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Hagen Lesch / Lennart Eckle IW-Kurzbericht Nr. 28 21. April 2023 Tarifverhandlungen: mehr Konflikte

Im ersten Quartal 2023 wurde das Klima in den Tarifverhandlungen rauer. Die Konfliktintensität, die die Summe der in Tarifverhandlungen genutzten Konflikthandlungen angibt, lag im Durchschnitt von elf analysierten Konflikten bei 8,9 Punkten. Damit übertraf sie den Vorjahreswert um das 1,7-Fache. Am konfliktreichsten ging es im Öffentlichen Dienst zu. Dort summierten sich die Konflikthandlungen auf 28 Punkte.

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Tarifverhandlungen: mehr Konflikte
Hagen Lesch / Lennart Eckle IW-Kurzbericht Nr. 28 21. April 2023

Tarifverhandlungen: mehr Konflikte

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Im ersten Quartal 2023 wurde das Klima in den Tarifverhandlungen rauer. Die Konfliktintensität, die die Summe der in Tarifverhandlungen genutzten Konflikthandlungen angibt, lag im Durchschnitt von elf analysierten Konflikten bei 8,9 Punkten. Damit übertraf sie den Vorjahreswert um das 1,7-Fache. Am konfliktreichsten ging es im Öffentlichen Dienst zu. Dort summierten sich die Konflikthandlungen auf 28 Punkte.

Während im vergangenen Jahr trotz der schwierigen Umstände – hohe Inflation und Abschwächung des Wachstums – meist harmonisch verhandelt wurde (Lesch/Eckle, 2023), verliefen die Tarifverhandlungen im ersten Quartal 2023 weniger kooperativ. Das gilt vor allem für den Öffentlichen Dienst (Bund und Kommunen), die Papierverarbeitende Industrie und die Deutsche Post. Insgesamt fanden in acht der 20 Branchen, die im Rahmen des IW-Konfliktbarometers beobachtet werden, Tarifverhandlungen statt. In drei weiteren Branchen stellten die Gewerkschaften Forderungen. Dort beginnen die Verhandlungen im zweiten Quartal.

Eine Analyse der im Laufe der Tarifverhandlungen ergriffenen Konflikthandlungen – hier wird zwischen Verhandlungen (Eskalationsstufe 0), Drohungen (1), Verhandlungsabbrüchen (2), Streikaufrufen (3), Warnstreiks (4), Schlichtungen (5), Urabstimmungen (6) sowie Streiks und Aussperrungen (7) unterschieden (Lesch, 2013) – zeigt, dass sich die einzelnen Eskalationsstufen im ersten Quartal im Durchschnitt auf 8,9 Punkte pro Konflikt summierten. Im Vorjahr waren es lediglich 5,3 Punkte. Die maximale Eskalationsstufe – sie gibt an, bis zu welcher Stufe eine Tarifverhandlung eskaliert – lag im ersten Quartal 2023 bei durchschnittlich 2,6. Im letzten Jahr betrug der Wert 1,9. Im Durchschnitt der Jahre 2010 bis 2022 ergibt sich eine Konfliktintensität von 8,5 Punkten und eine maximale Eskalationsstufe von 2,3.

Dass im ersten Quartal konfliktreicher verhandelt wurde, hängt mit den immer höheren Lohnforderungen zusammen, die wiederum eine Reaktion auf die anhaltende Inflation sind. Im Öffentlichen Dienst etwa forderten die Gewerkschaften 10,5 Prozent mehr Geld, mindestens aber 500 Euro pro Monat (ver.di, 2022a). Nach Angaben der kommunalen Arbeitgeber entspricht das effektiv einem Volumen von 15 Prozent (VKA, 2022). Auf diesem Niveau lag auch die Forderung bei der Deutschen Post (ver.di, 2022b). Bei der Deutschen Bahn wurden 12 Prozent, mindestens aber 650 Euro pro Monat verlangt, was nach Angaben der Deutschen Bahn effektiv auf 18 Prozent hinausläuft (Deutsche Bahn, 2022). Bei den Ärzten an den kommunalen Krankenhäusern will die Ärztegewerkschaft Marburger Bund 2,5 Prozent mehr Geld plus einen Inflationsausgleich (Marburger Bund, 2022). Das summiert sich nach Angaben der Arbeitgeber auf 11,6 Prozent (VKA, 2023). In der Industrie fielen die Forderungen etwas bescheidener aus. Während die IG Metall in der westdeutschen Textilindustrie bei einer Laufzeit von zwölf Monaten 8 Prozent, mindestens aber 200 Euro pro Monat verlangte (IG Metall, 2023), wollte ver.di in der Papierverarbeitenden Industrie 10,5 Prozent mehr Geld. Hier wurde kein monatlicher Mindestbetrag verlangt (ver.di, 2022c).

