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Mareike Decker / Christiane Flüter-Hoffmann / Wiebke Modler IW-Kurzbericht Nr. 66 8. August 2022 Hohe betriebliche Unterstützung der Menschen mit Behinderungen

Barrierefreie Arbeitsplätze sowie organisatorische und personelle Unterstützung von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsplatz sind eine wichtige Voraussetzung für die erfolgreiche betriebliche Inklusion. Dass dies häufig in den Unternehmen gelingt, zeigt der kürzlich veröffentlichte Abschlussbericht der Bundesregierung zur Teilhabe von Menschen mit Behinderungen.

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Hohe betriebliche Unterstützung der Menschen mit Behinderungen
Mareike Decker / Christiane Flüter-Hoffmann / Wiebke Modler IW-Kurzbericht Nr. 66 8. August 2022

Hohe betriebliche Unterstützung der Menschen mit Behinderungen

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Barrierefreie Arbeitsplätze sowie organisatorische und personelle Unterstützung von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsplatz sind eine wichtige Voraussetzung für die erfolgreiche betriebliche Inklusion. Dass dies häufig in den Unternehmen gelingt, zeigt der kürzlich veröffentlichte Abschlussbericht der Bundesregierung zur Teilhabe von Menschen mit Behinderungen.

Das Institut für angewandte Sozialwissenschaft GmbH (infas) hat zusammen mit der Hochschule Fulda, dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und der Hochschule Duisburg-Essen im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) über vier Jahre – von 2017 bis 2021 – mehr als 22.000 Personen befragt (BMAS, 2022, S. 45). Damit ist diese Teilhabebefragung die umfangreichste ihrer Art, die es bisher in Deutschland gab. Sie untersucht unter anderem, welche Unterstützung Menschen mit Behinderungen für eine selbstbestimmte Lebensführung in Anspruch nehmen.

Der vorliegende Kurzbericht greift Einzelergebnisse aus dem Kapitel „Arbeit und Beschäftigung“ heraus und betrachtet weitere Studien zur Thematik.

Befragte Personen

Die Forschenden der Teilhabebefragung haben Daten von drei verschiedenen Gruppen erhoben (BMAS, 2022, S. 36f.):

  • 16.003 Personen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen in Privathaushalten (darunter 5.042 mit einem Schwerbehindertenausweis, also einem Grad der Behinderung – GdB – von 50 bis 100)
  • 6.062 Personen ohne Beeinträchtigungen und Behinderungen in Privathaushalten (Vergleichsstichprobe)
  • 3.354 Bewohnerinnen und Bewohnern in 327 Einrichtungen

Dieser Kurzbericht bezieht sich ausschließlich auf die erstgenannte Befragungsgruppe.

Die Teilhabebefragung unterscheidet zwischen Menschen mit Beeinträchtigungen und Menschen mit einer selbsteingeschätzten Behinderung (BMAS, 2022, S. 31 und vgl. Tabelle nächste Seite):

  • Menschen mit Beeinträchtigung: Person mit mindestens einer länger anhaltenden Funktionsbeeinträchtigung, die aber nach subjektiver Selbsteinschätzung keine oder nur geringe Alltagseinschränkungen hat
  • Menschen mit selbsteingeschätzter Behinderung: Person sagt von sich, dass mindestens eine Funktionsbeeinträchtigung vorliegt und das Alltagshandeln nach der subjektiven Einschätzung ziemlich oder stark eingeschränkt ist. Für diese subjektive Selbsteinschätzung werden die Angaben zur Stärke der individuellen Funktionsbeeinträchtigung mit den Alltagseinschränkungen verknüpft

Fragen zum Arbeitsleben betrafen unter anderem die Arbeitszufriedenheit und den Unterstützungsbedarf am Arbeitsplatz.

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Unterstützungsbedarf am Arbeitsplatz

Die Studie fragte unter anderem den Bedarf an technischer, organisatorischer und personeller Unterstützung am Arbeitsplatz ab. Dabei zeigte sich, dass Menschen mit selbsteingeschätzter Behinderung in allen Bereichen einen höheren Bedarf haben als Menschen mit einer Beeinträchtigung. Dieser Bedarf wird auch überwiegend gedeckt – der infas-Bericht spricht von einem „durchaus positiven Bild“ (BMAS, 2022, S. 157). Beispielsweise sagten 12 Prozent der Frauen und Männer mit selbsteingeschätzter Behinderung, dass sie einen angepassten, barrierefreien Arbeitsplatz brauchen und auch haben. Nur jeweils drei Prozent sagten, dass sie ihn brauchen, aber nicht haben. Bei den „technischen Hilfsmitteln“ waren es jeweils vier Prozent, die berichteten, dass ihnen die am Arbeitsplatz benötigten technischen Hilfsmittel fehlen (Tabelle).

