IW-Direktor Michael Hüther verlangt im Deutschlandradio Kultur eine offensivere Einwanderungsstrategie. Die Politik müsse deutlicher auf eine "Willkommenskultur" setzen, anstatt Zuwanderung zu erschweren, sagt der Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft.
Wirtschaftsexperte kritisiert Zuwanderungsrecht
Herr Hüther, heute stellen Sie eine Untersuchung zum Thema vor. Da ging es um Kosten und Nutzen der Zuwanderung. Mit welchem Ergebnis?
Mit einem sehr ermutigenden Ergebnis, denn in den Jahren seit 2000 ist die Struktur der Zuwanderung in eine Richtung gegangen, die für uns wichtig ist. Die Qualifikation der Zugewanderten hat fortlaufend zugenommen, und sie liegt heute, wenn man den Akademikeranteil beispielsweise nimmt oder den Anteil derjenigen, die bei uns Fach- und Führungspositionen erreicht haben, über dem Durchschnitt oder zumindest beim Durchschnitt der deutschen Bevölkerung, und das ist eine, glaube ich, ganz wichtige Entwicklung, denn wir hatten ja vor 15 Jahren noch ganz andere Diskussionen darüber.
Und ganz grundsätzlich noch mal: Weshalb brauchen wir denn die Fachkräfte aus dem Ausland?
Nun, der Hintergrund ist der demografische Wandel. Das hat mit Schrumpfung der heimischen Bevölkerung zu tun, die geringe Geburtenrate seit Mitte der 70er-Jahre ist kennzeichnend für Deutschland wie für keine andere ausgewachsene Ökonomie. Und der Altersstruktureffekt, der sich dadurch, aber auch durch die steigende Lebenserwartung ergibt, sodass wir zu wenige haben, die von unten nachwachsen in das Erwerbssystem, und jetzt gerade die großen Baby-Boomer-Jahrgänge aus dem System herausgehen. Und deswegen ist Zuwanderung ein ganz wichtiges Element, neben vielen anderen. Es ist nicht das einzige, aber ein wichtiges Element in der Lösung dieses demografischen Wandels für unsere Wirtschaftskraft. Wenn uns Fachkräfte fehlen, kann Wertschöpfung nicht entstehen, und an einer nicht besetzten Stelle für eine Fachkraft hängen meistens noch ein bis zwei Stellen mit geringerer Qualifikation.
Sie sagen also, das ist einerseits wichtig, andererseits haben wir die Zahlen, dass eben mehr qualifizierte Zuwanderer kommen. Es gibt aber auch Wissenschaftler, die sagen, wir tun noch nicht genug im Vergleich zu anderen europäischen Ländern und bräuchten eine offensivere Einwanderungsstrategie. Teilen Sie das?
Das ist sicherlich eine wichtige Ableitung, und zu dem Ergebnis kommen wir auch. Denn auf der einen Seite gilt, dass wir viel getan haben in Deutschland – das Zuwanderungsrecht ist in den letzten Jahren deutlich entschlackt, überhaupt vereinfacht worden. Auch die Gehaltsansprüche, die jemand realisieren muss, wenn er ins Land von außerhalb der Europäischen Union kommt, sind abgesenkt worden, sind realistischer geworden, aber unser Zuwanderungsrecht ist, wenn man es allein vom Wortlaut betrachtet, immer noch ein Zuwanderungsverhinderungsrecht. Wir sollten sehr viel deutlicher klar machen, was gewünscht ist. Da gibt es einige Initiativen wie die Fachkräfteoffensive der Bundesregierung "Make it in Germany", aber da kann man noch sehr viel deutlicher auf Willkommenskultur setzen und vor allen Dingen auf einen Bereich setzen, wo es nicht so einfach geht. Akademiker kommen leichter, weil sie wissen, deutsche Universitäten bieten Abschlüsse, die bedeutsam sind und einen guten Einstieg in das Erwerbsleben offerieren. Die duale Berufsausbildung ist im Ausland vergleichsweise unbekannt. Die gibt es ja nur in Deutschland, Österreich, der Schweiz. Und dafür zu werben, wo wir einen besonderen Engpass haben, das wäre noch mal besonders wichtig, und dafür auch die Eintrittsvoraussetzungen zu senken.
Willkommenskultur - das ist so ein schönes Wort. Was heißt denn konkret Willkommenskultur?
Das heißt, dass das Land insgesamt deutlich macht, dass der Weg nach Deutschland einfach ist. Das kann man heute über dieses Internetportal "Make it in Germany" schon sehr deutlich sehen, wie das gehen kann. Dann hat es aber zu tun mit dem Entgegenkommen hier im Land, mit den Voraussetzungen, die man da formuliert. Beispielsweise müssen beruflich Qualifizierte bereits einen Arbeitsvertrag vorweisen, wenn sie hier einreisen wollen. Das ist relativ unhandlich, das erschwert wirklich die Arbeitssuche. Und dann auch klarzumachen, dass es in den Kommunen etwas ist, was mit einer deutlich positiven Ansprache verbunden ist. Die aktuelle Diskussion betont ja ein Randproblem, dass es sicherlich auch gibt, aber tut so, als sei es das Hauptproblem. Und das ist natürlich nicht förderlich für die Debatte insgesamt.
