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(© Foto: Photographer: Hongqi Zhang (aka Michael Zhang and michaeljung) - Fotolia)
Steitgespräch von Axel Plünnecke (IW) und Karl Brenke (DIW) in der Wirtschaftswoche Interview 17. November 2014

Rein in den Schweinezyklus

Warum die Klage über Fachkräftemangel in Mode ist und wie die Chancen für junge Ingenieure stehen – darüber diskutierte IW-Arbeitsmarktexperte Axel Plünnecke mit seinem Kollegen Karl Brenke vom DIW.

Meine Herren, in den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der Studienanfänger in den Ingenieurwissenschaften um etwa 50 Prozent gestiegen. Bei dieser Entwicklung kann man der Diskussion um den Fachkräftemangel doch gelassen entgegensehen...

Brenke: Gelassen? Mich besorgt sie. Aber nicht mit Blick auf den Fachkräftemangel - den sehe ich bei Ingenieuren ohnehin nicht. Sondern weil wir in einigen Jahren zu viele Ingenieure haben werden und die jungen Leute Probleme bekommen, einen Job zu finden. Die Unternehmen klagen über Ingenieurmangel, die Abiturienten orientieren sich daran und stürmen diese Studienfächer. So einen Schweinezyklus hatten wir schon mal Ende der Achtziger, Anfang der Neunzigerjahre, bei EDV-Kräften.

"Der Schweinezyklus existiert doch gar nicht"

Plünnecke: Ach was, dieser Schweinezyklus existiert doch gar nicht. Die steigende Studentenzahl wird den Arbeitsmarkt entspannen. Von 2005 bis 2012 waren mehr Ingenieure in Lohn und Brot, weil Ältere länger gearbeitet haben und viele Arbeitnehmer aus dem Ausland zugewandert sind. Diese Sondereffekte wird es nicht mehr geben. Die absehbaren Lücken müssen die Absolventen also ausgleichen.

Ob das gelingt? Ingenieurstudenten brechen ihr Studium schließlich überdurchschnittlich oft ab.

Brenke: Es ist immer eine Fehlinvestition, wenn junge Menschen eine Ausbildung nicht abschließen.

Sollten Abiturienten lieber gleich etwas anderes studieren?

Brenke: Ingenieure kommen immer noch besser am Arbeitsmarkt unter als Wirtschafts-, Geistes- oder Sozialwissenschaftler.

Plünnecke: In diesen Fächern werden wir wirklich Probleme bekommen, alle Absolventen adäquat am Arbeitsmarkt unterzukriegen.

Durch die doppelten Abiturjahrgänge wird es in den nächsten Jahren ohnehin mehr Hochschulabsolventen geben.

Plünnecke: Ja, und für den Ingenieurmarkt ist das auch gut. Denn so wird es bis etwa 2020 bei regionalen Fachkräfteengpässen bleiben - ein allgemeiner Mangel wird ausbleiben.

Und nach 2020?

Plünnecke: Durch den demografischen Wandel werden die Probleme eher größer als kleiner.

Brenke: Was ich sogar unterschreiben würde: Dass wir regional durchaus Probleme haben bei den Ingenieuren.

Plünnecke: Aha.

Brenke: Das liegt aber nicht an zu wenigen Ingenieuren auf dem Arbeitsmarkt. Sondern daran, dass vor allem in Ostdeutschland manche Unternehmen keine marktgerechten Löhne zahlen. Die setzen darauf, möglichst billig zu produzieren, um ihre Preise konkurrenzfähig halten zu können. Jetzt stellt sich heraus, dass die jungen Leute eher nach Baden-Württemberg oder Bayern gehen, weil dort besser gezahlt wird. Wir haben also nicht per se zu wenig Ingenieure, sondern zu wenig billige Ingenieure.

Plünnecke: Das ist empirisch leider komplett falsch. Die großen Engpässe haben wir in Baden-Württemberg, Bayern und Hessen, aber nicht in Ostdeutschland. Es ist kein Lohnproblem, wenn die Unternehmen keine Ingenieure bekommen, sondern es gibt in der Summe aktuell mehr offene Stellen als...

Brenke: Jetzt hören Sie doch mit den offenen Stellen auf. Ein Unternehmen sucht seine Ingenieure nicht per Stellenanzeige bei der Bundesagentur für Arbeit. Die Nachfrage nach Ingenieuren können Sie nicht anhand offener Stellen nachweisen. Genauso wenig wie Sie das Angebot an Ingenieuren anhand der Arbeitslosen messen können. Das ist doch ein grundsätzliches Unverständnis über die Bewegungen am Arbeitsmarkt.

Das müssen Sie erklären.

Brenke: Wenn ein Unternehmen einen neuen Ingenieur sucht, bewerben sich ja nicht nur Arbeitslose, sondern auch wechselwillige Mitarbeiter anderer Unternehmen...

Plünnecke: ...die dort eine Lücke reißen. Wie bei einer knapper werdende Decke: Wenn alle daran ziehen, hat einer die Füße frei.

