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Maike Haag / Enno Kohlisch / Oliver Koppel IW-Kurzbericht Nr. 16 16. März 2024 Der Innovationsbeitrag von Migration nach Branchen

Migration leistet einen unverzichtbaren Beitrag zur Innovationskraft Deutschlands: Ein Rekordwert von 13 Prozent und damit mehr als jede achte aller hierzulande entwickelten Patentanmeldungen geht inzwischen auf Erfindende mit ausländischen Wurzeln zurück. Besonders stark profitieren die Software- und Elektrobranchen, aber auch die Hochschulen ernten die Erfolge ihrer Internationalisierungsstrategie.

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Der Innovationsbeitrag von Migration nach Branchen
Maike Haag / Enno Kohlisch / Oliver Koppel IW-Kurzbericht Nr. 16 16. März 2024

Der Innovationsbeitrag von Migration nach Branchen

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Migration leistet einen unverzichtbaren Beitrag zur Innovationskraft Deutschlands: Ein Rekordwert von 13 Prozent und damit mehr als jede achte aller hierzulande entwickelten Patentanmeldungen geht inzwischen auf Erfindende mit ausländischen Wurzeln zurück. Besonders stark profitieren die Software- und Elektrobranchen, aber auch die Hochschulen ernten die Erfolge ihrer Internationalisierungsstrategie.

Methodik und Datengrundlage

Der vorliegende Bericht schreibt zunächst die Daten aus Haag et al. (2022) fort und analysiert, welchen Beitrag in Deutschland lebende Erfindende mit ausländischen Wurzeln zu den hierzulande entwickelten Patentanmeldungen leisten. Grundlage der Analyse ist eine Auswertung der IW-Patentdatenbank, konkret der Gesamtheit aller Patente, die im Zeitraum von 2010 bis 2020 Schutzwirkung für Deutschland oder darüber hinaus angestrebt haben und an denen zumindest anteilig Erfindende mit Wohnsitz in Deutschland beteiligt waren. Da Patentanmeldungen einer Offenlegungsfrist unterliegen, bildet 2020 das zum Auswertungszeitpunkt aktuelle Jahr.

Patentanmeldungen beinhalten keine soziodemografischen Informationen zu den Erfindenden wie etwa Geschlecht oder Staatsangehörigkeit. Die Auswertung erfolgt daher mittels des für die IW-Patentdatenbank entwickelten Vornamenmoduls, welches die rund 41.000 verschiedenen Vornamen aller in Deutschland wohnhaften Erfindenden beinhaltet, die seit dem Jahr 1994 an einer Patentanmeldung mit angestrebter Schutzwirkung für Deutschland beteiligt waren. In der Folge wurden diese Vornamen einem oder mehreren von insgesamt 24 Sprachräumen zugeordnet, um jene Region der Welt zu bestimmen, in der mit hoher Wahrscheinlichkeit die Wurzeln der betreffenden Personen liegen. Diese Methode weist eine deutlich höhere Präzision auf als eine Analyse auf Basis der reinen Staatsangehörigkeit. Letztere würde in einer gravierenden Untererfassung resultieren, da im Jahr 2020 rund 51 % der Menschen mit Migrationshintergrund deutsche Staatsangehörige waren (Statistisches Bundesamt, 2022). Für eine detaillierte Erläuterung des Vornamenmoduls siehe Koppel et al. (2018).

Im Rahmen der Auswertung erhalten Erfindende und damit deren Vornamen eine Patentanmeldung anteilig zugerechnet. Es wird folglich nicht nur für alle Erfindenden deren zugehöriges Gewicht der Sprachräume ausgewertet, sondern dieser Wert wird zusätzlich durch die Anzahl der Erfindenden innerhalb einer Patentanmeldung geteilt. Anteile von Erfindenden mit Wohnsitz im Ausland entfallen, so dass das Ergebnis den vollpatentäquivalenten Anmeldungen mit erfinderischem Ursprung in Deutschland entspricht.

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Ergebnisse

Die Abbildung zeigt zunächst den Anteil der in Deutschland wohnhaften Erfindenden mit ausländischen Wurzeln an allen in Deutschland entwickelten Patentanmeldungen des Jahres 2020. Der Wert beinhaltet zu etwa 90 Prozent den kumulierten Beitrag der 23 spezifisch nichtdeutschen Sprachräume sowie zu etwa 10 Prozent den Aufschlag der überlappend ausländisch-deutschen Sprachräume. Bezogen auf die gesamte Volkswirtschaft werden inzwischen 13,0 Prozent und damit mehr als jede achte aller hierzulande entwickelten Patentanmeldungen von Erfindenden mit ausländischen Wurzeln hervorgebracht. Der bisherige Rekordwert aus dem Jahr 2019 (vgl. Haag et al., 2022) wurde somit nochmals übertroffen.

