Deutschland debattiert um die Viertagewoche. Arbeitnehmern stehen schon heute alle Möglichkeiten offen, eine Arbeitszeitverkürzung zu vereinbaren. Im gesamtwirtschaftlichen Maßstab würde dies aber selbst ohne Lohnausgleich zu einem Wohlstandsverlust führen, weil die Produktivität nicht im erforderlichen Maß gesteigert werden kann.
Viertagewoche: Kein Modell für Alle
Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
Deutschland debattiert um die Viertagewoche. Arbeitnehmern stehen schon heute alle Möglichkeiten offen, eine Arbeitszeitverkürzung zu vereinbaren. Im gesamtwirtschaftlichen Maßstab würde dies aber selbst ohne Lohnausgleich zu einem Wohlstandsverlust führen, weil die Produktivität nicht im erforderlichen Maß gesteigert werden kann.
Die Diskussion um die „Einführung“ einer Viertagewoche in Deutschland reißt nicht ab. Dabei sollte sich eine Debatte insofern erübrigen, als dass die Arbeitszeit eigenverantwortlich und autonom zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern verhandelt wird. Arbeitnehmern, die ihre Wochenarbeitszeit auf vier Tage verteilen wollen, stehen kaum gesetzliche Hürden im Weg. Das Arbeitszeitgesetz erlaubt eine tägliche Höchstarbeitszeit von zehn Stunden, sofern die werktägliche Arbeitszeit – das inkludiert den Samstag – im Schnitt acht Stunden nicht überschreitet. Eine 40-Stunden-Arbeitswoche mit vier Tagen zu je zehn Stunden wäre somit realisierbar.
Fraglich ist, ob ein solches Modell attraktiv ist. Für Arbeitnehmer erhöht sich zwar die Flexibilität durch einen zusätzlichen freien Tag, sie vermindert sich aber an den Arbeitstagen selbst. Weil die Zehnstundengrenze nicht überschritten werden darf, kann etwa ein früher Feierabend an einem Tag nur noch an dem Tag durch Mehrarbeit ausgeglichen werden, der eigentlich frei bleiben sollte. Hinzu kommt, dass sehr lange Arbeitstage physisch und psychisch erschöpfen können und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erschwert wird. Auch Betriebe sind weniger flexibel, weil Mehrarbeit über zehn Stunden hinaus nicht angeordnet werden kann.
Es kann aber Konstellationen geben, in denen die Reduzierung der Anzahl der Arbeitstage Sinn ergibt, etwa wenn lange Anfahrtswege zum Arbeitsort vorliegen oder die Wochenarbeitszeit so kurz ist, dass die Flexibilität an den verbleibenden vier Arbeitstagen gewahrt bleibt. Praktikabel erscheint die Verkürzung der Arbeitswoche auf vier Tage somit in erster Linie bei Teilzeitbeschäftigungen.
Mit 79 Prozent arbeiten die meisten Arbeitnehmer in Deutschland an fünf Tagen in der Woche. Das ergeben Befunde aus dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) von 2020. Die Viertagewoche ist nur für 7 Prozent der Arbeitnehmer das geltende Arbeitszeitmodell. Auch bei Teilzeitbeschäftigten dominiert die Fünftagewoche. So arbeiten 22 Prozent der Arbeitnehmer mit einer Wochenarbeitszeit von mehr als 20 bis 30 Stunden an vier Tagen die Woche, aber 58 Prozent an fünf Tagen. Selbst bei einer Wochenarbeitszeit von mehr als zehn bis 20 Stunden wird die Fünftagewoche mit 33 Prozent häufiger genutzt als die Viertagewoche, die auf einen Anteil von 22 Prozent kommt (Schäfer, 2023a). Befragungen ergeben allerdings auch, dass viele Arbeitnehmer sich eine Verkürzung der Anzahl der Tage in der Arbeitswoche wünschen (Hammermann/Schäfer, 2023). Offen bleibt, warum es zu einer Diskrepanz zwischen gewünschter und tatsächlicher Arbeitswoche kommt.
Die Popularität der Debatte um die Viertagewoche speist sich vermutlich weniger aus den bestehenden Möglichkeiten, sie in die Tat umzusetzen. Vielmehr dürfte die Wunschvorstellung eine Rolle spielen, man könne im Sinne einer Verkürzung der Wochenarbeitszeit einen Tag weniger arbeiten, aber das Gleiche verdienen. Voraussetzung dafür wäre, dass die Arbeitszeitverkürzung durch eine entsprechende Steigerung der Stundenproduktivität mindestens kompensiert wird.
