Etwas mehr als die Hälfte der deutschen Unternehmen sieht eine politische Positionierung gegenüber der AfD als Aufgabe ihrer Interessensvertreter, also von Verbänden, Innungen, Kammern etc., an.
Parteipolitik, Unternehmen und Verbände – die Causa AfD
Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
Etwas mehr als die Hälfte der deutschen Unternehmen sieht eine politische Positionierung gegenüber der AfD als Aufgabe ihrer Interessensvertreter, also von Verbänden, Innungen, Kammern etc., an.
Sich selbst jenseits der Wirtschaftspolitik aktiv politisch zu positionieren, betrachten genau die Hälfte der Unternehmen als ihre eigene Angelegenheit. In dieser Frage besteht ein Unterschied zwischen Ost- und Westdeutschland.
Jüngst war es wieder einmal so weit: Die Debatte, ob und wie die koalitionäre Brandmauer zwischen Union und AfD Bestand hat, wurde durch Wortmeldungen von Start-Up-Investoren aufs Neue entfacht. Die Vorstandsvorsitzende des Startupverbands, Verena Pausder, wies in einem vielbeachteten Interview darauf hin, dass ihr Verband „sich immer klar und deutlich gegen die AfD positioniert“ habe (Sachse 2024). Das sind neue Töne, denn traditionell sind Verbände wie Unternehmen in der Bundesrepublik – zumindest was verallgemeinernde öffentliche Äußerungen für oder gegen einzelne Akteure angeht – parteipolitisch neutral (Markus 2002, 211; Bähr/Kopper 2019, 281f.; Dietz 2020, 209ff.). Sie versuchen zwar über die Parteien und deren Protagonisten politischen Einfluss zu nehmen – wobei es kaum verwundert, dass Union und FDP den Wirtschaftsverbänden oftmals inhaltlich näherstehen als SPD und Grüne –, die klare Absage an eine spezielle Partei hat es bis vor kurzem in der Bundesrepublik jedoch so noch nicht gegeben. Auch dies war ein deutscher Sonderweg, da sich in vielen Ländern Unternehmen gegenüber Parteien insbesondere am linken Rand des Parteienspektrums eindeutig ablehnend eingelassen haben (Feldmann/Morgan 2023). Gegenüber der PDS bzw. der Partei DIE LINKE ist dies jedoch nicht geschehen.
Vielmehr dauerte es bis zum Erstarken der AfD in der jüngeren Vergangenheit, und insbesondere bis zum sogenannten „Potsdamer Geheimtreffen“, bis viele Verbände erstmals in der Breite gegenüber einer Partei unüberhörbar Stellung bezogen haben. Selbst unmittelbar nach dem Beginn der Debatte im Zuge der Landratswahl im thüringischen Sonneberg, ob die AfD ein Standortrisiko darstelle, hatte im Spätsommer 2023 jedoch lediglich ein Drittel der Hauptgeschäftsführer großer Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände in einer IW-Befragung geantwortet, die Verbände seien in der Verantwortung, „dem Erstarken der AfD entgegenzuwirken“ (Bergmann/Diermeier/Kinderman/Schroeder 2024).
Nicht ganz so ausgeprägt übten traditionell auch Unternehmen Enthaltsamkeit auf parteipolitischem Felde, wobei auch bei ihnen im Umgang mit der AfD ein deutlicher Wandel erkennbar geworden ist. Unübersehbar zugenommen haben die Erwartungen von verschiedenen Seiten an die Wirtschaft (Bergmann/Diermeier/Schroeder 2024). Die Unternehmen zeigten sich responsiv: Im Vorfeld der Europawahl und den Landtagswahlen in Ostdeutschland in diesem Jahr hatte sich fast jedes zweite westdeutsche und mehr als jedes vierte ostdeutsche Unternehmen öffentlich gegen die AfD positioniert (Bergmann/Diermeier/Schroeder 2024).
Anspruch von Unternehmen
Daher liegt die Frage nahe, inwieweit es erstens Unternehmen als ihre Aufgabe ansehen, jenseits der Wirtschaftspolitik aktiv politische Standpunkte zu vertreten, und zweitens die politische Positionierung gegen die AfD als Aufgabe der Interessensvertreter der Unternehmen, also von Verbänden, Innungen, Kammern etc., verstehen.
