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(© Foto: golubovy/iStock)
Alexander Burstedde in Employland Interview 22. September 2017

„Dem Fachkräftemangel entschlossen entgegentreten“

Der Fachkräftemangel bremst die Innovationsdynamik deutscher Unternehmen, das geht aus dem aktuellen Innovationsreport des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) hervor.. IW-Arbeitsmarktexperte Alexander Burstedde gab dem Blog der Vermittlungsplattform Employland ein Interview, um die Ergebnisse einzuordnen.

Herr Burstedde, laut aktuellem DIHK-Innovationsreport ist die Innovationsdynamik in Deutschland rückläufig, besonders im Mittelstand. Zwar wollen Betriebe ihre Innovationstätigkeit steigern, aber das weniger stark als in den vergangenen Jahren. 41 Prozent der Unternehmen planen mehr Innovationen, 47 Prozent planen Innovationen in gleichbleibendem Maße und 12 Prozent der Unternehmen gehen von weniger Innovationen in den kommenden 12 Monaten aus. Laut der Umfrage der DIHK liegt der Innovationssaldo, also die Differenz von Ausweitung und Verringerung, bei 29 Punkten (Vorumfrage 2015: 43). Damit ist er auf den niedrigsten Wert seit erstmaliger Befragung 2008 gesunken. Das klingt nicht gut, gleichzeitig sind solche Zahlen nicht leicht einzuordnen. Was bedeuten die Zahlen für die deutsche Wirtschaft?

Der Saldo soll lediglich ausdrücken, ob die Unternehmen künftig mehr oder weniger forschen wollen. Aktuell sind wir auf einem sehr hohen Niveau, insofern war eine gewisse Stabilisierung sogar zu erwarten. Dennoch wollen viele Unternehmen ihre Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten weiter ausbauen. Das ist auch gut so, denn Deutschland verdient seinen Wohlstand im globalen Wettbewerb. Aufgrund der hohen Lohnkosten müssen wir uns dort durch Qualität und Innovationen gegen unsere Mitbewerber durchsetzen. Dafür sind Forschung und Entwicklung unerlässlich. Den Mittelstand könnte die Politik dabei allerdings noch besser fördern, indem sie gezielt steuerliche Anreize setzt.

Ein zentrales Ergebnis der DIHK-Umfrage ist: Das größte Innovationshemmnis ist der Fachkräftemangel. Demnach müssen 82 Prozent der Betriebe ihre Innovationstätigkeit einschränken, weil sie nicht genügend geeignetes Personal finden. Der Fachkräftemangel entfaltet damit zunehmend seine Wirkung für die deutsche Wirtschaft. Das jüngste E&Y-Mittelstandsbarometer hat gezeigt, dass den mittelständischen Unternehmen ein Umsatz von insgesamt rund 50 Mrd. Euro jährlich entgeht, weil sie aufgrund von Personalnot Aufträge ablehnen müssen. Die DIHK-Umfrage zeigt nun als weitere Konsequenz eine Innovationshemmung Er wird zum Innovationshindernis für Unternehmen: Was kommt als nächstes?

„Wir werden auf qualifizierte Zuwanderer angewiesen sein”

Wenn aufgrund des Fachkräftemangels zunehmend Aufträge abgelehnt und Innovationen nicht entwickelt werden, wird das den Wirtschaftsstandort Deutschland nachhaltig schwächen. Viele dieser Aufträge und Patente wandern dann ins Ausland ab. Es gilt dem Fachkräftemangel deswegen mit aller Entschlossenheit entgegenzutreten. Leider wird er sich zunächst noch weiter verschlimmern, wenn die geburtenstarken Jahrgänge in den nächsten 15 Jahren in Rente gehen werden. Um das zu kompensieren, werden wir auf qualifizierte Zuwanderer angewiesen sein. Dazu braucht Deutschland ein entsprechendes Einwanderungsgesetz.

