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Wido Geis-Thöne IW-Kurzbericht Nr. 61 14. Juli 2022 Corona-Babyboom: Nicht überall und voraussichtlich nicht von Dauer

Im Jahr 2021 hat die Zahl der Geburten in Deutschland mit 796.000 den höchsten Wert seit dem Jahr 1997 erreicht. Allerdings hat sich dabei die rückläufige Tendenz im Osten weiter fortgesetzt. Auch stehen sehr hohen Geburtenzahlen im vierten Quartal 2021 besonders niedrige im ersten Quartal 2022 gegenüber.

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Nicht überall und voraussichtlich nicht von Dauer
Wido Geis-Thöne IW-Kurzbericht Nr. 61 14. Juli 2022

Corona-Babyboom: Nicht überall und voraussichtlich nicht von Dauer

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Im Jahr 2021 hat die Zahl der Geburten in Deutschland mit 796.000 den höchsten Wert seit dem Jahr 1997 erreicht. Allerdings hat sich dabei die rückläufige Tendenz im Osten weiter fortgesetzt. Auch stehen sehr hohen Geburtenzahlen im vierten Quartal 2021 besonders niedrige im ersten Quartal 2022 gegenüber.

Zeichnete sich nach dem Erreichen eines Spitzenwerts von 792.000 Geburten im Jahr 2016 zunächst ein leichter Rückgang ab, liegt die Zahl für das Jahr 2021 mit 796.000 nun sogar noch höher (Statistisches Bundesamt, 2022). Sollte es sich dabei nicht nur um einen durch die Corona-Pandemie bedingten Ausreißer handeln, hätte das insbesondere für das Bildungssystem weitreichende Konsequenzen. So wären die für die Kapazitätsplanung vielfach herangezogenen, einschlägigen Prognosemodelle, wie die Bevölkerungsfortschreibung des Statistischen Bundesamts (Statistisches Bundesamt, 2021), die von bereits wieder zurückgehenden Jahrgangsstärken ausgehen, unzutreffend. Vielmehr würden zunächst in den Kitas und später auch in den Schulen nochmals deutlich mehr Plätze gebraucht. Dabei bestehen hier ohnehin bereits Engpässe. So fehlten etwa im Jahr 2020 für rund 240.000 unter Dreijährige, deren Eltern einen Betreuungswunsch hatten, die geeigneten Plätze (Geis-Thöne, 2020).

Daher ist wichtig zu wissen, ob die hohe Geburtenzahl im Jahr 2021 durch besonders niedrige Werte im aktuellen und gegebenenfalls in den folgenden Jahren kompensiert wird oder ob die Trendwende zeitlich zu früh verortet wurde. Dies wäre durchaus denkbar, da nur in den drei Jahren von 2018 bis 2020 ein kontinuierlicher Rückgang der Geburtenzahl zu verzeichnen war und der Wert für das Jahr 2020 mit 773.000 immer noch vergleichsweise nahe am Spitzenwert des Jahren 2016 und weit über dem Niveau der vorangegangenen Jahre von 1999 und 2015 liegt (Statistisches Bundesamt, 2022).

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Differenziert man nach Monaten, wird allerdings offensichtlich, dass das Jahr 2021 einen Sonderfall darstellt. So lagen die Geburtenzahlen nur im Februar, März, September, Oktober, November und Dezember höher als im Jahr 2019, in den anderen Monaten jedoch niedriger. Am größten war das Plus gegenüber dem Jahr 2019 dabei im Dezember 2021 mit 13,2 Prozent oder 7.900 Geburten. Im gesamten vierten Quartal 2021 wurden 12.900 oder 6,9 Prozent mehr Kinder geboren als im vierten Quartal 2019. Dafür war das erste Quartal des Jahres 2022, für das inzwischen ebenfalls Daten vorliegen, jedoch besonders geburtenschwach. So kamen 20.000 oder 10,8 Prozent weniger Kinder zur Welt als noch im ersten Quartal 2020. Besonders deutlich war der Unterschied mit einem Minus von 10.700 oder 16,7 Prozent dabei im Januar 2022.

