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(© Foto: iStock)
Judith Niehues / Maximilian Stockhausen auf Focus online Gastbeitrag 16. Juni 2020

Wird Reichtum neu verteilt?: Wie sich die Krise auf soziale Ungleichheit auswirkt

Dieser Tage wird viel über die möglichen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf das soziale Gefüge in der Bundesrepublik spekuliert. Steigende Arbeitslosigkeit, Umsatzausfälle bei Unternehmen sowie geschlossene Kitas und Schulen lassen vermuten, dass sich bestehende Ungleichheiten durch die Krise erhöhen werden, schreiben die IW-Ökonomen Judith Niehues und Maximilian Stockhausen in einem Gastbeitrag für Focus Online.

Auch wenn sich exakte Prognosen aufgrund mangelnder Daten kaum treffen lassen, zeigen erste Indizien, dass der Effekt keineswegs eindeutig ist. Dazu tragen auch die schnellen und umfassenden Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung bei, wobei sich insbesondere die Kurzarbeit als hilfreiches Instrument hervorgehoben hat. Einige Überlegungen sprechen dafür, dass sich die Ungleichheit kurzfristig sogar reduzieren könnte.  

In vier Bereichen lassen sich Trends in Bezug auf die Ungleichheit erkennen.

1. Einkommensungleichheit

Einen ersten Hinweis auf die tatsächliche Betroffenheit liefert eine Sondererhebung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Demnach ist Kurzarbeit keineswegs ausschließlich im unteren Einkommensbereich anzutreffen. Im unteren und oberen Einkommensdrittel geben jeweils 21 Prozent der Erwerbstätigen für den April an, in Kurzarbeit gewesen zu sein. In der Einkommensmitte liegt die Quote mit rund zwölf Prozent hingegen niedriger. Auch mit Blick auf die Auswirkungen auf die Erwerbseinkommen sind die Effekte an den Rändern stärker als in der Mitte.

Ungeachtet dessen sind Menschen mit geringerem Bildungsabschluss häufiger in Kurzarbeit und Erwerbstätige im oberen Einkommensdrittel konnten häufiger im Homeoffice arbeiten. Wie genau die Verluste bei den Erwerbseinkommen verteilt sind, wissen wir hingegen noch nicht.

Noch weniger ist über die Veränderung der Kapitaleinkommen bekannt, die eher im oberen Einkommensbereich von Bedeutung sind. Gemäß einer Studie der DZ Genossenschaftsbank könnten die Dividendenzahlungen in diesem Jahr so gering ausfallen wie seit der Finanzkrise nicht mehr. Große und kleine Vermieter verzeichnen Ausfälle oder Stundungen bei Mieteinnahmen und die Zinsen für Sparer sind weiterhin gering.

Ähnlich zu den beobachtbaren Auswirkungen bei der Finanzkrise im Jahr 2009 ist es daher denkbar, dass die Einkommensungleichheit durch die Coronakrise in der kurzen Frist abnehmen könnte, weil die relativen Einkommensverluste im oberen Einkommensbereich in Summe größer ausfallen als in der unteren Hälfte. Natürlich werden wohlhabendere Haushalte dennoch eher in der Lage sein, diese temporären Einkommensverluste mithilfe finanzieller Rücklagen zu bewältigen.

2. Vermögensungleichheit

Ganz ähnlich sieht es bei der Vermögensungleichheit aus. Aufgrund von Wertverlusten bei Finanzanlagen oder durch dahinschmelzende Kapitalrücklagen in Unternehmen ist auch hier kurzfristig eher ein Rückgang zu erwarten. Denn diese Vermögenswerte finden sich ebenfalls häufiger bei Haushalten im oberen Teil der Verteilung wieder.

Hingegen scheinen Immobilien, die auch in der Vermögensmitte verbreitet sind, in der Krise bislang weitestgehend wertstabil zu sein. In der unteren Hälfte der Vermögensverteilung könnte jedoch eine zunehmende Verschuldung aufgrund von Einkommensausfällen durch Kurzarbeit steigen und vorhandene Geldrücklagen aufgebraucht werden.

Mittelfristig bleibt somit offen, welcher Effekt dominiert. In der langen Frist könnte die Vermögensungleichheit zunehmen, wenn vermögende Haushalte in der jetzigen Situation günstig Vermögenswerte wie Aktien hinzukaufen. Mit dem Aufschwung würden diese an Wert hinzugewinnen – die Ungleichheit würde steigen.

3. Bildungsmobilität

In Sachen Bildungsmobilität herrscht weitestgehend Konsens: Durch die Schließung von Kitas und Schulen können sich Bildungschancen zwischen sozial benachteiligten und wohlhabenden Haushalten (weiter) verstärken.

