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Matthias Diermeier / Markos Jung / Pekka Sagner IW-Kurzbericht Nr. 30 18. Mai 2018 Regionales Wachstum: Wirtschaftskrise bremst europäische Konvergenz

Bis zur Wirtschafts- und Finanzkrise haben sich die wirtschaftlichen Verhältnisse in den europäischen Regionen angenähert. Dieser Prozess ist in den vergangenen Jahren aufgrund von niedrigerem Wachstum in Osteuropa und von Stagnation in Südeuropa völlig zum Erliegen gekommen.

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Wirtschaftskrise bremst europäische Konvergenz
Matthias Diermeier / Markos Jung / Pekka Sagner IW-Kurzbericht Nr. 30 18. Mai 2018

Regionales Wachstum: Wirtschaftskrise bremst europäische Konvergenz

IW-Kurzbericht

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Bis zur Wirtschafts- und Finanzkrise haben sich die wirtschaftlichen Verhältnisse in den europäischen Regionen angenähert. Dieser Prozess ist in den vergangenen Jahren aufgrund von niedrigerem Wachstum in Osteuropa und von Stagnation in Südeuropa völlig zum Erliegen gekommen.

Seit ihren Gründungstagen hat die EU das Angleichen nationaler Lebensstandards auf hohem Niveau zu einem Kernziel der europäischen Integration gemacht (Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, 1957; Europäische Union, 1992). Aus dieser Zielsetzung heraus begründet sich auch die Finanzierung der Europäischen Kohäsionspolitik, die immerhin 34 Prozent des europäischen Budgets ausmacht (Darvas/Wolff, 2018). Gerade für weniger wirtschaftsstarke Länder sind die Kohäsionsmittel von besonderer Bedeutung: Allein die Zuweisungen der EU-Gelder an Rumänien im Förderungszeitraum 2014–2020 betragen insgesamt rund 31 Milliarden Euro – bei einem rumänischen Bruttoinlandsprodukt von rund 170 Milliarden Euro.

Die hohe Bedeutung der Konvergenzperspektive für ärmere Mitgliedstaaten sowie die großen Zahlungen der reicheren Länder begründen ein erhebliches Evaluationsinteresse. Dabei hat sich die kausale Analyse der Kohäsionspolitik als außerordentlich schwierig dargestellt – auch weil zuallererst die Frage nach einem Maß für die Vereinheitlichung der Lebensverhältnisse beantwortet werden muss. Eine wichtige Messzahl zur Evaluation der Konvergenzanstrengungen ist das kaufkraftbereinigte Bruttoinlandsprodukt. Ausgehend von der Idee, dass ärmere Länder ein überdurchschnittliches Wachstum benötigen, um zu reicheren Ländern aufzuschließen, stellt die Abbildung die sogenannte β-Konvergenz dar. Gemäß diesem Maß findet im Großen und Ganzen Konvergenz innerhalb der EU statt, wenn der ärmere Süden und Osten schneller wachsen als der reichere Westen und Norden.

Historisch betrachtet hat – gemessen am realen Bruttoinlandsprodukt pro Kopf – innerhalb der EU-15 tatsächlich ein solcher Konvergenzprozess stattgefunden. Seit den 1950er Jahren ist die Wirtschaftsleistung in den vergleichsweise armen Ländern Südeuropas – Griechenland, Portugal und Spanien – besonders stark gestiegen, am niedrigsten war das Wachstum im reichen Dänemark. Insbesondere bis in die 1980er Jahre sind die EU-15 stärker zusammengerückt (Goecke, 2013).

Mit dem Eintritt der osteuropäischen Länder in die EU-Familie – deren Einkommensniveaus zum Teil weit unter denjenigen Südeuropas liegen – hat sich der Referenzrahmen der Analyse grundlegend verschoben. Und tatsächlich zeigt sich auf den ersten Blick zwischen 1999 und 2016 ein solides Aufholwachstum der baltischen und osteuropäischen Länder gegenüber dem EU-Durchschnitt, das jedoch durch sehr hohe Wachstumsraten im Vorkrisenzeitraum getrieben wird. Auffällig ist neben der durch die Finanz- und Wirtschaftskrise bedingten schwachen Performance Griechenlands das desaströse Abschneiden Italiens. Im kaufkraftbereinigten Vergleich zwischen 1999 und 2016 verliert Italien gegenüber dem Durchschnitt der EU-28 ganze 25 Prozent (del Hoyo et al., 2017).