Bei der Interpretation dieser Entwicklung, muss man im Blick behalten, dass eine Schwangerschaft in der Regel neun Monate dauert. Die Entscheidung für die Kinder, die im vierten Quartal des Jahres 2021 geboren wurden, muss also bereits spätestens im ersten Quartal des Jahres 2021 gefallen sein. Vielfach dürfte dies sogar noch etwas früher der Fall gewesen sein, da mit dem Verzicht auf Verhütung nicht unbedingt unmittelbar eine Schwangerschaft eintritt. Dennoch dürften sowohl die Entscheidungen für die Kinder als auch ihre Zeugung zumeist in die Zeit der zweiten Pandemiewelle und des zweiten weitreichenden Lockdowns fallen. In ähnlicher Weise haben die hohen Geburtenzahlen im Februar und März 2021 ihren Ursprung im späteren Frühjahr 2020 und damit in der Phase des ersten Lockdowns. Dass während der Lockdowns ungewöhnlich viele Kinder gezeugt wurden, könnte sich damit erklären, dass die Paare vor dem Hintergrund des fast völligen Erliegens des gesellschaftlichen Lebens und der weitreichenden Verbreitung von Homeoffice sehr viel mehr Zeit als sonst miteinander verbracht hatten und gleichzeitig ersichtlich war, dass wichtige Fixpunkte im Jahr, wie der Sommerurlaub, die ansonsten gegebenenfalls abgewartet worden wären, ausfallen oder zumindest nicht in der gewohnten Weise stattfinden würden.

Beachtlich ist, dass dieser Corona-Babyboom nicht überall in Deutschland stattgefunden hat. So lagen die Geburtenzahlen in den ostdeutschen Bundesländern ohne Berlin im Jahr 2021 um 1,8 Prozent niedriger als im Jahr 2020 und um 4,9 Prozent niedriger als im Jahr 2019. Damit wurde die hier seit dem Jahr 2016 zu beobachtende stark rückläufige Tendenz (Abbildung) auch nicht unterbrochen. Lediglich in Brandenburg lag die Geburtenzahl im Jahr 2021 marginal höher als im Jahr 2020. Ebenso wenig lässt sich in den Stadtstaaten von einem Geburtenboom sprechen. Hier wurden im Jahr 2021 zwar 1,6 Prozent mehr Kinder als im Jahr 2020, aber 0,7 Prozent weniger als im Jahr 2019 geboren. Auch ist hier ebenso wie in den ostdeutschen Bundesländern seit dem Jahr 2016 ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen (Statistisches Bundesamt, 2022; eigene Berechnungen).

Hingegen war in den süddeutschen Bundesländern Baden-Württemberg und Bayern zwischen den Jahren 2020 und 2021 ein deutlicher Sprung der Geburtenzahlen um 4,7 Prozent zu beobachten. Allerdings war hier anders als im restlichen Bundesgebiet auch in den Vorjahren noch ein weiterer, lediglich von einem leichten Rückgang in Baden-Württemberg zwischen den Jahren 2019 und 2020 unterbrochener, kontinuierlicher Anstieg der Geburtenzahlen zu verzeichnen (Abbildung). So könnte der Höchstwert auch unabhängig von der Corona-Pandemie zuvor noch gar nicht erreicht gewesen sein. Anders stellt sich die Lage in den übrigen westdeutschen Bundesländern dar, wo im Jahr 2021 zwar auch ein Höchstwert erreicht wurde, in den Jahren seit 2016 jedoch ein eindeutiger Rückgang zu verzeichnen war.

Dabei gehen die Unterschiede zwischen den Ländern vorwiegend auf die demografischen Grundstrukturen und weniger auf unterschiedliche Geburtenneigungen zurück. Zwar finden sich für das Jahr 2020 die niedrigsten zusammengefassten Geburtenziffern mit 1,38 Kindern je Frau für Berlin und mit 1,42 Kindern je Frau für Hamburg in zwei der drei Stadtstaaten. Ansonsten ergeben sich jedoch keine klaren regionalen Gefälle und die Höchstwerte liegen auch nicht im Süden, sondern mit 1,61 Kinder je Frau in Niedersachsen, und jeweils 1,57 Kinder je Frau in Rheinland-Pfalz und Brandenburg (Statistisches Bundesamt, 2022).

