Vielfältige Handelshemmnisse erschweren weltweit den dringend notwendigen Austausch von Gütern zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. Daher sollten alle Staaten Zölle und Hemmnisse auf Arzneimittel und Medizinprodukte abbauen. Stockende Handelsströme im Bereich der Gesundheitsgüter belasten auch die deutsche Wirtschaft, laut WTO den weltgrößten Exporteur dieser Produkte.
Corona-Krise macht Liberalisierung des Handels mit Gesundheitsgütern noch dringlicher
IW-Kurzbericht
Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
Vielfältige Handelshemmnisse erschweren weltweit den dringend notwendigen Austausch von Gütern zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. Daher sollten alle Staaten Zölle und Hemmnisse auf Arzneimittel und Medizinprodukte abbauen. Stockende Handelsströme im Bereich der Gesundheitsgüter belasten auch die deutsche Wirtschaft, laut WTO den weltgrößten Exporteur dieser Produkte.
Die weltweiten Einschnitte in das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben im Zuge der Corona-Pandemie haben auch die globalen Handelsströme in Mitleidenschaft gezogen. Vor allem aufgrund der unterbrochenen Wertschöpfungsketten und der globalen Nachfrageschwäche dürfte gemäß der IW-Prognose der Welthandel im Jahr 2020 um 9 Prozent sinken. Während der Pandemie ist es zudem zu einer Verschärfung des Protektionismus gekommen. Einige Länder verhängten Exportbeschränkungen oder zeitweise sogar Exportverbote, um die Versorgungssicherheit der eigenen Bevölkerung mit bestimmten Arzneimitteln und medizinischen Gütern zu gewährleisten. Zudem werden diese Instrumente für industriepolitische Zwecke zur Förderung des eigenen Industriezweigs für Pharmazeutika und Medizinprodukte eingesetzt. So verständlich diese Vorgehensweise im Einzelfall sein mag, so sehr wird damit Sand ins Getriebe einer effizienten und gerechten globalen Verteilung von Gesundheitsgütern gestreut. Ein funktionierender globaler Warenverkehr bei diesen Produkten ist aktuell daher von großer Wichtigkeit.
Im Folgenden werden Gesundheitsgüter betrachtet, die für den Schutz vor und die Behandlung von Covid-19 als relevant angesehen werden – Gesundheitsgüter können entsprechend einer Studie der Welthandelsorganisation (WTO) in folgende Kategorien unterteilt werden:
- Arzneimittel: sowohl dosiert als auch undosiert. Dies ist die größte Kategorie mit einem Anteil von 56 Prozent an den globalen Importen von Gesundheitsgütern.
- Medizinprodukte (Anteil 31 Prozent): Medizintechnik und -geräte und medizinisches Verbrauchsmaterial. Dies umfasst beispielsweise Geräte für Diagnostik, Chirurgie, Intensivmedizin, Implantate, Sterilisation sowie Verbandmittel, Hilfsmittel oder OP-Material.
- Produkte zum persönlichen Schutz (Anteil 13 Prozent): wie Handseife und Desinfektionsmittel, Gesichtsmasken, Schutzbrillen.
Der Handel mit Gesundheitsgütern spielt global eine wichtige Rolle. Im Jahr 2019 belief sich der Welthandel (Exporte und Importe) mit Gesundheitsprodukten gemäß der Daten der WTO auf 2 Billionen US-Dollar. Das sind rund 5 Prozent des weltweiten Warenhandels.
Deutschland ist der WTO zufolge der größte Exporteur von Arzneimitteln und Medizinprodukten mit einem Anteil von fast 14 Prozent am Weltexport, knapp vor den USA mit rund 12 Prozent im Jahr 2019 (Abbildung). Deutsche Gesundheitsgüterexporte betrugen im vergangenen Jahr 136 Milliarden US-Dollar, die Gesundheitsgüterimporte 86 Milliarden US-Dollar.
Schon vor der Corona-Krise gab es nennenswerte Handelsbeschränkungen. So beträgt der durchschnittlich angewandte Zollsatz für Gesundheitsgüter unter den WTO-Mitgliedern 4,8 Prozent. Mehr als die Hälfte der WTO-Mitglieder erhebt Zölle in Höhe von höchstens 5 Prozent: Die EU und die USA nutzen im Durchschnitt nur geringe Zölle von 1,5 Prozent respektive 0,9 Prozent; China erhebt 4,5 Prozent. Da Zölle oft am Anfang der Wertschöpfungskette erhoben werden, stellen sie einen Kostenfaktor dar, der durch weitere Steuern und Verarbeitung an Bedeutung und Umfang zunimmt.
Ansatzpunkte für eine Verminderung der Handelshemmnisse im Welthandel mit Gesundheitsgütern gibt es bereits. Im Jahr 1995 vereinbarten 22 WTO-Mitglieder ein entsprechendes Pharma-Abkommen. Damit beseitigten die Teilnehmerstaaten ihre vormaligen Zölle auf etwa 7.000 pharmazeutische Produkte, deren Derivate und bestimmte chemische Zwischenprodukte, die zur Herstellung von Arzneimitteln verwendet werden.
