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Klaus-Heiner Röhl IW-Kurzbericht Nr. 59 8. Juli 2022 E-Government in der Warteschleife

Die Regierungskoalition hat sich zu einer zügigen Digitalisierung der Verwaltung bekannt. Doch die Umsetzung des Online-Zugangsgesetzes (OZG) kommt nicht voran, obwohl dieses Gesetz Dreh- und Angelpunkt für der Erfolg des E-Governments in Deutschland ist. Gute Ansätze beim Bund wie der DigitalService zur Umsetzung agiler Steuerungsmethoden in der Verwaltung sollten verstärkt werden und die Kommunen müssen bereits entwickelte Leistungen zügiger übernehmen.

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E-Government in der Warteschleife
Klaus-Heiner Röhl IW-Kurzbericht Nr. 59 8. Juli 2022

E-Government in der Warteschleife

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Die Regierungskoalition hat sich zu einer zügigen Digitalisierung der Verwaltung bekannt. Doch die Umsetzung des Online-Zugangsgesetzes (OZG) kommt nicht voran, obwohl dieses Gesetz Dreh- und Angelpunkt für der Erfolg des E-Governments in Deutschland ist. Gute Ansätze beim Bund wie der DigitalService zur Umsetzung agiler Steuerungsmethoden in der Verwaltung sollten verstärkt werden und die Kommunen müssen bereits entwickelte Leistungen zügiger übernehmen.

Bis Ende 2022 sollten alle 575 Leistungen des OZG als zentralem E-Government-Instrument des deutschen Staates für Bürger und Unternehmen online sein. Dass dieser Termin nicht mehr zu halten ist, ist jedoch schon länger klar. In den letzten drei Monaten gab es zudem kaum Fortschritte: Wie im März sind derzeit nur 80 definierte Leistungen online, etwa der digitale BAföG-Antrag oder die Online-Gewerbesteuerzahlung (OZG-Dashboard, 2022).

Neben den bundesweit verfügbaren Leistungen werden im OZG-Dashboard für die 16 Bundesländer die jeweils flächendeckend verfügbaren Leistungen sowie die Anzahl der nur in einzelnen Kreisen oder Gemeinden angebotenen digitalen Leistungen angegeben. Das insgesamt führende Bundesland ist zum Stand Ende Juni 2022 Thüringen mit 142 landesweit verfügbaren Leistungen, vor Schleswig-Holstein mit 131. Der führende „Aufsteiger“ im Vergleich zu März 2022 ist Mecklenburg-Vorpommern, wo mit 12 neuen flächendeckenden Leistungen die landesweite Verfügbarkeit auf 107 Digitalangebote angestiegen ist. Es gibt aber auch zwei „Absteiger“: In Nordrhein-Westfalen sank die Anzahl der in mindestens einer Gemeinde verfügbaren Leistungen (-11) stärker, als die der landesweit verfügbaren (+9) angestiegen ist, so dass im Bundesland insgesamt 2 Leistungen weniger verfügbar sind als noch im März. In Niedersachsen lag die negative Differenz auf Gemeindeebene sogar bei 11 Leistungen, die nun weniger genutzt werden können – oder als nutzbar angegeben werden. Denn vermutlich wurden zuvor Leistungen als umgesetzt gemeldet, die einer näheren Prüfung der Online-Reife nicht standhielten und deshalb wieder aus dem Dashboard entfernt werden mussten.

Kritik des Bundesrechnungshofs

Die aus den scheinbaren Rückschritten auf Länderebene resultierenden Zweifel an der Qualität der Umsetzungsmessung werden vom Bundesrechnungshof (2022) bestätigt und noch verstärkt: Nicht nur die Gemeindeangaben erweisen sich als fragwürdig. Auch bei den „selbst verantworteten“ Diensten, die nur einen kleinen Teil der OZG-Leistungen ausmachen, hinkt der Bund den OZG-Umsetzungszielen stark hinterher. Zahlreiche als umgesetzt gemeldete Bundesleistungen erreichen laut Rechnungshof-Prüfern nicht den erforderlichen Reifegrad 3, d.h. alle Teilleistungen sind durchgängig von der Antragstellung über die Bearbeitung bis zur Genehmigung oder Leistungserfüllung für den Nutzenden online verfügbar. Nach Ansicht der Prüfer des Bundesrechnungshofs benutzen die Verantwortlichen das Dashboard (2022) für irreführende Darstellungen, die den tatsächlichen Umsetzungsstand beschönigen:

  • Von den 1.532 zu digitalisierenden einzelnen Verwaltungsprozessen innerhalb der 115 OZG-Leistungen des Bundes – die zumeist aus mehreren Prozessen bestehen – wurden demnach bis September 2021 gerade einmal 58 Prozesse wie vorgesehen vollständig und flächendeckend online umgesetzt.
  • Damit betrug der Umsetzungsgrad nach vier Jahren OZG nur 3,8 Prozent; teilweise online verfügbar waren den Angaben zufolge rund 20 Prozent der Leistungen. Das Bundesinnenministerium veröffentlicht höhere Zahlen, die auch Teilumsetzungen beinhalten. Das Ziel, zumindest 115 Leistungen bis Ende 2022 bundesweit umzusetzen, dürfte auch für diese geschönte Darstellung kaum erreichbar sein.