Dabei haben sich die Einkommensperspektiven nicht überall in Italien verschlechtert. Dass es den in-dustriestarken Regionen Norditaliens verhältnismäßig gut ergangen ist, vernachlässigt die Betrachtung der Länderaggregate. Um den Unterschieden innerhalb der Länder gerecht zu werden, ist daher eine differenzierte Betrachtung der regionalen Wirtschaftslage vonnöten. Auf regionaler Ebene bietet sich die Betrachtung der sogenannten NUTS-3 Kategorisierung der EU-Länder an (Goecke/Hüther, 2016). In Deutschland ergibt sich diese Einteilung aus den 402 Landkreisen und kreisfreien Städten, in Italien aus den 110 provincias, in Frankreich aus den 101 départements. Insgesamt ist die EU in 1.341 NUTS-3 Regionen unterteilt (NUTS-2013-Klassifikation).

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Der regionale Vergleich spannt eine breite Einkommensdisparität in Europa auf: Die kaufkraftbereinigte Wirtschaftsleistung pro Kopf lag im Jahr 2015 im britischen Camden & City of London 55 mal so hoch wie im bulgarischen Silistra.

Im zeitlichen Verlauf zeigen sich Konvergenzprozesse insbesondere in den durch starke wirtschaftliche Entwicklung geprägten Hauptstadtregionen Osteuropas, die sich im Vergleich mit den nationalen Durchschnitten besonders wirtschaftsstark und bevölkerungsreich darstellen (Alcidi et al., 2018): Noch 2003 lag das kaufkraftbereinigte BIP pro Kopf in Madrid doppelt so hoch wie in Bukarest, im Jahr 2015 erwirtschafteten die Bewohner Bukarests kaufkraftbereinigt 20 Prozent mehr als die Madrilenen.

Goecke und Hüther (2016) finden in ihrer regionalen EU-Konvergenzanalyse zwischen 2000 und 2011 keine eindeutige wirtschaftliche Konvergenz. Insbesondere die unterschiedliche Wachstumsperformance der durch die Finanz- und Wirtschaftskrise gebeutelten Regionen Griechenlands und Portugals motivieren eine differenziertere Betrachtung, die die asymmetrische Krisenwirkung herausarbeitet.

Im Vorkrisenzeitraum zwischen 2003 und 2008 zeigt sich in Europa ein deutlicher Konvergenzprozess, der regional durch hohe Wachstumsraten in Osteuropa und dem Baltikum getrieben wird. Auch können einige ärmere südeuropäische Regionen – vor allem in Spanien und Portugal – gelungenes Aufholwachstum verzeichnen. Unter den reicheren Regionen fallen in diesem Zeitraum insbesondere einige französische und britische Regionen zurück.

Mit dem Ausbruch der Finanzkrise ändert sich dieses Bild fundamental. Zum einen schwächt sich das relative Wachstum in den osteuropäischen Staaten ab. So wuchs das kaufkraftbereinigte BIP pro Kopf in Bulgarien und Rumänien vor der Krise (2003–2008) um durchschnittlich 9,7 bzw. 14,9 Prozent – danach aber mit lediglich 4,1 bzw. 4,6 Prozent. Zum anderen waren viele südeuropäische Regionen in besonderem Maß von der Eurokrise betroffen. Dies gilt auch dann, wenn man die stärksten Verwerfungen der Finanzkrise in den Jahren 2008 und 2009 ignoriert. Verschiedene ärmere griechische Regionen verlieren gegenüber dem EU-Durchschnitt allein zwischen 2010 und 2015 jährlich rund 4 Prozent.

Auf der anderen Seite stehen deutsche und britische Kreise, die im Nachkrisenzeitraum von einem hohen Ausgangsniveau aus ein starkes Wachstum verzeichneten. Das kaufkraftbereinigte BIP pro Kopf in der kreisfreien Stadt Ingolstadt lag beispielsweise im Jahr 2010 bei rund 77.000 Euro, viermal so hoch wie der EU-Durchschnitt und damit an Platz 10 der 1.341 europäischen Regionen. Bis 2015 konnte Ingolstadt seinen Vorsprung auf das knapp 5,5-fache des EU-Durchschnitts ausbauen. So deutlich konnte keine andere EU-Region seine Position verbessern.

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Durch diese unterschiedlichen Entwicklungen ist der Konvergenzprozess in den Jahren nach der Finanzkrise ins Stocken geraten. Das rasante Wachstum im Osten hat sich verlangsamt, der Süden erholt sich nur geringfügig, wirkt in Teilen völlig abgehängt und konnte nicht maßgeblich von der sich erholenden Weltkonjunktur und dem vorteilhaften Niedrigzinsumfeld profitieren. Immerhin geben aktuelle Zahlen Grund zur Hoffnung. So wuchsen Spanien und Portugal 2017 stärker als der EU-Durchschnitt und auch Rumänien und Polen wachsen wieder deutlicher. Größte Sorgenkinder bleiben weiterhin (Süd-)Italien und Griechenland, wo notwendige Reformen weniger konsequent als in Spanien und Portugal umgesetzt wurden.

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Matthias Diermeier / Markos Jung / Pekka Sagner: Wirtschaftskrise bremst europäische Konvergenz

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