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Michael Hüther im Unternehmermagazin Creditreform Interview 1. Februar 2022

„Der Staat muss endlich wirksam handeln”

Über Deutschlands Rolle in globalen Systemkonflikten, unternehmerische Chancen für mehr Wachstum und die Aufgabe der neuen Bundesregierung, die gefährliche Erstarrungstendenz zu überwinden, spricht IW-Direktor Michael Hüther im Interview mit dem Unternehmermagazin Creditreform.

Herr Hüther, in Ihrem Buch „Erschöpft durch die Pandemie“ beschreiben Sie die Welt in einem epochalen Umbruch. Wie genau verändert Corona die globale Wirtschaft?

Corona ist nicht nur ein Stresstest, wie viele sagen. Die Pandemie verschärft die schon vorher eingetretene Erschöpfung. Die Globalisierung, die wir seit 1990 mit der Öffnung Osteuropas und der starken Einbindung Chinas immer intensiver erleben, ist in einen Ausreifungsprozess eingetreten. In den transatlantischen Ländern wächst die Erkenntnis: Es geht nicht mehr nur um Marktexpansion und für uns günstigere Preise, sondern wir müssen selbst eine Anpassungsleistung erbringen. Globalisierung heißt zudem, dass unsere lange gehegte Sicherheitsillusion nicht so einfach fortzusetzen ist. Zugleich erfasst die Erschöpfung auch Schwellen- und Entwicklungsländer. Die Hoffnung, dass Kapital kommt und die Wirtschaft effizienter wird, hat sich vielerorts so nicht erfüllt.

Was bedeutet diese Entwicklung für Deutschland?

Wir erleben einen Systemkonflikt zwischen dem transatlantischen Westen und China auf der einen Seite und einen Machtkampf mit Russland auf der anderen Seite. In China aktiv zu sein, ist für Unternehmen zunehmend auch eine ideologische Herausforderung – mit Blick etwa auf das Social-Scoring-Modell oder die in Unternehmen zu duldenden Parteigruppen. Vielerorts hat sich schon vor der Pandemie eine Ernüchterung eingestellt. Lange dachte man: Wenn man nur Freihandel betreibt und vor Ort investiert, wird es schon zu einer demokratischeren Gesellschaft werden. Diese Erwartung wurde vielfach enttäuscht, die Konflikte nehmen zu.

Viele Mittelständler hängen stark ab von globalen Märkten. Wie können sie nun reagieren?

Corona hat die Frage der globalen Lieferketten besonders in den Mittelpunkt gerückt. Wir erleben hier enorme Umwälzungsprozesse, die Familienunternehmen genauso betreffen wie große Aktiengesellschaften. Das Thema Halbleiter im Bereich Automobil hat uns massiv und unvorbereitet getroffen. Eine geschärfte Erkenntnis ist nun, dass sich ein Unternehmen nie von einzelnen Märkten abhängig machen darf. Es gilt zudem, das geistige Eigentum besser zu schützen – nach China sollte man nicht mit der neuesten Technologie expandieren.

Wie steht es perspektivisch um die Innovationskraft der deutschen Unternehmen? Schließlich war Hightech immer ein Erfolgsfaktor im internationalen Geschäft.

Was am deutschen Standort passiert, ist schon erheblich. Milliardeninvestitionen werden nach Deutschland gelenkt, um hier Kapazitäten etwa für das autonome Fahren oder für Batterietechnologie aufzubauen. Auch Apple will in den nächsten Jahren massiv in Deutschland investieren. Wir haben gute Forschungseinrichtungen, die Gehälter liegen noch in einem realistischen Rahmen – und man findet hier immer noch leichter Programmierer als im Silicon Valley. Zudem ist die Lebensqualität hoch. Unser Problem ist eher die schwache Wirksamkeit staatlichen Handelns in bestimmten Bereichen. Ob Verkehr, Energie oder Digitales: Die Infrastrukturen sind längst nicht so weit, wie sie laut den Versprechen der vorherigen Regierung sein sollten.

Was am deutschen Standort passiert, ist schon erheblich. Milliardeninvestitionen werden nach Deutschland gelenkt.

Die neue Regierung will umsteuern. Stimmt nun der Kurs?