Das für die OZG-Umsetzung zuständige Bundesinnenministerium hat die Kritik des Bundesrechnungshofs zurückgewiesen, konnte die vorgebrachten Punkte aber nicht widerlegen (Bundesrechnungshof, 2022).

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Ein Problem ist, dass der Bund sich bei der Entwicklung komplexer Digitallösungen verzettelt, die keine Vorteile gegenüber einfachen, bereits bestehenden Systemen bieten. So ließ die frühere Bundesregierung für die persönliche Online-Identifizierung – die beispielsweise eine Voraussetzung für Online-Gründungen ist – eine „Self Sovereign Identitiy“ (SSI) auf Blockchain-Basis entwickeln, obwohl der digitale Personalausweis die für die Online-Identifizierung notwendigen Funktionen seit Jahren bietet und durch mehr Applikationen weiterentwickelt werden könnte (Budras, 2022). Bislang ist die SSI nicht funktionsfähig, nun wird die Entwicklung voraussichtlich eingestellt. Durch eine Priorisierung der umzusetzenden Leistungen im Rahmen eines „OZG-Boosters“ möchte die Bundesregierung nun zumindest einige wichtige Dienste bis Jahresende prioritär digitalisieren, doch ist es dazu wahrscheinlich bereits zu spät.

Verzögerte Übernahme in den Kommunen

Nicht nur der Bund ist bei der Umsetzung der OZG-Leistungen in Verzug. Noch größer ist der Rückstand bei den vielen landesbezogenen und kommunalen Leistungen. Neben der schleppenden Entwicklung der digitalen Prozesse und Angebote ist die schlecht funktionierende flächendeckende Übernahme bereits verfügbarer kommunaler und Landes-Services ein wichtiges Hindernis zum Erreichen der OG-Ziele. So sind auch nach der Reduktion um zwei Leistungen (vgl. Tabelle) für Nordrhein-Westfalen 249 Leistungen auf einzelkommunaler Ebene als „umgesetzt“ angeführt; doch gleichzeitig werden davon lediglich 9 Online-Services – neben den 80 bundesweit verfügbaren Leistungen – im ganzen Bundesland NRW flächendeckend angeboten. Die äußerst langsame Übernahme bereits in einzelnen Kommunen eingeführter Online-Leistungen im jeweiligen Bundesland und deutschlandweit ist für das E-Government in Deutschland ein mindestens so großes Hemmnis wie die schlechte Bundes-Performance.

Eigentlich wurde hierzu das „Einer-für-Alle“-Prinzip (EfA) erdacht, dem zufolge bestimmte Bundesländer oder Kommunen – oft in Kooperation zweier Länder oder einer Kommune mit einem Land – federführend einzelne OZG-Leistungen entwickeln und alle anderen diese übernehmen (BMI, 2022). Doch fehlende Digital-Kapazitäten und Fachkräfte, falsch gesetzte Prioritäten oder möglicherweise sogar Desinteresse in den Kommunen bremst die Übernahme bislang aus.

Lösungsansätze zur Beschleunigung

Trotz EfA-Prinzip und OZG-Booster steht eine wirkliche Beschleunigung der Verwaltungsdigitalisierung aus. An dieser Stelle könnte der Künstlichen Intelligenz (KI) eine wichtige Rolle zukommen: Verwenden Kommunen gleiche Softwarelösungen, so könnten ausgearbeitete digitale Leistungen, die über ein Online-Portal des Bundes verfügbar gemacht werden, mit erheblich geringerem Aufwand in allen an das System angeschlossenen Kommunen implementiert werden, wobei KI-gesteuerte Systeme die Übereinstimmungen bei der Übernahme und notwendige Anpassungen an die jeweiligen Gegebenheiten prüfen und so händische Arbeit von IT-Fachkräften in den Kommunen teilweise ersetzen könnten.

Doch KI-Lösungen werden für diesen Zweck bislang nicht eingesetzt, und generell kommt die Entwicklung der KI in Deutschland ebenso wie die Digitalisierung viel zu langsam voran. Die zeigt auch der vom Institut der deutschen Wirtschaft berechnete KI-Monitor (Büchel et al., 2021), der für das aktuelle Jahr 2022 einen Rückgang des Indexwertes um 1,3 Punkte bzw. 4,1 Prozent im Vergleich zu 2021 ausweist (Demary/Rusche, 2022). Dabei ist 2022 sowohl der Teilindex für den Bereich Wirtschaft wie auch der Teilindex für die staatlichen Rahmenbedingungen rückläufig, während der Teilindex für den Bereich Gesellschaft leicht gestiegen ist.

Teilautomatisierte und KI-gesteuerte IT-Systeme setzen allerdings stärker standardisierte Software-Lösungen in den Kommunen voraus, die jedoch ohnehin vorteilhaft wären: In der Covid-Krise zeigte sich, dass die kommunalen Gesundheitsämter aufgrund unterschiedlicher Software-Lösungen nicht in der Lage waren, miteinander zu kommunizieren (Hüther/Röhl, 2021).

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