Besonders rar auf dem deutschen Arbeitsmarkt sind Fachkräfte mit Berufsausbildung (Facharbeiter) und Fachkräfte mit Weiterbildungsabschluss (z.B. Fachwirt, Meister), so der DIHK-Innovationsbericht. Demnach hat sich die Situation bei Akademikern entspannt: Waren es bei der Vorumfrage noch 60 Prozent, geben aktuell 57 Prozent der Betriebe an, der Mangel an Akademikern schränke die Innovationstätigkeit ein. Bei den Fachkräften aber verstärkt sich das Problem: Aktuell sehen 67 Prozent ihre Innovationstätigkeit durch fehlende Fachkräfte eingeschränkt (2015 waren es 59 Prozent). Wie sehen Sie das?

Von einer Entspannung bei Akademikern zu sprechen ist gewagt. Es fehlt sowohl an beruflich als auch akademisch gebildeten Fachkräften. Viel wichtiger als diese Unterscheidung ist der konkrete Beruf. Hier müssen Wirtschaft und Bildungssystem stärker darauf hinarbeiten, dass die Menschen diejenigen Berufe ergreifen, die auch gefragt sind. Außerdem können wir es uns nicht erlauben allzu wählerisch zu sein. Wir sollten allen arbeitswilligen Menschen eine Chance geben und ihnen bei der Qualifizierung die nötige Unterstützung zuteil werden lassen.

Mittelgroße Unternehmen sind laut Bericht am stärksten vom Personalmangel betroffen. Rund drei Viertel der mittelgroßen Unternehmen mit 50 bis 250 Mitarbeitern sehen fehlende Fachkräfte als ein Innovationshindernis. Großunternehmen ab 500 Mitarbeitern gelingt es hingegen vergleichsweise gut, ihren Personalbedarf für Innovationstätigkeiten zu decken: Einschränkungen sehen 57 Prozent. Bei der Fachkräftegewinnung haben Großunternehmen es einfacher. Was können mittelgroße Unternehmen tun, um im Wettbewerb nicht unterzugehen?

„Es lohnt, sich in regionalen Netzwerken zu verbünden und die Lasten zu teilen”

Große Unternehmen haben aufgrund ihrer Bekanntheit und der finanziellen Mittel einen großen Vorteil im Wettbewerb um Fachkräfte. Kleine und mittelgroße Unternehmen (KMU) müssen sich vor allem durch soziale Nähe und eine gute Arbeitsatmosphäre abheben.

Wer nicht genug Bewerbungen bekommt, muss sich mehr zeigen. Dabei lohnt es, sich in regionalen Netzwerken zu verbünden und die Lasten zu teilen, die für ein Unternehmen allein zu groß sind. Andere machen bereits vor, dass man so in Schulen, auf Messen und andernorts präsent sein kann, ohne selber Personal dafür abstellen zu müssen. Auch lassen sich so Zusatzleistungen anbieten, etwa ein Gesundheitsmanagement, das hilft ältere Beschäftigte länger im Betrieb zu halten.

„Wenn jemand nicht hundertprozentig passt, sollte der Aufwand der Nachqualifizierung nicht gescheut werden”

Auch gilt es, nicht zu wählerisch zu sein. Bewerber sollten häufiger die Chance zum Probearbeiten bekommen. Und wenn jemand nicht hundertprozentig passt, sollte der Aufwand der Nachqualifizierung nicht gescheut werden. Damit sich das rechnet, übernimmt das Arbeitsamt häufig einen großen Teil der Mehrkosten.

Das gilt natürlich auch für viele Flüchtlinge. 45 Prozent der in der EY-Studie befragten Unternehmen sehen in diesen eine Möglichkeit zur Milderung des Fachkräftemangels. Doch nur etwa jedes vierte Unternehmen, das gerne einen Flüchtling einstellen würde, war damit bereits erfolgreich. Laut einer KOFA-Studie sind das immerhin schon 400.000 Unternehmen. Damit es noch mehr werden, sollten KMU die Willkommenslotsen in Anspruch nehmen. Das ist für sie kostenlos.

