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Hans-Peter Klös im randstadkorrespondent Interview 18. August 2015

Digitalisierung lässt eine neue Ökonomie wachsen

Die Volkswirtschaft erhält einen digitalen Drall. Im Interview mit dem Kundenmagazin des Personaldienstleisters Randstad zeigt IW-Wissenschaftsleiter Hans-Peter Klös Veränderungen, „die das industrielle Herz Deutschlands noch kräftiger machen können“.

Die „Wirtschaft 4.0“ wird bisher überwiegend als technisch-strategische Aufgabe betrachtet - sowohl für den Staat wie auch für viele Unternehmen. Ist die volkswirtschaftliche Komponente tatsächlich nachrangig?

Eindeutig nein. Vielmehr hat die digitale Ökonomie das Potenzial zu einem neuen Kondratieff-Zyklus, also eine Konjunkturbewegung, die eine lange Welle wirtschaftlicher Entwicklungen auslöst. Die Entwicklung wird vor allem getrieben vom exponentiellen Wachstum der digitalen Speicherkapazitäten, die immer neue Formen technischer Lösungen ermöglichen, etwa im Bereich der Robotik. Auch die meisten Lebensbereiche dürften nach und nach immer mehr digitalisiert werden: Mobilität, Bildung, Wohnen, Energie und Gesundheit sind Schnittstellen im persönlichen Lebensumfeld zwischen dem Internet der Dinge und dem Internet der Dienste.

Wir suchen gern nach dem Fortschritt, den eine Entwicklung bringt. Was ist aus Ihrer Sicht das Bessere am Unternehmen 4.0 bzw. an der Arbeit 4.0 gegenüber dem bisherigen Zustand?

Wirtschaft 4.0 ist natürlich vor allem ein Technikthema mit Fragen aus der Welt der industriellen Wertschöpfung: Sensorik/Auto-ID-Technologien, Robotics/Automatisierung, IT-Systemtechnik, Virtualisierungs- und Simulationstechniken, Datenanalyse/BigData, Internettechnologien, Cloud Computing. Aber der Zugang über Technik führt nicht nur immer stärker zu einem Mix von Automatisierungs-, Daten- und Internettechnologien, sondern er ermöglicht auch eine „Industrialisierung“ bei der Produktion von Dienstleistungen. Damit nicht genug: Die neuen technischen Möglichkeiten werden sich dem Grundsatz nach auch auf verschiedene Parameter auswirken, die einen unmittelbaren oder mittelbaren Einfluss auf die Lebensqualität von Menschen haben, etwa weil sie die „Convenience“ beim Zugang zu Dienstleistungen erhöhen, die Zeit für die Suche nach Dienstleistungen verkürzen, die Möglichkeit der kostenlosen Nutzung von Dienstleistungen schaffen oder weil sie den materiellen Ressourcenverbrauch etwa durch die Nutzung von „gewichtslosen“ Dienstleistungen vermindern.

Kommen tatsächlich in der digitalisierten Welt rohstoffarme Länder wie Deutschland vorteilhaft weg, weil Daten als Ressource übermächtig werden?

Es entstehen auch jenseits der industriellen Produktion neue Geschäftsmodelle durch eine stete Neukombination von Daten. Eine Ökonomie wächst heran, in der durch sogenannte Netzwerkexternalitäten Daten stets neue Daten produzieren, neue Märkte schaffen und in welcher der Wert eines Netzwerks im Quadrat zur Zahl der Nutzer steigt. Aber bisher sind die Gründer- und Risikokulturen in den USA und Asien dieser „App-Ökonomien“ einer digitalen Gesellschaft gegenüber offener als Deutschland, das sich – wie Europa insgesamt - etwas schwer damit tut, schnell genug einen einheitlichen digitalen Binnenmarkt zu schaffen, der einerseits das Potenzial von Daten nutzt und andererseits die Schutzbedürfnisse beim Umgang mit Daten sachgerecht befriedigt.

Wie digital ist denn die deutsche Wirtschaft heute schon? Und wie digital soll oder muss sie noch werden?

Bei der Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft rangiert Deutschland europaweit im oberen Drittel. Der branchenbezogene Digitalisierungsgrad ist noch sehr unterschiedlich, aber im Trend stark steigend. Die Verzahnung von Dingen und Diensten eröffnet zudem laufend neue Geschäftsfelder. Deutschland hat bisher komparative Vorteile bei der Bewältigung von Komplexität der industriellen Automatisierungstechnik. Die Sicherung des Vorsprungs bei der Entwicklung zu „Industrie 4.0“ ist daher zu Recht inzwischen ein zentrales wirtschaftspolitisches Ziel.