Betrachtet man die längerfristige Entwicklung für das Bundesgebiet, war in der ersten Hälfte der 2010er-Jahre ein kontinuierlicher Anstieg der zusammengefassten Geburtenziffern von Werten unter 1,4 auf nahezu 1,6 Kinder je Frau im Jahr 2016 und seitdem ein Schwanken zwischen 1,5 und 1,6 zu beobachten. In dieser Zeit hat also offensichtlich ein Wertewandel hin zu mehr Familie stattgefunden, der sich vor dem Hintergrund der Erfahrungen während der Pandemiezeit durchaus auch nochmals verstärkt haben könnte. Ob dies tatsächlich der Fall ist, wird sich allerdings erst in einigen Jahren endgültig klären lassen. In jedem Fall lässt sich sagen, dass an dieser Stelle auch die Entwicklung der Zuwanderung einen substanziellen Einfluss haben kann. So lag die zusammengefasste Geburtenziffer von Ausländerinnen im Jahr 2020 bei 2,00 Kindern je Frau, im Vergleich zu 1,43 Kindern bei den Inländerinnen (Statistisches Bundesamt, 2022).

Sollten sich die Einstellungen zum Thema Familie nicht sehr grundlegend verändert haben, ist für die nächsten Jahre mit einem deutlichen Rückgang der Geburtenzahlen zu rechnen. Legt man die altersspezifischen Geburtenziffern des Jahres 2020 zugrunde und geht von einem Szenario ohne Wanderungsbewegungen aus, kommt man gegenüber dem Jahr 2020 auf einen Rückgang um 6,9 Prozent bis zum Jahr 2025 und um 9,6 Prozent bis zum Jahr 2030 (Statistisches Bundesamt 2022a; eigene Berechnungen). Dabei läge die Zahl der Frauen im Alter zwischen 27 und 36 Jahren, in dem rund zwei Drittel der Geburten erfolgen, ohne Wanderungsbewegungen in den neuen Ländern im Jahr 2025 bereits um 24,3 Prozent niedriger als noch im Jahr 2020, wohingegen in Baden-Württemberg und Bayern nur ein Rückgang um 5,1 Prozent und im übrigen Westdeutschland um 4,2 Prozent zu verzeichnen wäre (Statistisches Bundesamt 2022a; eigene Berechnungen). Die Stadtstaaten kämen auf ein Minus von 11,2 Prozent, wobei ein derartiges Szenario in ihrem Fall kaum sinnvoll erscheint, da in der dritten Lebensdekade ein starker Zuzug aus den ländlicheren Gebieten in die größeren Städte erfolgt, der sich im späteren Leben wieder umkehrt (Geis-Thöne, 2022).

Obwohl sich die Wanderungsbewegungen auch in den anderen Teilen Deutschlands auf die Entwicklungen der Geburtenzahlen und Jahrgangsstärken der Kinder sehr stark auswirken können und ein sehr engmaschiges Monitoring der demografischen Prozesse notwendig sein wird, um die konkreten Entwicklungen der Jahrgangsstärken möglichst zeitnah abschätzen zu können, lässt sich Folgendes festhalten:

  • Außerhalb Berlins und des Berliner Umlands wird sich im Osten der bereits zu beobachtende starke Geburtenrückgang in den nächsten Jahren aller Voraussicht nach fortsetzen, sodass hier mittelfristig auch wesentlich geringere Kapazitäten im Bildungssystem notwendig sein dürften.
  • Im Westen werden die Geburtenzahlen in den nächsten Jahren sehr wahrscheinlich etwa auf dem Vor-Corona-Niveau verbleiben oder leicht rückläufig sein. Die hier zu beobachtende starke Zunahme zwischen den Jahren 2020 und 2021, dürfte vorwiegend ein einmaliger Lockdown-Effekt sein. Weder ist hier ein weiterer maßgeblicher Anstieg noch ein sehr starker Rückgang wie im Osten zu erwarten.
  • Dennoch könnten in einzelnen Regionen mit starkem Zuzug die Geburtenzahlen und Jahrgangsstärken substanziell steigen und ein entsprechender weiterer Ausbau der Kapazitäten im Bildungssystem notwendig werden.
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