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Axel Plünnecke im Deutschlandfunk Interview 7. Mai 2014

"Engpass von 50.000 MINT: Akademikern"

Deutschland hat mit einem Fachkräftemangel zu kämpfen. Wirtschaftswissenschaftler fordern deshalb, verstärkt auf ausländische Studenten zu setzen. Deutschland sollte dabei stärker Indien und Indonesien ins Auge fassen, sagte IW-Ökonom Axel Plünnecke jetzt im Deutschlandfunk-Interview.

Herr Plünnecke, ist es tatsächlich so, dass der Bedarf in den naturwissenschaftlichen und technischen Fächern mit deutschen Studenten nicht zu decken ist?

Insgesamt haben wir aktuell einen Engpass von etwa 50.000 MINT-Akademikern, und das wird perspektivisch steigen, da wir geburtenstarke Jahrgänge haben, die aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden, eher geburtenschwächere haben, die in den Arbeitsmarkt nachrücken. Von daher wird es auch perspektivisch wichtig, dass sich Deutschland für Zuwanderer attraktiver aufstellt.

Auf der anderen Seite haben wir aber auch viele Abbrecher in diesen gefragten Fächern. Müsste man nicht da ansetzen?

Ja, das wäre eine wichtige Maßnahme. In der Tat sind die Abbrecherquoten nach einzelnen Fächern sehr verschieden, bis zu 50 Prozent. Da ist Potenzial, dass dort die Hochschulen sich stärker engagieren, Brückenkurse initiieren. Gerade die Studierenden, die aus den beruflichen Schulen kommen und dort ihr Abitur erwerben, da braucht man mehr Unterstützung in diesem Übergangssystem über Brückenkurse, über Einstiegshilfen.

Woran liegt das Ihrer Meinung nach, dass es so viele gibt, die abbrechen in diesen Fächern?

Das Anspruchsniveau gerade in den mathematischen Fächern, aber auch in einigen SIP-Fächern, die es an den Hochschulen gibt, ist sehr hoch. Dort sind die Durchfallquoten sehr hoch. Da gilt es, dass die Hochschulen auch stärker in die Verantwortung gehen und auch ihre Strukturen überprüfen, ob man dort nicht bessere vorbereitende Maßnahmen treffen kann, Unterstützungen machen kann, damit diese Studenten auch durch diese Fächer durchkommen.

Wer kommt in diesem Bereich bisher nach Deutschland?

Wir sehen, dass es sehr viele Studienanfänger gibt aus vielen Regionen der Welt. Die Zuwanderer über die Hochschulen sind noch deutlich stärker auch aus Drittstaaten, aus Asien, aus Afrika, und da ist auch das Potenzial, denn Deutschland muss langfristig die Zuwanderung auch stärker aus diesen Drittstaaten gewinnen. Bisher haben wir sehr viele Zuwanderer aus Mittelosteuropa, aus Südeuropa. Diese Regionen haben aber auch demografische Probleme. Das heißt, langfristig können wir da nicht große Zuwanderungsströme für Deutschland gewinnen. Also gilt es stärker, auch Indien, Indonesien ins Auge zu fassen, und da sind die Hochschulen ein guter Weg.

Jetzt haben wir gerade im Beitrag schon gehört, es sind viele Hürden abgebaut worden. Die Greencard ist dort angesprochen worden. Warum reicht das bisher nicht?

Die blaue Karte hilft seit Kurzem, dass die Zuwanderer aus dem Ausland, aus Drittstaaten mit Abschlüssen kommen können. Wir haben auch sehr, sehr gute Regelungen für Studienabsolventen, dass die in Deutschland bleiben können, hier lange suchen können, einen Arbeitsplatz zu finden und dann auch sehr leicht übergehen können. Da hat Deutschland eines der besten Zuwanderungssysteme weltweit. Es gilt vor allen Dingen, die Willkommenskultur zu stärken, Informationsangebote zu schaffen für die Studierenden, dass sie wissen, welche guten Möglichkeiten sie hier haben. Hier ist die Bundesregierung auch aktiv. In der Demografiestrategie werden Akteure vernetzt, in der Fachkräfteoffensive mit "make it in Germany" auch ein Angebot geschaffen, was diese Menschen im Ausland informiert über die guten Möglichkeiten in Deutschland.

Aber dennoch ist es so, dass nur ein Viertel der ausländischen Studenten nach dem Studium auch in Deutschland bleibt, obwohl eigentlich zumindest Studien zufolge ein viel größerer Teil bleiben wollte. Woran liegt das?

Unseren Berechnungen zufolge sind das etwa 40 Prozent. Aber in der Tat: Es sind 70 bis 80 Prozent, die bleiben würden. Hier fehlen Vernetzungsangebote, auch das Carrier Center, die Beratung nach dem Studium. Das könnte deutlich intensiver geschehen, dass dort auch die Akteure an den Hochschulen, in der Wirtschaft stärker dieses Potenzial ins Auge fassen.