Auf die erste Frage antworten genau die Hälfte der Unternehmen, dass sie es „unbedingt“ oder „eher“ als ihre eigene Aufgabe ansehen, sich jenseits der Wirtschaftspolitik aktiv politisch zu positionieren. Allerdings fällt der Anteil der Antworten aus der mittleren Kategorie „eher“ sowohl bei der Bejahung als auch bei der Verneinung mit jeweils über 35 Prozent sehr groß aus. Auffällig ist, dass in Ostdeutschland mit knapp 23 Prozent fast doppelt so viele Unternehmen mit „keinesfalls“ antworten als in Westdeutschland mit knapp unter zehn Prozent. Bei den Ja-Angaben existieren auch in den Kategorien „eher“ und „unbedingt“ erkennbare Unterschiede von knapp drei beziehungsweise knapp sieben Prozentpunkten zwischen Ost und West. Damit sehen sich ostdeutsche Unternehmen weniger stark in der Pflicht, politische Haltung einzunehmen, zur Gesamtschau gehört hingegen auch, dass sich intern immerhin 42 Prozent gegen die AfD ausgesprochen haben (Bergmann/Diermeier/Schroeder 2024).
Sieht sich ein Unternehmen in der Pflicht, selbst Haltung zu zeigen, entbindet dies nicht die Interessensvertreter aus der Verantwortung, ebenfalls aktiv zu werden. Knapp zwei Drittel der Unternehmen, die es als ihre Aufgabe ansehen, sich über wirtschaftspolitische Fragen hinaus zu engagieren, weisen gleichzeitig ihren Interessensvertretern die Verantwortung zu, sich aktiv gegen die AfD auszusprechen. Insgesamt nimmt mehr als jedes zweite Unternehmen in dieser Frage die Interessensvertreter in die Pflicht.
Mit Blick auf die Ost-West Unterschiede zeigt sich ein ähnliches Bild wie hinsichtlich der politischen Anforderungen an das eigene Unternehmen. Der Anteil von Unternehmen, die das Positionsbeziehen gegen die AfD als Aufgabe ihrer Interessensvertreter verneinen, fällt mit über 40 Prozent in Ostdeutschland abermals höher aus als in Westdeutschland mit knapp 35 Prozent. Andersherum fällt der Anteil von Unternehmen, die ihren Vertretern die politische Positionierung gegen die AfD zuschreiben, im Westen mit fast 58 Prozent höher aus als im Osten mit knapp über der Hälfte.
Damit mandatiert auch in Ostdeutschland jedes zweite Unternehmen seine Interessensvertreter, sich parteipolitisch gegen die AfD zu bekennen. Symptomatisch antwortet beispielsweise ein Unternehmensvertreter, man engagiere sich gegen die AfD „über einen Verband, der über die notwendige politische Nähe und entsprechenden Einfluss verfügt“. Auch die Frage, was man anderen Unternehmen in puncto parteipolitischer Stellungnahme empfehlen würde, referenzieren verschiedene Manager auf die verfasste Wirtschaft und raten zur „Teilnahme an Aktionen ihrer Verbände (IHK, BDI, usw.)“ sowie dazu, die „Stellungnahmen der Verbände [zu] nutzen und sich als Unternehmer inhaltlich [zu] positionieren.“
So überrascht nicht, dass sich über 40 Prozent selbst der Unternehmen, die es nicht als ihre Rolle ansehen, sich jenseits wirtschaftspolitischer Sachverhalte einzulassen, ihren Interessensvertretern die Aufgabe, sich gegen die AfD zu wenden, zuweisen. Gerade in Regionen, in denen diese Partei den Diskurs beherrscht, ist nachvollziehbar, wenn Unternehmen von einer Positionierung absehen. Sie mutieren damit aber nicht zwangsläufig zu politischen Neutren – die Zeiten, in denen Unternehmen strikt der berühmten Friedman-Doktrin „The business of business is business“ folgten, scheinen endgültig vorbei zu sein.
Datengrundlage ist ein Fragekatalog zu wirtschaftspolitischen Positionen von Parteien innerhalb der regelmäßigen Unternehmensbefragung, IW-Zukunftspanel. Befragt wurden Geschäftsführer, Vorstände oder Leiter der Strategieabteilungen in Unternehmen der Industrie und der industrienahen Dienstleistungsbranche. Die Befragung war zwischen dem 08.03.2024 und dem 30.04.2024 im Feld. Die hier ausgewertete Nettostichprobe beträgt 905 Unternehmen. Neben den skalenbasierten Fragen wurden qualitative Kommentare zugelassen. Die Befragung wurde hälftig vom BDI finanziert.
Grundlage ist eine nach Anzahl der Beschäftigten und der Branche geschichtete Zufallsstichprobe. Um repräsentative Gesamtwerte für die Grundgesamtheit zu ermitteln, wurden die Befragungsergebnisse mit Anzahlgewichten (Unternehmensanzahl nach Statistischem Bundesamt) berechnet. Eine Gewichtung nach Unternehmensanzahl impliziert, dass etwa große Unternehmen aufgrund ihrer relativ geringen Anzahl mit einem kleinen Gewicht eingehen. Die ausgewiesenen Ergebnisse geben Aufschluss darüber, wie das durchschnittliche Unternehmen einen Sachverhalt einschätzt.
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IW