Haben Sie denn da in Ihrer Untersuchung auch Zahlen zu? Also, sagen wir es konkret, was Bulgaren und Rumänen angeht, um die gerade diskutiert wird.
Auch das haben wir uns mit Blick auf die aktuelle Diskussion extra angeschaut, und man stellt beispielsweise fest, der Anteil, der zuletzt aus Bulgarien und Rumänien Zugewanderten mit einem Hochschulabschluss liegt bei 24,5 Prozent, etwas niedriger als bei den insgesamt Zuwandernden, aber deutlich höher als der Akademikeranteil im Land, der in dem Zeitraum bei 18,7 Prozent lag. Und es ist auch ein deutlicher Fortschritt zu beobachten bei der Einbindung bei Zuwanderern aus Bulgarien und Rumänien in Fach- und Führungspositionen. Und auch die MINT-Qualifikation, also in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, im Technikbereich, die ja sehr wichtig sind für unsere industriebasierte Ökonomie, liegt auch bei den Rumänen der Anteil mit 8,4 deutlich höher aus der der Gesamtbevölkerung mit 5,7. Also auch die Strukturdaten sprechen dafür, dass hier viel, viel Geklingel und Geschrei gemacht wird. Eine etwas nüchternere Betrachtung der Zahlen wäre hilfreich, bei allem, was es in Brennpunktsituationen einzelner Kommunen wie in jedem Land der Welt immer auch gibt.
Sie haben trotzdem vorhin gesagt, wir müssten in Deutschland klar machen, wen wir hier wollen und brauchen. Droht da so ein bisschen ein Zwei-Klassen-System der Zuwanderung? Dass wir einerseits hochqualifizierte Fachkräfte anlocken, hier haben wollen, andererseits aber andere Zuwanderer, die ja einfach auch das Recht auf Freizügigkeit haben, vergessen?
Nun, das ist sicherlich nicht eine Frage des Vergessens, aber es ist schon richtig, dann auf den europäischen Verantwortungsverbund insgesamt zu schauen, dass man auch guckt, was kann man eigentlich vor Ort, in den europäischen Ländern machen, die ein sehr geringes Pro-Kopf-Einkommen, gemessen an der deutschen Situation haben, um dort auskömmliche Situationen zu machen. Denn den Ländern ist ja jetzt auch nicht geholfen, wenn wir die Leistungsträger abziehen und dann noch etwas hinterherkommt, was politische Armutswanderung genannt wird, aber hier Probleme schafft, dort aber auch keine Probleme wirklich löst. Es ist schon auch eine Frage einer europäischen gemeinsamen Perspektive. Aber natürlich sind das immer sozusagen vielschichtige Aspekte. Zuwanderung ist nie einfach, weil sie Integrationsbereitschaft und Integrationsleistungen voraussetzt. Und wir haben ja erlebt, dass in den letzten Jahren der Anstieg auf 400.000 netto gelungen ist. Und das ist ja eigentlich erst mal die wichtige, die zentrale Botschaft für Deutschland.
Integrationsbereitschaft und Integrationsleistung. Was tut denn umgekehrt die Wirtschaft für die Integration dieser Menschen?
Nun, dass sie mit den Arbeitsplatzangeboten auch Integrationsleistungen erbringt. Dass das Sprachangebote sind, dass das Versuche sind, in den neuen kulturellen Raum sich einzufinden, damit dann auch hier leichter Fuß zu fassen. Dass man Voraussetzungen schafft, leichter an Wohnraum zu kommen. Also das, was das Leben insgesamt ausmacht und nicht nur auf die Tätigkeit im Betrieb zu schauen, denn all das funktioniert natürlich nicht, wenn die Menschen hier keinen auskömmlichen Rahmen finden, auskömmlich gar nicht mal im ökonomischen Sinne, sondern im Sinne einer Anbindung an soziale Strukturen. Und wir wissen alle, dass die beste Einbindung natürlich über das Erwerbsverhältnis ist, das ist die zentrale und die stabile Struktur, in der wir uns bewegen. Und dann kommt man auch in die Kommune, aber das tun die Unternehmen. Das trifft alle Größenordnungen, und sicherlich sehr unterschiedlich große, international aufgestellte Unternehmen sind in der Lage, von den Auslandsstandorten hierher zu transportieren die Menschen, denen zu zeigen, was es hier gibt. Die kleineren und mittleren, die müssen das in den Regionen tun. Die binden sich zusammen und geben entsprechend Signale, dass man auch in einer industriell basierten Industrie im Sauerland gut als Ausländer zurechtkommt, dass man dort begrüßt wird.
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