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Axel Plünnecke in der Lampertheimer Zeitung Interview 1. Oktober 2015

Zuwanderung lindert Fachkräftemangel

IW-Ökonom Axel Plünnecke spricht mit der Lampertheimer Zeitung darüber, wie Flüchtlinge helfen können, die Folgen des demografischen Wandels abzufedern.

Die IHK Rhein-Neckar spricht beim Fachkräftemangel von einem der „größten Risiken“ für die Wirtschaft. Zwischen 2015 und 2030 werden jährlich etwa 16 500 Fachkräfte fehlen. Wie deckt sich dieser Befund mit Ihren Erfahrungen?

Generell kann man sehen, dass die Fachkräfteengpässe zunehmen. Allein schon wegen des demografischen Wandels. Zu dieser Einschätzung gelangt nicht nur unser Institut. Bei den gewerblich-technischen Ausbildungsplätzen ist das erkennbar, hier sehen wir einen hohen Anteil älterer Beschäftigter. Diese werden in den nächsten Jahren in den Ruhestand wechseln, gleichzeitig kommen geburtenschwache Jahrgänge nach, die zudem zu einem geringeren Anteil eine gewerblich-technische Ausbildung vorweisen.

Damit sprechen Sie die Personen im erwerbsfähigen Alter an, die in den nächsten 15 bis 20 Jahren weniger werden.

Genau, dann werden insbesondere viele Schlosser, Dreher, Mechatroniker in Rente gehen. Bei den akademischen Berufen kann man diese drohenden Engpässe leichter händeln: Zum einen über normale Zuwanderung, zum anderen durch Zuwanderung über die Hochschulen. Das bedeutet, dass die Hochschulen weniger Studierende haben werden, die aus Deutschland kommen und die freien Kapazitäten durch Studierende aus dem Ausland füllen. Die Rekrutierung ist hier auch einfacher, da es weltweit Studieninteressierte gibt. Gut die Hälfte der ausländischen Studierenden bleibt nach ihrem Abschluss in Deutschland. Anders ist es bei der Berufsausbildung. Hier gibt es keinen Markt für „internationale Azubis“. Insgesamt profitiert Deutschland hier weniger von Zuwanderung.

Wie passt dies nun mit Flüchtlingen zusammen, die nach Aussage einiger Politiker Fachkräfteengpässe lindern könnten?

Zunächst kommen sie ja aus humanitären Gründen, und nicht, um Engpässe zu beseitigen. Sie sind aber durchaus dabei ins Auge zu fassen…

…was der Bundesverband der Deutschen Industrie oder Politiker wie die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer ja tun: Sie fordern einen schnelleren Zugang anerkannter Asylbewerber zum ersten Arbeitsmarkt.

Anerkannte Flüchtlinge können in allen Berufszweigen ohne Hürden arbeiten. Die Prüfverfahren sollten generell schneller werden. Gut wäre es, wenn die Bewerber innerhalb von drei bis fünf Monaten wissen, woran sie sind. Ich finde es wichtig, Personen, die eine Berufsausbildung begonnen haben, die Möglichkeit zu geben, diese dann abzuschließen. Im Idealfall sollten sie hiernach auch in Deutschland bleiben.

In der Berichterstattung wird häufig das Bild des gut ausgebildeten Syrers gezeichnet, der schnell in den Arbeitsmarkt integrierbar sei. Ist dieses Bild realistisch?

Es gibt Schätzungen aus diversen Modellprojekten, die darauf hinweisen, dass rund 20 Prozent der Flüchtlinge einen Hochschulabschluss haben, 30 Prozent einen mittleren Berufsabschluss und 50 Prozent keinen Abschluss – das gilt für die Erwachsenen. Aber es sind viele Kinder und Jugendliche darunter, die ihre Ausbildung noch gar nicht abschließen konnten. Was wir über die Syrer wissen ist, dass unter ihnen viele in Handwerksberufen gearbeitet haben. Hier gibt es eine Tradition, auf die man aufbauen kann. Hier sind Nachqualifizierungen möglich – sofern erst einmal die Sprachkompetenz erworben wurde.

Bislang wird die Sprachförderung in großen Teilen vom Ehrenamt abgedeckt und nicht alle Volkshochschulen haben die Kapazitäten, um die Nachfrage nach solchen Angeboten ausreichend zu bedienen.

Das Bildungssystem steht hier vor großen Herausforderungen. Die Kultusministerkonferenz schätzt, dass 300 000 Flüchtlingskinder in die Schule müssten. Bei einer Lehrer-Schüler-Relation von 1:20 brauchten wir 15 000 Lehrer. Das heißt, wir benötigen schlicht mehr Personal. Daher müssen wir schauen, wo es Lehrer gibt, die nicht in diesem Berufsfeld tätig sind oder 65- bis 70-Jährige über Anreize zurück in die Schule holen, die sich in kleinen Gruppen um die Flüchtlingskinder kümmern können.

Abschließend eine Frage zu Modellrechnungen: Sie selbst hatten in der Vergangenheit Szenarien errechnet, wie viele MINT-Fachleute Deutschland fehlen würden. Am Ende waren es 80 000 statt der prognostizierten 220 000 für 2014. Warum ist die Modellrechnung so schwierig?

In dem von Ihnen genannten Beispiel haben wir im Jahr 2008 für den Zeitraum von 2009 bis 2015 Angebot und Nachfrage an MINT-Akademikern berechnet. Erwähnenswert ist, dass wir in Deutschland von 2005 bis 2009 eine Nettozuwanderung von insgesamt unter 100 000 hatten. Von 2010 bis 2014 hatten wir einen Wanderungsüberschuss von insgesamt rund 1 750 000. Diese Zuwanderungsdynamik war vor 2010 nicht absehbar und ist daher nicht mit in die Modellrechnungen eingeflossen. Die Dynamik der Zuwanderung hat uns überrascht. Gleichzeitig ist trotz der Rekordzuwanderung die Arbeitslosigkeit aber nicht angestiegen. Das heißt, dass es eine Zuwanderung in den Arbeitsmarkt war, die für eine Milderung des Fachkräfteengpasses gesorgt hat.

Zum Interview auf lampertheimer-zeitung.de

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