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Während in den genannten Konflikten das Entgelt im Vordergrund stand, wurde bei der Fluggesellschaft Eurowings über manteltarifvertragliche Regelungen gestritten. Für das Cockpit laufen die Tarifverhandlungen über einen neuen Manteltarifvertrag schon seit Februar 2022. Die Vereinigung Cockpit (VC) will eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit auf 50 Stunden erreichen und 14 zusätzliche freie Tage pro Jahr durchsetzen. Dort gab es im letzten Jahr eine Urabstimmung und einen Streik. Danach setzten sich die Parteien wieder zusammen, ohne bislang einen Durchbruch zu schaffen. In der Kabine laufen Verhandlungen zum Manteltarifvertrag, zum Tarifvertrag Personalvertretung sowie zur betrieblichen Altersvorsorge.

Eine Analyse der einzelnen Konflikte deckt große Unterschiede auf (Grafik). Im Durchschnitt der acht Branchen, in denen im ersten Quartal verhandelt wurde, summierten sich die verschiedenen Eskalationsformen auf 12,3 Konfliktpunkte. Die maximale Eskalationsstufe lag durchschnittlich bei 3,6. Die höchste Konfliktintensität weist dabei mit 28 Punkten der Öffentliche Dienst auf, gefolgt von der Papierverarbeitenden Industrie mit 22 und der Deutschen Post mit 15 Punkten. Im Öffentlichen Dienst gab es neben zwei Streikdrohungen (das entspricht 2 Konfliktpunkten) nach jeder der drei Verhandlungsrunden Streikaufrufe mit entsprechenden Warnstreikwellen (insgesamt 21 Konfliktpunkte), bevor die Tarifverhandlungen scheiterten und die Schlichtung angerufen wurde (5 Konfliktpunkte).

Die höchste Eskalationsstufe wurde mit Stufe 6 (Urabstimmung) bei der Deutschen Post erreicht. Im Öffentlichen Dienst liegt diese derzeit bei Stufe 5 (Scheitern der Verhandlungen und Schlichtung). Warnstreiks (Stufe 4) gab es – abgesehen von Eurowings – in allen Verhandlungen. In der Textilindustrie, bei der Deutschen Bahn, in der Papierverarbeitenden Industrie und bei den Ärzten kommunaler Krankenhäuser war dies (bisher) auch die maximale Eskalationsstufe.

Die Warnstreiks fielen zum Teil recht intensiv aus. Im Öffentlichen Dienst beteiligten sich nach Angaben von ver.di mehr als eine halbe Million Personen an den Warnstreiks (ver.di, 2023a), bei der Deutschen Post waren es etwa 100.000 (ver.di, 2023b). Hinzu kam, dass nicht nur stundenweise, sondern mehrere Tage am Stück gestreikt wurde und die Gewerkschaften ihre Ausstände koordinierten. Höhepunkt war ein bundesweiter Streik im Verkehrssektor am 27. März 2023.

Während es bei der Deutschen Post, in der Textilindustrie sowie in der Papierverarbeitenden Industrie inzwischen eine Einigung gibt, schwelen die anderen Konflikte weiter. Im Öffentlichen Dienst liegt inzwischen eine Schlichtungsempfehlung vor, die den Konflikt befrieden könnte. Wird die Empfehlung abgelehnt, drohen Urabstimmung und Streik. Im April 2023 werden zudem die Verhandlungen im Einzelhandel, im Groß- und Außenhandel sowie in der Süßwarenindustrie aufgenommen. Im Einzelhandel, wo regional verhandelt wird, will ver.di in Nordrhein-Westfalen (NRW) eine Anhebung der Stundenlöhne um 2,50 Euro. Im Groß- und Außenhandel, wo ebenfalls regional mit ver.di verhandelt wird, sollen die Gehälter in NRW um 13 Prozent, mindestens aber um 400 Euro im Monat steigen. Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten verlangt im Rahmen der bundesweiten Verhandlungen für die Süßwarenindustrie monatlich bis zu 500 Euro mehr.

Aufgrund der hohen Forderungen dürften die Verhandlungen auch in diesen Branchen nicht konfliktfrei ablaufen. Es ist zu hoffen, dass die vielfach genutzte Inflationsausgleichsprämie dazu beiträgt, die Kompromissfindung zu vereinfachen. Dies war im Herbst 2022 vor allem in der Chemischen Industrie sowie in der Metall- und Elektro-Industrie gelungen. Auch in den jüngsten Abschlüssen wurde das Instrument intensiv genutzt.

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