„Förderprogramme – Es gibt so viel Unterstützung, man muss sie nur in Anspruch nehmen”

Es gibt sehr viele Möglichkeiten sich als attraktiver Arbeitgeber zu positionieren und mehr Fachkräfte zu finden und zu binden. Eine zentrale Anlaufstelle für Ideen und Anleitungen ist das Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung. Förderprogramme finden sich z.B. auf www.foerderdatenbank.de. Es gibt so viel Unterstützung, man muss sie nur in Anspruch nehmen.

Der Innovationsreport ergab auch, dass deutsche Unternehmen verstärkt im Ausland nach qualifiziertem Personal suchen. Inzwischen bemüht sich demzufolge jedes zweite Unternehmen um Mitarbeiter aus dem Ausland. Sind 50 Prozent Ihrer Meinung nach viel oder wenig?

Die Rekrutierung von internationalen Fachkräften ist mit einem deutlichen Mehraufwand verbunden. Ansprache, Bewerbungsgespräch, Qualifikationsnachweise – alles läuft über Landesgrenzen und oft in unbekannten Sprachen. Wenn der Wunschbewerber gefunden ist, warten bürokratische Schritte und häufig eine Nachqualifizierung, auch wenn es nur ein Deutschkurs ist. Kleine Unternehmen haben häufig weder die Ressourcen, noch das Erfahrungswissen dafür. Vor diesem Hintergrund ist 50 Prozent sehr viel. Es zeigt, dass viele Unternehmen den Aufwand nicht mehr scheuen.

Während fast drei Viertel der Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern im Ausland rekrutieren möchten, sind es bei Betrieben mit 50 bis 100 Beschäftigten nur 47 Prozent. Im DIHK-Report heißt es, für KMU wäre es hilfreich, sie bei der Rekrutierung im Ausland zu unterstützen. Welche Unterstützung ist notwendig? Und wer sollte oder könnte sie leisten?

Der erste Ansprechpartner sind die Kammern sowie Arbeitsagenturen. Auch kann es sich lohnen, private Anbieter hinzuzuziehen. Damit kauft man sich die Erfahrung derer ein, für die Auslandsrekrutierung das Tagesgeschäft ist. Man muss nicht bei Null anfangen. Im Optimalfall teilt man dem Ansprechpartner die Wunschqualifizierung mit, ohne diesen unnötig einzuschränken, und bekommt von diesem eine Auswahl von Bewerbern angeboten. Wenn dann jemand eingestellt werden soll, sollte auch bei den bürokratischen Schritten geholfen werden, v.a. mit den Behörden. Nach der Einstellung sollte der neue Mitarbeiter zudem einen Mentor im Betrieb bekommen, der ihm bei Alltagsfragen in der neuen Heimat hilft. Denn wer sich wohlfühlt, bleibt.

„Vor allem die EU-Osterweiterung hat geholfen, dem Fachkräftemangel in Deutschland entgegenzuwirken”

Wie sieht es aktuell aus: Setzt die deutsche Wirtschaft schon auf ausländische Fachkräfte? In welchen Branchen läuft die Fachkräftesicherung durch ausländisches Personal bereits gut und in welchen weniger?

Grundsätzlich steigt die Beschäftigung internationaler Fachkräfte seit Jahren in nahezu allen Branchen. Vor allem die EU-Osterweiterung hat geholfen, dem Fachkräftemangel in Deutschland entgegenzuwirken. Auch in Zukunft sollten wir uns für qualifizierte Zuwanderung stark machen.

Der Bedarf an Zuwanderung ist in den verschiedenen Branchen dennoch unterschiedlich. In manchen Berufen könnte schon innerdeutsche Mobilität viel bewirken. Während Akademiker recht mobil sind, gibt es bei den Fachkräften mit Ausbildung noch Nachholbedarf. Diesem Thema haben wir uns in unserer letzten Studie ausführlich gewidmet.

Wenn es hingegen einen flächendeckenden Fachkräftemangel gibt, bleibt kurzfristig nur der Weg ins Ausland. Dies ist vor allem im verarbeitenden Gewerbe und im Gesundheitswesen in vielen Berufen bereits der Fall. Dort sehen wir auch mehr Bestrebungen, aktiv Fachkräfte im Ausland anzuwerben.

Zum Interview auf blog.employland.de

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