Durch die EU-Erweiterungen hat das Abkommen mittlerweile 34 Mitglieder, die zusammen rund zwei Drittel des weltweiten Handels mit pharmazeutischen Erzeugnissen abdecken. Neben der EU sind die Mitglieder Kanada, Japan, Norwegen, die Schweiz, die USA und Macao. Das Abkommen sieht eine regelmäßige Aktualisierung der Liste der Erzeugnisse vor, damit neue Wirkstoffe und Zwischenerzeugnisse aufgenommen werden können. Bisher gab es vier Aktualisierungen (1996, 1998, 2007, 2010). Inzwischen umfasst die Liste der abgedeckten Produkte damit 9.696 Zolllinien. Die Ausweitung des WTO-Arzneimittelabkommens auf andere Gesundheitsgüter und weitere Länder kann einen wichtigen Beitrag zu den globalen Corona-Gegenmaßnahmen leisten.
Das Pharma-Abkommen der WTO scheint positive Auswirkungen auf den Welthandel mit Arzneimitteln sowie ihrer Vor- und Zwischenprodukte zu haben: Rund 54 Prozent der WTO-Mitglieder erheben darauf keinen Zoll und kein Mitglied erhebt höhere Zölle als 15 Prozent. Doch auf zahlreiche andere Gesundheitsgüter müssen noch teils hohe Zölle gezahlt werden. Noch nicht vom WTO-Pharma-Abkommen abgedeckt sind besonders Medizinprodukte, das heißt medizinisches Verbrauchsmaterial sowie Medizintechnik und -geräte, aber auch Produkte zum persönlichen Schutz. Die fehlende Abdeckung dieser Produkte durch ein entsprechendes Abkommen scheint sich in den Zöllen widerzuspiegeln:
- Für die vom Pharma-Abkommen abgedeckten Arzneimittel betragen die WTO-Zölle aller WTO-Mitglieder im Durchschnitt nur 2,1 Prozent. Für medizinische Ausrüstungen liegen sie bei 3,4 Prozent, für medizinisches Verbrauchsmaterial bei 6,2 Prozent und für persönliche Schutzmittel bei 11,5 Prozent.
- Rund 46 Prozent der WTO-Mitglieder erheben zwar noch Zölle auf Arzneimittel. Hierzu gehören allerdings mehrere G20-Staaten, die einen Zoll von über 8 Prozent ansetzen. Doch wesentlich höher sind die Anteile der WTO-Länder mit Zöllen auf die anderen, nicht vom Pharma-Abkommen abgedeckten Produkte: 70 Prozent der WTO-Mitglieder erheben Zölle bei medizinischen Geräten. Bei einigen Produkten zum persönlichen Schutz liegt dieser Anteil noch höher, wie etwa 77 Prozent bei Desinfektionsmittel und sogar 95 Prozent bei Seife.
Es zeigen sich weitere Lücken bei der Liberalisierung des Handels mit medizinischen Produkten:
- Insgesamt sind zwar 75 Prozent der Zölle auf Gesundheitsgüter durch WTO-Vereinbarungen festgeschrieben. Damit ist aber rund ein Viertel dieser Güter nicht erfasst.
- Bei den von der WTO erfassten Gesundheitsgütern besteht trotzdem die Gefahr, dass es in der aktuellen Lage zu Zollerhöhungen kommt. Denn in der WTO werden Zoll-Obergrenzen vertraglich gebunden und damit verlässlich festgeschrieben. WTO-Staaten erheben in der Praxis jedoch teilweise niedrigere Zölle. Bei einigen Ländern kommt es so zu erheblichen Lücken zwischen dem angewandten Zollsatz in der WTO und den WTO-Zollobergrenzen. In diesen Fällen könnten sie somit ohne eine Verletzung geltender WTO-Vereinbarungen die Zölle kurzfristig stark erhöhen, zumindest soweit es die Zollobergrenze erlaubt. 29 WTO-Mitglieder haben eine durchschnittliche WTO-Zollobergrenze von 50 Prozent oder mehr.
Vor diesem Hintergrund lassen sich folgende handelspolitische Forderungen ableiten:
- Damit der Welthandel mit Gesundheitsgütern möglichst ohne Zölle und zusätzliche Zollbürokratie stattfinden kann, sollten zunächst alle Länder der WTO dem Pharma-Abkommen beitreten. In einem nächsten Schritt sollte das Abkommen auf alle Gesundheitsgüter und damit auf Medizinprodukte ausgeweitet werden.
- Angelehnt an entsprechende Regelungen anderer WTO-Abkommen sollte den am wenigsten entwickelten Ländern besondere Unterstützung zukommen, um deren Teilnahme am Abkommen zu erleichtern.
- Die Reduktion möglicher Zollschranken kann ein wichtiger Beitrag sein, Gesundheitsgüter effizienter zu produzieren und damit auch nationale Versorgungsinteressen zu sichern. Daneben bleibt aber zu beachten, dass besonders auf den Märkten für Gesundheitsgüter auch nicht-tarifäre Handelshemmnisse eine bedeutsame Rolle spielen können. Während einerseits nationale Zulassungsverfahren als anerkannte Qualitätsstandards auf globalen Märkten fungieren können, besteht andererseits genau in diesen nicht-tarifären Zulassungsvoraussetzungen eine Möglichkeit, inländische Märkte und Industrien zumindest zeitweise abzuschotten, um zum Beispiel den Aufbau eigener Forschungs- und Infrastrukturen zu fördern. Hier sollten Vereinbarungen getroffen werden, die einen protektionistischen Missbrauch dieser Regulierungen verhindern.
Klemens Kober / Jasmina Kirchhoff / Jürgen Matthes: Corona-Krise macht Liberalisierung des Handels mit Gesundheitsgütern noch dringlicher
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