Brenke: Nicht zwangsläufig. Nehmen Sie die Solarindustrie: Die sind doch froh, wenn sie auf diese Weise Personal einsparen können.

So einfach scheint es aber nicht zu sein, Ingenieure zu finden: Die Bundesagentur für Arbeit hat ausgerechnet, dass Unternehmen 120 Tage nach einem Maschinenbauer suchen. Das klingt doch eher nach Engpass als nach Überschuss...

Plünnecke: Genau.

Brenke: Das halte ich für unwahrscheinlich. Dass es so lange dauert, diese Stellen zu besetzen, kann auch daran liegen, dass die Unternehmen sehr viel wählerischer geworden sind. Oder die Bundesagentur für Arbeit schlampt.

Warum schließen Sie einen Engpass als Grund für die lange Suche so kategorisch aus?

Brenke: Die simpelsten Knappheitsindikatoren in der Ökonomie sind Preise und Löhne. Bei einem Fachkräftemangel, müssten die Löhne also in die Höhe schießen - ist bei den Ingenieuren aber nicht geschehen.

Plünnecke: Es gibt keine guten Lohndaten, um für einzelne Berufe Engpässe zu bestimmen. Eine verlässlichere Quelle scheint mir die Unternehmensbefragung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zu sein. Die kommen zu dem Ergebnis, dass Betriebe bei Ingenieuren mit Engpässen zu kämpfen haben.

Brenke: Solche Befragungen habe ich früher auch gemacht. Die Unternehmen haben bereitwillig geantwortet und angekreuzt, dass es knapp sei mit Fachkräften. Daraufhin habe ich detaillierte Interviews geführt und festgestellt, dass der angebliche Fachkräftemangel sich in Luft auflöste.

Wieso das denn?

Brenke: Die Klage über den Fachkräftemangel ist in den vergangenen Jahren in Mode gekommen. Bis vor wenigen Jahren konnten Unternehmen bei Bewerbern aus dem Vollen schöpfen. Das hat sich jetzt verändert und wird dann direkt als extremer Mangel empfunden. Wenn es um die Einschätzung des Fachkräftemangels geht, sind Unternehmen die falschen Ansprechpartner. Auch, weil es für die Personalchefs natürlich schwer ist, zu sagen: Mein Job ist ganz einfach, und ich finde die Arbeitskräfte ganz leicht.

Aber die demografische Entwicklung wird die Arbeit der Personaler nicht einfacher machen...

Brenke: Gegenwärtig gehen jährlich 15 000 bis 20 000 industrienahe Ingenieure in Rente - ich rede nicht über Architekten oder Unternehmensberater, die irgendwann mal Maschinenbau studiert haben. Diesen Rentnern stehen 60 000 Hochschulabsolventen gegenüber.

Plünnecke: Das ist natürlich methodisch ein ganz übler Fehler. Sie können nicht nur die industrienahen Ingenieure nehmen und denen alle ausgebildeten Ingenieure gegenüberstellen.

Brenke: Aber ein Ingenieur, der Taxi fährt, muss doch nicht durch einen anderen Ingenieur ersetzt werden.

Plünnecke: Muss er natürlich nicht, aber Sie unterstellen mit Ihrer Rechnung, dass alle Absolventen in einen Ingenieurberuf gehen.

Wie sieht denn Ihre Rechnung aus, Herr Plünnecke?

Plünnecke: 60 000 erwerbstätige Absolventen kommt in etwa hin, aber ich rechne mit jährlich 40 000 Ingenieuren, die in den Ruhestand gehen.

Aber auch in diesem Fall könnte die Lücke problemlos gefüllt werden.

Plünnecke: Falsch, denn es besteht ja Expansionsbedarf. Wir beobachten über alle Branchen hinweg, dass der Anteil an Akademikern steigt. Bei den Ingenieuren aktuell um gut 25 000 pro Jahr. Dieser Trend wird sich fortsetzen - wir haben derzeit verdammt viele Themen, die den Bedarf an Ingenieuren eher treiben: von der Digitalisierung über die Energiewende bis zur Elektromobilität.

Sie würden jungen Menschen also weiterhin empfehlen, ein Ingenieurstudium abzuschließen?

Brenke: Nein.

Plünnecke: Doch, oder eine hochwertige Berufsausbildung.

Brenke: Dem zweiten Teil Ihrer Antwort stimme ich zu. Unsere Gesellschaft muss sich darüber verständigen, ob es sinnvoll ist, dass die Hälfte eines Jahrgangs ein Studium abschließt. Wir steuern auf einen Akademiker-Überschuss zu. Wir brauchen aber auch junge Leute, die eine Werkbank einrichten können oder als Schlosser im Industriebetrieb tätig sind. Dort besteht ein Mangel.

Was können Unternehmen dagegen tun?

Plünnecke: Schon bei der Berufsorientierung am Gymnasium wird nicht ausreichend auf Möglichkeiten jenseits eines Studiums hingewiesen.