Die Anti-Diskriminierungs-Stelle des Bundes, die hat letztes Jahr darauf hingewiesen und gesagt, dass die ausländischen Studenten schlecht integriert seien. Was sagt uns das?

Ja auch hier gilt es natürlich, die Strukturen zu überprüfen, dass man mehr Integrationsangebote schafft, die entsprechenden Stellen an den Hochschulen auch finanziell von den Ressourcen stärkt, dass sie sich stärker auch um die Studierenden kümmern können, sie besser mit den Studenten aus Deutschland vernetzen können, dass hier auch mehr Austausch stattfindet.

Müssen die Unternehmen auch stärker um diese Studenten werben?

Die Unternehmen, da sehen wir, dass die Absolventen von den Hochschulen sehr gute Chancen haben, am Arbeitsmarkt unterzukommen. Der Anteil der Absolventen von Hochschulen in Deutschland, die arbeiten, ist zwar genauso hoch wie von den Nichtzuwanderern. Das heißt, die Integration gelingt gut. Wichtig ist, dass die Unternehmen Praktikumsplätze anbieten, früh schon Kontakt suchen zu den Studierenden und dann diese Studierenden auch die Chancen nutzen.

Das heißt, auch attraktivere Jobangebote vonseiten der Unternehmen wären wichtig?

Ja wir sehen, dass die Zuwanderer über die Hochschulen gleich attraktive Jobs haben wie die Nichtzuwanderer, dass sie ähnliche Einkommensniveaus erreichen. Das heißt, die Zuwanderung über die Hochschulen gelingt eigentlich relativ gut. Das Potenzial, was wir noch eher heben müssten, ist die Zuwanderung von Absolventen, die aus dem Ausland kommen, von ausländischen Hochschulen. Da ist noch der Integrationsbedarf stärker als bei der Zuwanderung über die Hochschulen direkt.

Das heißt, die Werbung im Ausland sollte verstärkt werden?

Genau! Auch da ist ein zweiter wichtiger Punkt, im Ausland Absolventen zu finden, die nach Deutschland zu holen. Da ist natürlich der Unterschied, dass die Unternehmen dann auch nicht genau die Hochschulen einschätzen können. Sie wissen sehr gut, das Niveau der RWTH Aachen, der TH Braunschweig einzuschätzen, aber bei Hochschulen aus dem afrikanischen, aus dem asiatischen Raum fällt ihnen das natürlich schwerer.

Ist Deutschland da zu behäbig im Vergleich zu anderen Ländern?

Deutschland hat lange Zuwanderung nicht als Strategie der Fachkräftesicherung gesehen. Seit zwei, drei Jahren ist Deutschland sehr aktiv, hat die Rahmenbedingungen deutlich verbessert und ist auch in der Politik aufgewacht und sieht auch Zuwanderung als einen wichtigen Weg der Fachkräftesicherung.

Wenn dieser Fachkräftemangel in den entsprechenden Fächern nicht gedeckt werden kann - das MINT-Forum hat da eine relativ drastische Aussage in die Welt gesetzt und sagt, der Wohlstand des ganzen Landes stehe dann auf dem Spiel. Würden Sie das genauso drastisch formulieren?

Wir haben in Deutschland einen starken industriellen Kern. Wir haben sehr starke Industriebranchen, die innovativ sind, die exportstark sind, und gerade in diesen Branchen werden sehr viele MINT-Fachkräfte benötigt. Und wir sehen in Europa, dass die Regionen, die ein sehr hohes Angebot haben an MINT-Fachkräften, auch diese industriellen Kerne stärken können. Von daher ist es sehr wichtig, wenn wir dieses Modell weiter so erfolgreich praktizieren wollen, dass wir genügend Nachwuchskräfte kriegen, weil die demografische Herausforderung ist halt sehr groß. Sehr viele ältere, geburtenstarke Jahrgänge scheiden demnächst aus dem Arbeitsmarkt aus.

Zum Schluss noch: Für Deutschland ist ja dieser Braingain, intellektuell dazuzugewinnen, das, was dann für die anderen Länder der Braindrain ist, als das, was denen dann fehlt. Wie soll man damit umgehen? Gibt es da so etwas wie eine moralische Verpflichtung?

Ja sicherlich, dass man in Ländern beispielsweise auch Seitens der Bundesregierung nicht um Mediziner wirbt, die selber Engpässe an Medizinern haben, dass man eher auf Länder zugeht, wo es sehr, sehr hohe Geburtenraten gibt, wo es sehr viele Absolventen gibt, wo es eine hohe Jugendarbeitslosigkeit gibt. Ein arbeitsloser spanischer Ingenieur nützt auch Spanien nichts. Wenn der vier, fünf Jahre in Deutschland arbeitet, hier weiter in seinem Beruf tätig sein kann und dann wieder irgendwann später zurückkehrt, dann ist beiden Ländern geholfen.

Das Interview zum Anhören

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