Ich finde erbaulich, dass im Koalitionsvertrag das erste Kapitel „Moderner Staat, digitaler Aufbruch und Innovationen“ heißt. Das gehört da auch hin, das ist Priorität Nummer eins. Wir brauchen wirksame Staatlichkeit. Nur ein Beispiel sind die Genehmigungs- und Planungsverfahren, die bei uns häufig zu lange dauern. Schnelles Investieren erfordert eben schnelles Verwaltungshandeln. Wir werden nun sehen, was dabei tatsächlich und schnell gelingt.

Ihr Institut betont in einer aktuellen Studie die Bedeutung von Startups und Risikokapital für Wachstum. Doch Deutschland schneidet schlecht ab. Warum?

In der Tat sehen wir bei Existenzgründungen langfristig einen Rückgang, der sich nicht wirklich korrigiert. Ich glaube, es hängt auch mit dem Unternehmerbild zusammen, das in Politik, Medien und Öffentlichkeit vorherrscht. Viele Leute wissen gar nicht, was ein Unternehmen bewirkt und was die Motivation dahinter ist. Gewinne zu erwirtschaften, bedeutet ja nicht, in den Turbokapitalismus einzutreten. Erst Gewinne machen eine nachhaltige Unternehmensentwicklung möglich. In der Politik begreifen die Leute oft erst, was Ökonomie ist, wenn sie ihr Amt verloren haben.

Die Höhe der Gewinne hängt auch von den Unternehmenssteuern ab. Ist hier eine Reform nötig?

Die neue Regierung plant eine Superabschreibung für Klimaschutz und digitale Wirtschaftsgüter – das ist sicherlich ein richtiger Ansatz. Aber darüber hinaus ist systematisch leider nichts vorgesehen. Wichtig wäre davon unabhängig, den Soli schleunigst abzuschaffen. Der wird nämlich zu 70 Prozent von Unternehmen gezahlt, quasi wie eine Unternehmensreststeuer, die ins System nicht hineinpasst. Ohne Soli würde Deutschland bei der Körperschaftsteuer im internationalen Vergleich etwas günstiger dastehen.

Ein ewiges Streitthema ist auch die Erbschaftsteuer – lässt es sich lösen?

Ich denke, so richtig schön wird es dabei nie. Ich glaube zwar nicht, dass wir die Erbschaftsteuer abschaffen sollten. Wir könnten aber gucken, ob sich die Dinge nicht mit einem sehr geringen Steuersatz vereinfachen ließen. Im Moment ist es kompliziert, allein schon wegen der zehnjährigen Dokumentationspflichten – etwa bei der Frage, ob die Beschäftigung gehalten wurde. Da muss man im Zweifel sogar die gesamtwirtschaftliche Lage heranziehen. Das ist nicht attraktiv und auch von den Transaktionskosten her sehr aufwendig. Wir werden aber mit Kompromissen leben müssen.

Gilt das auch für den Arbeitsmarkt? Das IW hat jüngst errechnet, dass der Arbeitskräftemangel Deutschland bis zum Jahr 2035 rund 326 Milliarden Euro nicht realisierte Wohlstandsgewinne kostet.

Die neue Regierung, und das ist sicherlich der schwächste Teil des Koalitionsvertrags, ignoriert allein durch Nichtnennung das Problem der demographischen Alterung. Es ist aber so, dass ab Mitte des Jahrzehnts das Erwerbspersonenpotenzial schrumpft und wir das auch nicht einfach durch Zuwanderung kompensieren können. Wir rechnen bereits mit der Annahme, dass jedes Jahr 200.000 mehr Menschen ins Land kommen als das Land verlassen. Das kann man nicht beliebig steigern, weil sich damit ja enorme Integrationsaufgaben verbinden. Deswegen müssen Rahmenbedingungen so verändert werden, dass die, die im Land sind, höhere Beiträge leisten können.

Allein auf das Wachstum der Produktivität zu hoffen, greift zu kurz.

Das heißt?