Gerade die Produktion 4.0 bringt ein Thema wieder ins Spiel, das wir in den 1990er Jahren schon einmal hatten - die Mensch-Maschine-Schnittstelle. Ist denn inzwischen ein Zustand erreicht, der aus dieser Sollbruchstelle eine Schweißnaht macht? Und lohnt sich der Aufwand dafür schon?

Digitalisierung ist ja für sich genommen kein neuer Trend. Die Mehrheit der Beschäftigten arbeitet heute mit Computern, fast 90 Prozent der Unternehmen haben eine Website. Zur Wirtschaft 4.0 wird Digitalisierung erst, wenn sie in Kombination mit Automatisierung und Vernetzung betrachtet wird. Damit wird das Gebiet von Industrie 4.0 betreten: Im Mittelpunkt von Industrie 4.0 steht die echtzeitfähige, intelligente, horizontale und vertikale Vernetzung von Menschen, Maschinen, Objekten und IKT-Systemen zum dynamischen Management von komplexen Systemen. Industrie 4.0 als Teilmenge der Digitalisierung bringt uns deutlich näher an die „Cyber-physischen Systeme“ mit ihrer Mensch-Maschine-Interaktion, die das industrielle Herz Deutschlands noch kräftiger machen können.

Worauf ist zu achten, damit dieses positive Bild auch Wirklichkeit werden kann? Welche Herausforderungen gibt es?

Ein wesentlicher Erfolgsfaktor für die weitere wirtschaftliche Entwicklung sind technische und rechtliche Standards. Wer Standards setzt, bestimmt den Markt. Die USA ist bei der Schaffung von Standards schneller, weil sie auf fallweise Lösungen und Firmenstandards anstatt auf offene von Organisationen abgestimmte Standards setzt. Deshalb kommt es sehr darauf an, dass durch die Schaffung von einheitlichen Standards die verschiedenen Welten „physisch-virtuell“ kommunizieren können. Bedeutsam ist auch, dass funktionsfähiger Wettbewerb in einer Internetökonomie, in der es auch Märkte ohne Umsatz gibt, gesichert werden kann, dass klare Haftungsregeln in vernetzen Wertschöpfungsprozessen gelten und dass geistiges Eigentum wirksam geschützt werden kann. Alles ist aber nichts, wenn sich bei der Breitbandversorgung Deutschland nicht rasch weiterentwickelt.

Täuscht der Eindruck oder klafft in der Industrie 4.0 zwischen dem technisch Möglichen und dem menschlich Machbaren eine breiter werdende Lücke?

Das sehe ich nicht so. Aber neue Techniken schaffen Veränderungen, mit denen wir umgehen müssen. Im Bereich des Arbeitsmarktes etwa stellt sich die Frage, wie sich Arbeits- und Privatleben voneinander abgrenzen lassen oder ob das deutsche Arbeitszeitgesetz noch zeitgemäß ist. Auch bei der Qualifizierung stellen sich Fragen: Wahrscheinlich werden für Industrie 4.0 keine vollständig neuen Berufsbilder und Ausbildungsberufe benötigt. Allerdings ist eine laufende Anpassung nötig.

Braucht es eine andere (Aus- und Weiter-)Bildung? Und wer bezahlt das?

Die Bedeutung der Weiterbildung im Lebensverlauf dürfte deutlich zunehmen. Und auch für die schulische Bildung dürfte die Vermittlung digitaler Kompetenzen an Bedeutung zunehmen. Generationenunterschiede im alltäglichen, selbstverständlichen Umgang mit digitalen Technologien sind wahrscheinlich. Die Bedeutung des beruflichen Erfahrungswissens wird von digitalisierten Unternehmen besonders betont, IT-Fachwissen gewinnt an Bedeutung, der Bedarf an online-Skills nimmt zu – alles in allem also ein Investitionsprogramm für Qualifizierung und auch eine neue Herausforderung für die betriebliche Personalpolitik, die sich stets in einem Spannungsverhältnis zwischen dem Flexibilitätsbedarf des digitalen Marktes und dem Stabilitätsbedarf der Beschäftigten befindet.

Zum Interview auf randstad-korrespondent.de

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