Brenke: Und wenn sie über eine Ausbildung nachdenken, orientieren sich Schüler eher an Berufen, die jeder kennt, wie Friseur oder Maler.

Plünnecke: An Berufe wie Kälteklimatechniker denken sie jedenfalls nicht, weshalb er seit Jahren zu den sogenannten Engpassberufen zählt. Die Zahl der Ausbildungsplätze ist gestiegen, die Nachfrage nicht. Die Bewerber sind nicht darüber informiert, wo ihre Chancen am besten sind.

Können wir die Lücke nicht mit Auszubildenden aus anderen europäischen Ländern schließen?

Plünnecke: Südeuropäische Jugendliche konnten über spezielle Programme der EU nach Deutschland kommen und hier eine Berufsausbildung absolvieren. Auch bei den Ingenieuren beobachten wir eine hohe Mobilität über die Hochschulen.

Brenke: Na ja.

Plünnecke: Gucken Sie doch auf die Zahlen: Unter den neu zugewanderten Erwachsenen haben wir zehn Prozent sogenannte MINT-Akademiker - also Absolventen in Studienfächern wie Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. In der Gesamtbevölkerung macht diese Gruppe gerade mal fünf Prozent aus.

Aber ein junger Spanier will doch bestimmt genauso wenig in der Provinz arbeiten wie ein junger Deutscher...

Plünnecke: Stimmt. Die gehen lieber nach München oder Stuttgart statt in die Peripherie, weil die Großstädte einfach mehr bieten.

Brenke: Und weil es da höhere Löhne gibt. Fachkräfte in Deutschland sind einfach nicht mobil genug.

Plünnecke: Um dem Fachkräftemangel in so manchem Ausbildungsberuf entgegenzutreten, brauchen wir beides: mehr Mobilität innerhalb Deutschlands und Zuwanderer aus den Regionen Europas mit bis zu 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit.

Brenke: Aber das Problem wird man mit ausländischen Fachkräften nicht lösen können. Ein gelernter Maurer oder Dreher aus Deutschland hat eine ganz andere Qualifikation als jemand aus dem europäischen Ausland.

Es ist also leichter, einen Ingenieur zu ersetzen als einen Maurer?

Plünnecke: Ja, denn eine Berufsausbildung wie in Deutschland gibt es nur in sehr wenigen Ländern. Universitäten hingegen gibt es überall auf der Welt - mit ansatzweise ähnlichen Standards. Einen indischen Maurer, der deutschen Ansprüchen entspricht, werden Sie nicht so leicht finden - wohl aber sehr gute Informatiker und Ingenieure.

Dann holen wir die Inder doch nach Deutschland - die Blue Card gibt es schließlich seit 2012...

Plünnecke: In Indien orientieren sich die Auswanderer traditionell eher Richtung Großbritannien oder USA. Da haben wir einen Nachteil.

Brenke: Mit der Blue Card sollten vor allem billige Ingenieure, Ärzte und Informatiker nach Deutschland gelockt werden, mit einem Jahresgehalt von 35 000 Euro - das hat nicht funktioniert. 2013 sind nur ein paar Tausend Menschen über eine Blue Card nach Deutschland gekommen. Ein guter Ingenieur oder Arzt weiß eben auch, was er auf dem Weltmarkt wert ist.

Plünnecke: Ich verrate Ihnen mal ein Geheimnis, Herr Brenke: Die 35 000 Euro sind kein vorgeschriebener Lohn, sondern ein Mindestlohn, den es zu überspringen gilt. Siemens oder Volkswagen, die ihre Ingenieure aus Indien holen, zahlen denen sowieso viel mehr.

Brenke: Das war offensichtlich der gescheiterte Versuch, Billigingenieure ins Land zu holen.

Plünnecke: Das ist absurd. Wir beide verdienen ja jetzt auch nicht 8,50 Euro, weil der Mindestlohn eingeführt wird. Die Politik hat in den vergangenen Jahren einiges getan, um den drohenden Fachkräftemangel abzuwenden.

Was denn noch?

Plünnecke: Die Rente mit 67 eingeführt.

Brenke: Die jetzt durch die Rente mit 63 wieder ins Gegenteil verkehrt wurde. Das ist abstrus. Denn das widerspricht dem Trend, den wir im Moment sehen: Menschen arbeiten freiwillig länger als 65. In den skandinavischen Ländern oder der Schweiz ist das noch ausgeprägter. Da hat Deutschland noch Luft nach oben.

Plünnecke: Da stimme ich Ihnen zu. Rente in Richtung 70.

Sie plädieren also schon für das nächste Rentengesetz?

Brenke: Nein. Ich setze eher darauf, dass sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer von selbst auf die Anzeichnen der Knappheit reagieren. Der Jugendwahn in den Unternehmen, den sich in den Neunzigerjahren irgendwelche PowerPoint-Helden ausgedacht haben, damit der Krankenstand sinkt, ist ohnehin schon vorbei.

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