereits vorhandene Fachkräfte an das Unternehmen binden? Und wenn wir die Punkte einzeln betrachten, dann stellen sich bei der Frage, wie man Fachkräfte rekrutiert, zwei Unterfragen, zum einen die Frage: Wie werden Fachkräfte gesucht? Das ist die Frage der Suchwege: Werden klassische Wege über die Bundesagentur für Arbeit oder über Stellenanzeigen in Zeitungen gewählt, oder hat das Unternehmen hier auch schon soziale Netzwerke, soziale Medien im Blick, werden Internetanzeigen geschaltet und solche Wege beschritten? Und der zweite Unterpunkt ist: Wer wird gesucht, in welcher Personengruppe wird rekrutiert? Liegt da der Fokus auf den klassischen Personengruppen, die das Unternehmen bisher auch immer schon versucht hat, anzusprechen, oder ist der Fokus auch hier schon erweitert worden, dass zum Beispiel für Ausbildungsplätze auch lernschwächere Jugendliche in Betracht kommen oder eben das Unternehmen auch versucht, internationale Fachkräfte zu rekrutieren?

Da geben Sie schon das gute Stichwort: die jungen Kräfte, die nachwachsen. Wir wissen ja, dass das auf dem Ausbildungsmarkt auch eine Art Mismatching gibt, wie Sie, glaube ich, als Arbeitsmarktexperten sagen, also zwischen Anbietern und Suchenden. Es wird nicht die richtige Lösung gefunden. Die Engpässe, die Sie gerade beschrieben haben, sind die da begründet?

Also, wir sehen, dass die Unternehmen in den vergangenen Jahren auf die Engpässe in bestimmten Berufen schon reagiert haben in der Form, dass wir ihr Ausbildungsplatzangebot in Engpassberufen erweitert haben und zwar auch beträchtlich. Also wir sehen ja Steigerungen von 16 Prozent, 16 Prozent mehr Ausbildungsstellen in Engpassberufen sind angeboten worden. Wir haben auf der Gegenseite das Problem, dass wir bei den Schulabgängern den demografischen Wandel bereits spüren und aber auch die Jugendlichen eine leichte Tendenz hin zu Engpassberufen zeigen, das gilt nicht für alle Engpassberufe natürlich, aber sodass wir eher daraus eigentlich schlussfolgern, dass wir stärker in die Berufsorientierung investieren müssen, dass wir hier Verbesserungen machen müssen, dass den Jugendlichen, wenn sie sich für einen Beruf entscheiden, auch ausreichend Informationen zur Verfügung stehen, dass sie eine Vielzahl an Berufen kennen, wissen, welche Arbeitsmarktchancen sich daraus ergeben und eben dann eine fundierte Berufswahl treffen können.

Können Sie denn mal sagen, welche Berufe ganz besonders betroffen sind?

Also, bei Berufen, die eine abgeschlossene Berufsausbildung voraussetzen, ist der knappste Beruf aktuell der des Kältetechnikers, aber auch Hörgeräteakustiker sind knapp und uns fehlen viele Altenpfleger. Wenn wir uns die Berufe anschauen, die einen Fortbildungsabschluss erfordern, dann finden wir hier auch Gesundheitsberufe, allen voran die Fachkrankenpflege, das sind zum Beispiel OP-Schwestern oder Intensivpfleger, aber auch Physiotherapeuten und eben auch Berufe in der Metallbearbeitung oder in der Elektrotechnik.

Und der Kraftfahrer, habe ich gelesen, ist auch besonders bedroht?

Der Kraftfahrer ist vor allem mengenmäßig wichtig. Wir haben uns angeschaut, wie hoch der Anteil der Beschäftigten, die älter als 50 Jahre sind, in den Engpassberufen ist, und wenn wir da auf absolute Größen sehen, dann sehen wir, dass bei den Berufskraftfahrern knapp 230.000 Beschäftigte älter als 50 Jahre sind und daher zukünftig ersetzt werden müssen, und das entspricht 43 Prozent aller Beschäftigten. Also es ist ein richtig großer Anteil.

Frau Seyda, was würden Sie denn jetzt empfehlen? Was muss eigentlich passieren, damit die Engpassberufe aus diesem Engpass rauskommen?

Ich halte für sinnvoll, dass wir da sehr früh ansetzen, eben bei der Berufswahl, dass wir hier diesen Mismatch ein bisschen verringern können. Also, wir haben in der Zeit eine hohe Anzahl an Ausbildungsverträgen, die vorzeitig gelöst werden, also Ausbildungsabbrüche, wir haben auch Studienabbrüche in erheblichem Ausmaße, und hier sehe ich eigentlich großes Potenzial, dass über eine bessere Information der Jugendlichen, welche Arbeitsmarktchancen sich aus ihrem gewählten Beruf ergeben, wir aus den Engpässen ein bisschen rauskommen können.

Das Interview zum Anhören auf Deutschlandfunk.de

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