In der Debatte wird häufig auf „Pilotstudien“ verwiesen, die vermeintlich den Beweis erbringen, dass ein solcher Ausgleich möglich sei. Haraldsson/Kellam (2021) berichten von einem Experiment in Island, wo in verschiedenen Einrichtungen – überwiegend im öffentlichen Dienst – verschiedene Formen der Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich erprobt wurden. Der Schwerpunkt der Betrachtung lag auf den Auswirkungen auf das Wohlbefinden der Arbeitnehmer, es wurde aber auch die Entwicklung des Outputs der Einrichtungen untersucht. Dabei handelte es sich allerdings nicht um eine konsistente Messung der Produktivität, sondern um eine eher kursorische Messung diverser Performance-Indikatoren. Manche Betriebe konnten ihr Leistungsangebot aufrechterhalten, was für eine Steigerung der Stundenproduktivität spräche, sofern der Ausgleich nicht durch den externen Zukauf von Leistungen erfolgte. Manche Betriebe – vor allem im Gesundheitswesen – mussten aber auch zusätzliches Personal einstellen oder Überstunden anordnen. Die Betriebe berichteten von Produktivitätssteigerungen durch spezifische Maßnahmen – etwa das Kürzen von Meetings oder der Wegfall von Kaffeepausen. Diese hätten auch ohne Arbeitszeitverkürzung erfolgen können, sodass sich die Tauschmenge zwischen Arbeitszeit und produzierter Menge von Gütern und Dienstleistungen nicht geändert hat. Im Ergebnis ist Island trotz des Experiments weit von einer durchgängigen Anwendung der Viertagewoche entfernt. Die übliche wöchentliche Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten ist mit 42,2 Stunden vielmehr eine der höchsten Europas und liegt über der in Deutschland mit 40,0 Stunden (Eurostat, 2023).
Lewis et al. (2023) berichten über verschiedene Formen der Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich in 61 Betrieben in Großbritannien. Dabei handelte es sich um eine Positivauswahl von Betrieben überwiegend mit Bürotätigkeiten. Wie in Island wurde auch im britischen Experiment die Produktivität nicht konsistent erfasst. Erfragt wurde lediglich der Umsatz – der aber nicht mit der Wertschöpfung gleichzusetzen ist, die dem Produktivitätsbegriff zugrunde liegt. Die Frage beantworteten auch nur rund 40 Prozent der Unternehmen. Langzeiteffekte wurden nicht betrachtet.
Die vorliegenden Befunde können zeigen, dass die Viertagewoche in manchen Betrieben zumindest in einer kurzen Frist ein funktionierendes Arbeitszeitmodell sein kann. Sie zeigen aber nicht, dass in einer längeren Frist die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe unbeeinträchtigt bleibt. Schon gar nicht wurde der Beweis erbracht, dass die Viertagewoche ein Modell ist, dass in einem gesamtwirtschaftlichen Maßstab funktioniert. Was in einzelwirtschaftlicher Betrachtung gegebenenfalls sinnvoll erscheinen mag – etwa, wenn mit der Viertagewoche knappe Arbeitskräfte von Mitbewerbern abgeworben werden können – löst sich in gesamtwirtschaftlicher Betrachtung auf: Wenn alle Unternehmen die Arbeitszeit reduzieren, bleibt am Ende ein Arbeitszeitdefizit.
Es fehlt jeglicher Hinweis darauf, dass kausal durch die Arbeitszeitverkürzung die Produktivität in einem Maß gesteigert werden könnte, dass sie in der Lage ist, diese zu kompensieren. Die Verkürzung der Arbeitswoche von fünf auf vier Tage entspricht einer Reduzierung der Arbeitszeit um 20 Prozent. Um den resultierenden Produktionsrückgang zu kompensieren, müsste die Stundenproduktivität um 25 Prozent gesteigert werden. Dies ist in einem gesamtwirtschaftlichen Maßstab utopisch. Im Durchschnitt nahm die Stundenproduktivität in den letzten 20 Jahren um jährlich 0,8 Prozent zu (Grafik), wobei der Trend – nicht nur in Deutschland – rückläufig ist. Ein Anstieg um 25 Prozent entspräche dem gesamten Produktivitätszuwachs seit 1998. Es erschient wenig wahrscheinlich, dass in deutschen Betrieben eine Produktivitätsreserve in diesem Ausmaß liegt, die bislang trotz aller Bemühungen um betriebliche Effizienz nicht gehoben werden konnte.
Letztlich muss die Debatte um die Viertagewoche mit Arbeitszeitverkürzung im Kontext des demografischen Wandels betrachtet werden. Weil geburtenstarke Jahrgänge in den kommenden Jahren das Rentenalter erreichen, wird sich der Arbeitskräftemangel drastisch verschärfen (Schäfer, 2023b). In dieser Situation eine Arbeitszeitverkürzung vorzunehmen, resultiert unweigerlich in einer Schrumpfung der produzierten Menge an Gütern und Dienstleistungen – ob mit oder ohne Lohnausgleich. Der Wohlstandsverlust beträfe nicht nur die Erwerbstätigen selbst, sondern auch die steigende Anzahl der ökonomisch inaktiven Personen. Daher wäre stattdessen in weit stärkerem Maß eine Debatte um längere Wochenarbeitszeiten angezeigt (Hüther et al., 2022).
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