Man könnte zumindest bis 2030 den Austritt der Babyboomer aus dem Erwerbsleben kompensieren, indem die Erwerbstätigen zwei Stunden mehr in der Woche arbeiten. Die Schweizer machen das, bei den Schweden ist es eine Stunde mehr pro Woche als bei uns. Und man wird jetzt nicht sagen, dass die Schweiz und Schweden unsoziale Länder sind; auch die Lebenserwartung ist dort höher als hierzulande. Allein auf das Wachstum der Produktivität zu hoffen, greift jedenfalls zu kurz.

Das Anheben des Renteneintrittsalters auf 67 bis Ende des Jahrzehnts reicht nicht?

Unser demografisches Problem beginnt 2025, also müssen wir früher etwas machen und einsteuern.

Nach Jahren mit geringer Inflation wächst nun die Sorge vor einer Stagflation – also hoher Inflation gekoppelt mit schwachem Wachstum. Zu Recht?

Was wir im Augenblick erleben, sind kurzfristige Effekte. Wir haben bei der Inflationsrate die Mehrwertsteuerthematik, die CO2-Preisthematik und einzelne Preiseffekte aufgrund der Lieferengpässe. Das erklärt im Wesentlichen den Anstieg gegenüber dem Vorjahr. Ich sehe aber ein veritables Risiko der Stagflation ab der zweiten Hälfte des Jahrzehnts. Denn mit wachsenden Problemen, Fachkräfte zu bekommen, steigt der Kostendruck beim Faktor Arbeit. Und der CO2-Preis, vergleichbar mit dem Ölpreis der 70er Jahre, soll ansteigen.

Beim Wachstum schüren Sie immerhin etwas Optimismus: Sie prognostizieren vier Prozent für 2022. Wie sicher sind Sie angesichts der anhaltenden Pandemie?

Unsere jüngste Verbandsumfrage zeigt eine außerordentlich optimistische Wirtschaft. Da ist natürlich viel Nachholen drin und viel Hoffnung darauf, dass sich die ganzen Lieferprobleme bereinigen. Keiner kann Mutationen prognostizieren, mit welchen Folgen für die Volkswirtschaft auch immer. Aber es kann nun auch die Phase beginnen, in der Corona endemisch wird. Etwas Unsicherheit bleibt natürlich. Ich glaube aber nicht, dass wir noch mal Gefahr laufen, dass weltwirtschaftlich alles dicht gemacht wird wie vor gut einem Jahr. Die verheerenden Folgen hat jeder gesehen. Also wird man versuchen, die Kreisläufe einigermaßen in Gang zu halten. Ein Problem bleibt China, das mit seiner – eigentlich gescheiterten – No-Covid-Strategie Gefahr läuft, immer wieder Lieferprobleme zu verursachen.

Wird also die von Ihnen diagnostizierte Erschöpfung mit einem Abklingen der Pandemie wieder nachlassen?

In der Weltwirtschaft bleiben große Herausforderungen, weil wir politische Antworten in Richtung China und Russland brauchen. Es sind letztlich Machtfragen. Und wenn man Machtfragen verhandeln will, dann muss man auch machtvoll sein. Das sind wir aber nicht. Eine entscheidende Voraussetzung dafür, dass die Dinge auch nach unseren Vorstellungen gestaltet werden können, ist die Europäische Verteidigungsunion. Sie muss finanziell und auch mit Blick auf ihre Wirksamkeit gestärkt werden. Einem eiskalten Machtpolitiker wie Wladimir Putin muss man eben auch das Drohgeschirr zeigen.

Wie gehen Unternehmer mit einer solchen machtpolitischen Lage um? Haben sie es selbst in der Hand, da etwas zum Besseren zu wenden?

Man muss sich in der Tat genau überlegen, in welche Märkte man geht. Aber je stabiler und je kräftiger Europa ist, desto eher ist das auch eine Absicherung für die Wirtschaft. Es geht auch darum, die Europäische Union als Investitions-Union zu denken. Ich halte es für ein gutes Investment, wenn man etwa mit dem Next-Generation-EU-Paket mit 750 Milliarden Euro dafür sorgt, dass Europa wirtschaftlich besser auf die Beine kommt. Wir müssen in Europa investieren und nicht nur die hehren Grundsätze hochhalten. Denn sonst kriegen wir genau diese Absicherung nicht.

Zum Interview auf creditreform-magazin.de

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