Arbeitszufriedenheit sehr hoch

Die erwerbstätigen Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen sind gleichermaßen etwas zufrieden oder sehr zufrieden mit ihrer Arbeit: Von den Frauen mit und ohne Beeinträchtigungen gaben jeweils 91 Prozent an, dass sie sehr zufrieden oder etwas zufrieden mit ihrer Arbeit sind. Bei den Männern gab es einen Unterschied von drei Prozentpunkten: 93 Prozent der Männer ohne und 90 Prozent der Männer mit Beeinträchtigungen gaben an, etwas oder sehr zufrieden zu sein. In der Gruppe der Frauen und Männer mit selbsteingeschätzter Behinderung sind es etwa zehn Prozentpunkte weniger, die angeben, dass sie etwas oder sehr zufrieden sind. Mit jeweils 81 Prozent der Frauen und der Männer ist es dennoch eine große Mehrheit der Personen mit selbsteingeschätzter Behinderung, die etwas zufrieden oder sehr zufrieden mit ihrer Arbeit sind (BMAS, 2022, S. 158).

Diese Ergebnisse des infas-Teilhabesurveys bestätigen auch die Erkenntnisse aus einer IW-Studie zur Arbeitszufriedenheit von Menschen mit Behinderungen. Wegen der unterschiedlichen Zielgruppe bei beiden Befragungen sind die Ergebnisse nicht unmittelbar vergleichbar, stimmen aber tendenziell überein. Die IW-Studie hat auf Basis der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung von 2018 die Daten von fast 18.000 Beschäftigten hinsichtlich der Arbeitszufriedenheit ausgewertet, darunter zehn Prozent mit einer anerkannten Behinderung. Von den Beschäftigten ohne Behinderungen gaben knapp 91 Prozent an, dass sie zufrieden oder sehr zufrieden sind, während es bei Menschen mit Behinderungen 89 Prozent waren (Flüter-Hoffmann/Hammermann/Monsef, 2021 und Flüter-Hoffmann/Kurtenacker, 2022).

Erfolgsfaktoren für Inklusion

Eine weitere IW-Studie (Decker/Flüter-Hoffmann/Stettes, 2021), die Befragungsdaten von 1.283 Menschen mit Behinderungen auswertete, ergab, dass bei 41,1 Prozent der Befragten benötigte technische Anpassungen und bei 32,4 Prozent organisatorische Anpassungen im Zusammenhang mit ihrer Arbeit vorgenommen wurden. Zudem kam die Studie zum Ergebnis, dass Beschäftigte, für die bereits technische oder organisatorische Arbeitsanpassungen erfolgt sind, das Betriebsklima eher als unterstützend wahrnehmen. Das subjektiv empfundene unterstützende Betriebsklima hat wiederum einen Effekt auf das Integrationserleben der Menschen mit Behinderungen in Unternehmen – wer das Betriebsklima subjektiv als unterstützend wahrnimmt, fühlt sich tendenziell auch besser im Betrieb integriert.

KMU mit Nachholbedarf

Seit Januar 2020 erforscht das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in seinem Projekt „Menschen mit Schwerbehinderungen in Betrieben” (Projekt-Nr. 3759), warum vor allem kleine und mittlere Unternehmen (KMU) noch zu wenige Menschen mit einer Schwerbehinderung ausbilden oder beschäftigen. Dazu analysierten Hiesinger und Kubis (2022) Daten von 20.115 Betrieben aus der IAB-Stellenerhebung im vierten Quartal 2020. Mehr als drei Viertel der befragten Betriebe in der Größenklasse der KMU (77 %) gaben an, keine geeigneten Bewerberinnen und Bewerber finden zu können (Hiesinger/Kubis, 2022, S. 6). Erwähnenswert ist auch das Ergebnis, dass knapp 80 Prozent der befragten Betriebe keine Unterschiede zwischen Beschäftigten mit und ohne Schwerbehinderung in Bezug auf ihre soziale Einbindung sehen. Das könnte für eine gelungene Inklusion sprechen.

Fazit und Ausblick

Die betrachteten Studien unterstreichen die Relevanz und den Nutzen von bedarfsgerechten technischen, organisatorischen und personellen Unterstützungsangeboten in Unternehmen. Die Ergebnisse lassen darauf schließen, dass Inklusion gelingt, wenn Unternehmen diese aktiv gestalten und ihre Beschäftigten mit Behinderungen entsprechend deren individuellen Bedarfen unterstützen.

Mithilfe der „Einheitlichen Ansprechstellen für Arbeitgeber”, die auf der Grundlage des erweiterten Teilhabestärkungsgesetzes seit Januar 2022 in allen 16 Bundesländern flächendeckend eingerichtet werden (§ 185a SGB IX), könnte sich die Situation gerade für KMU bald verbessern: Sie können künftig Informationen und Beratung aus einer Hand erhalten – und das sehr praxisorientiert und wirtschaftsnah (BIH, 2022). Sie erfahren dort nicht nur, wie sie Personen mit (Schwer-)Behinderung ausbilden oder beschäftigen können, sondern auch, wie sie deren Arbeitsplätze bedarfsgerecht ausstatten sowie eine barrierefreie Arbeitsumgebung schaffen können. Mit diesen Unterstützungsmaßnahmen können sie zur erfolgreichen Inklusion beitragen und die Arbeitszufriedenheit der Menschen mit Behinderungen erhöhen.

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