Ergänzend ist die Veränderung im Vergleich zum Jahr 2010 abgebildet. Insgesamt ist der entsprechende Anteil im Betrachtungszeitraum kontinuierlich und im Ergebnis um 5,5 Prozentpunkte angestiegen. In Absolutwerten gemessen ist die Patentleistung von Erfindenden mit ausländischen Wurzeln seit dem Jahr 2010 um 2.300 oder 64 Prozent gestiegen, während jene von Erfindenden aus dem deutschen Sprachraum um 4.750 oder 11 Prozent gesunken ist. Unter dem Strich ist folglich ein Rückgang um rund 2.450 oder 5 Prozent zu verzeichnen, welcher ohne den stark gestiegenen Beitrag von Erfindenden mit ausländischen Wurzeln sogar nahezu doppelt so hoch ausgefallen wäre. Dass die Patentleistung von Erfindenden aus dem deutschen Sprachraum sinkt, liegt keineswegs an deren Forschungskompetenz, sondern vielmehr an der demografischen Entwicklung und den gravierenden Arbeitsmarktengpässen in technisch-naturwissenschaftlichen Berufen (Anger et al., 2023), denn letztere zeichnen maßgeblich für Forschung und Entwicklung und folglich auch für Patentanmeldungen verantwortlich. Und wenn zunehmend Köpfe fehlen, fehlen zunehmend auch Forschungsergebnisse.

Nach Branchen

Differenziert nach Branchen zeigt sich ein sehr unterschiedliches Bild. Den mit rund 23 Prozent größten Beitrag zur Innovationskraft leistet Migration in den Dienstleistungsbranchen der Informations- und Kommunikationstechnik (IKT). Softwarebranche und Co. müssten ohne ihre Erfindenden mit ausländischen Wurzeln folglich auf rund ein Viertel ihrer Patentleistung verzichten. Bei Spitzenreiter SAP sind es sogar mehr als 50 Prozent aller Patentanmeldungen, die vollumfänglich auf diesen Personenkreis entfallen (vgl. Haag et al. 2022). Auch konnten die IKT-Dienstleistungsbranchen mit 9,7 Prozentpunkten den größten Anteilszuwachs erzielen, obwohl sie bereits zum Jahr 2010 den Spitzenplatz beim Niveau des Anteils eingenommen hatten.

Mit einigem Abstand auf Platz 2 folgen die deutschen Hochschulen, die seit einigen Jahren erfolgreich eine Internationalisierungsstrategie sowohl ihres Personals als auch ihrer Studierenden verfolgen und entsprechende Erfolge auch in ihrer Patentleistung erzielen. Mit einem Anteil von 15,0 Prozent auf Platz 3 landet die eng mit den IKT-Dienstleistungsbranchen verbundene Elektroindustrie, die den zweithöchsten Anteilszuwachs zu verbuchen hat.

In jeder einzelnen Branche ist der Beitrag ausländischer Erfindender zur Patentaktivität deutlich gestiegen. Die gemeinsame Betrachtung von Niveau und Veränderung liefert die Erkenntnis, dass der Anteilswert in Branchen mit bereits höherem Ausgangswert tendenziell stärker angestiegen ist und die Heterogenität zwischen den Branchen folglich deutlich zugenommen hat.

Rund ein Drittel aller von Erfindenden mit ausländischen Wurzeln hervorgebrachten Patentanmeldungen entfallen auf die Automobilindustrie, welche auch insgesamt die mit Abstand meisten Patentanmeldungen hervorbringt. Gemeinsam mit der Elektroindustrie, dem Maschinenbau und den sonstigen M+E-Branchen vereint die Metall- und Elektroindustrie hierzulande mehr als zwei Drittel aller von Erfindenden mit ausländischen Wurzeln hervorgebrachten Patentanmeldungen auf sich. Auf Hochschulen und Universitäten entfallen lediglich 2,3 Prozent dieser Anmeldungen.

Unter dem Strich leistet Migration einen inzwischen unverzichtbaren Beitrag zur Innovationskraft Deutschlands. Angesichts der demografischen Entwicklung hierzulande wird ihre Bedeutung künftig sogar nochmals deutlich steigen. Insbesondere potenzialorientierte Zuwanderung technisch-naturwissenschaftlicher Fachkräfte – und damit der Kerngruppe potenzieller Erfindender – aus Drittstaaten hat bereits einen großen Impuls zur Stärkung des deutschen Innovationssystems gesetzt und wird auch in Zukunft eine der wichtigsten Säulen zur Sicherung der Innovationskraft am Forschungsstandort Deutschland repräsentieren.

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