 4. Einkommensmobilität

Weniger eindeutig lassen sich hingegen die Effekte auf die Einkommensmobilität bestimmen. Sollten die Einkommen von allen Erwerbstätigen in ähnlichem Maße sinken, würde sich die Einkommensmobilität zwischen den und innerhalb der Generationen kaum verändern.

Anders sieht es aus, wenn verschiedene Gruppen unterschiedlich stark betroffen sind: Würden die Einkommensverluste am oberen Ende stärker ausfallen als im Rest der Verteilung, könnte die Mobilität steigen. Selbstständige, die krisenbedingt Insolvenz anmelden müssen oder zuvor gutverdienende Facharbeiter, die ihren Job verlieren, könnten in der Verteilung abrutschen.

Die soziale Mobilität könnte somit steigen, weil einige noch stärkere Einbußen als andere haben. Das Beispiel macht deutlich, dass Mobilität im Zuge einer wirtschaftlichen Krise meist wenig wünschenswert ist, da sie in aller Regel nur durch den sozialen Abstieg der Krisenverlierer herrührt.

Zwischen den Generationen könnte die Einkommensmobilität hingegen sinken, wenn die Jüngeren aufgrund der Krise schwerer in den Arbeitsmarkt fänden, mit geringeren Einstiegsgehältern rechnen müssen und einer geringeren Lohndynamik unterworfen wären als die Älteren.

Studien für die USA haben für die Finanzkrise 2008 gezeigt, dass Studienabsolventen aus dem Jahr 2009 mit erheblich niedrigeren Einstiegsgehältern in ihr Arbeitsleben gestartet sind als Absolventen aus dem Jahr 2007. Hoffnung macht, dass diese Lücke innerhalb von zehn Jahren nahezu geschlossen werden konnte. Dennoch könnten die Jüngeren somit stärker und vor allem nachhaltiger von der Krise betroffen sein, was sich negativ auf die Mobilität auswirken kann.

Gesamteffekt ungewiss

Entgegen weitverbreiteter Vermutungen zeigen sich bisher keine eindeutigen empirischen Indizien dafür, dass die Coronakrise unweigerlich zu einer Erhöhung der Ungleichheit führen wird. Im Gegenteil: Einige Überlegungen deuten sogar darauf hin, dass sich die Ungleichheit kurzfristig reduzieren könnte – insbesondere dann, wenn negative Effekte auf Kapital und Vermögen groß ausfallen.

Wenn die Ungleichheit allerdings nur sinkt und die Mobilität steigt, weil einige noch stärker verlieren als andere, dürfte das ein gesellschaftlich eher wenig wünschenswertes Ergebnis sein.

Zudem bleibt die Situation besonders schwierig für diejenigen, deren finanzielle Lage bereits vor der Krise angespannt war und die jetzt beispielsweise mit höheren Lebensmittelpreisen und wegfallenden Mittagessen in der Schule zu kämpfen haben. Die beschlossenen Familienleistungen der Bundesregierung können hier unterstützend wirken.

Auch die konjunkturellen Maßnahmen zur Stützung des Konsums und der damit verbundenen Beschäftigung sind gerade in dieser Phase wichtig. Denn wenn die Zahl der Insolvenzen steigt oder wenn Kurzarbeit zu dauerhafter Arbeitslosigkeit wird, dann ist mittelfristig mit einer höheren Einkommensungleichheit zu rechnen.

Insbesondere für die Chancengerechtigkeit ist es darüber hinaus wichtig, dass Kitas und Schulen wieder soweit wie möglich in einen Regelbetrieb übergehen können. Eltern im Homeoffice würden entlastet und viele könnten an den Arbeitsplatz zurückkehren. Außerdem würde verhindert, dass Kinder aus bildungsferneren Schichten noch weiter zurückfallen. Ferienkurse oder gezielte Schülernachhilfe können eine sinnvolle Ergänzung für Kinder mit Lernrückständen sein, um Corona-bedingte Bildungsunterschiede möglichst gering zu halten.

Die Krise macht auch deutlich, dass die Lehre an den Schulen verändert werden muss: Digitales Lernen sollte fest in der Ausbildung verankert werden und die Schulen müssen besser mit den dafür notwendigen Hilfsmitteln ausgestattet werden. Letztendlich bleibt Bildung der zentrale Schlüssel, um soziale Mobilität zu stärken und den Wohlstand auch nachhaltig zu sichern.

Zum Gastbeitrag auf focus.de

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