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Hagen Lesch IW-Kurzbericht Nr. 18 21. April 2016 Tarifpolitik: Reallöhne steigern, Kostenanstieg dämpfen

Nach einem guten Jahresbeginn hat sich das Klima in den Tarifrunden abgekühlt. Hintergrund sind Lohnforderungen der Gewerkschaften, die sich in den größeren Branchen zumeist zwischen 5 und 6 Prozent bewegen. Diese Forderungshöhe stößt bei den Arbeitgebern auf Unverständnis. Die ersten Angebote liegen dementsprechend weit von den Vorstellungen der Gewerkschaften entfernt.

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Reallöhne steigern, Kostenanstieg dämpfen
Hagen Lesch IW-Kurzbericht Nr. 18 21. April 2016

Tarifpolitik: Reallöhne steigern, Kostenanstieg dämpfen

Kurzbericht

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Nach einem guten Jahresbeginn hat sich das Klima in den Tarifrunden abgekühlt. Hintergrund sind Lohnforderungen der Gewerkschaften, die sich in den größeren Branchen zumeist zwischen 5 und 6 Prozent bewegen. Diese Forderungshöhe stößt bei den Arbeitgebern auf Unverständnis. Die ersten Angebote liegen dementsprechend weit von den Vorstellungen der Gewerkschaften entfernt.

 

Im Öffentlichen Dienst wurden 6 Prozent für zwölf Monate gefordert, die Arbeitgeber bieten die Hälfte bei doppelter Laufzeit, in der Bauwirtschaft sieht es ähnlich aus (5,9 Prozent versus 3,3 Prozent) und in der Metall- und Elektro-Industrie steht der Forderung von 5 Prozent ein Angebot von 1,2 Prozent für ein Jahr gegenüber.

Als Faustformel gilt: Der lohnpolitische Verteilungsspielraum wird durch das Produktivitätswachstum bestimmt (Scherf, 1995). Steigen die Güterpreise, kommt in aller Regel ein Teuerungsausgleich hinzu. Der Blick auf beide Größen zeigt: Da die Produktivität pro Stunde seit einigen Jahren nur wenig wächst und die Preise kaum steigen, ist der Spielraum begrenzt. Nach den Frühjahrsprognosen der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute wird die Produktivität zwischen 0,1 und 0,5 Prozent steigen, bei den Verbraucherpreisen liegt die Spanne aktuell bei 0,3 bis 0,5 Prozent. Diese Konstellation ist allerdings nicht neu: Schon 2014 lag die Summe aus Inflationsrate und Produktivitätsplus bei lediglich 1,3 Prozent und im letzten Jahr waren es nur 0,9 Prozent. Mit Tariflohnsteigerungen von 3,0 Prozent (2014) und 2,4 Prozent (2015) wurde der so definierte „verteilungsneutrale“ Spielraum zuletzt deutlich überschritten.

Das ist kein neuer Trend. Die Lohnpolitik ist schon seit der im Jahresverlauf 2008 eskalierenden Wirtschafts- und Finanzkrise expansiver geworden. Nicht nur die Tariflöhne, auch die tatsächlich gezahlten Bruttolöhne stiegen in der Regel kräftiger als Produktivität und Teuerung zusammen. Für die Arbeitnehmer hat sich dies bislang ausgezahlt (Grafik): Die tariflichen Reallöhne (je Stunde) befinden sich im Aufwärtstrend: Auf einen leichten Rückgang 2011 folgte 2012 ein Plus von 0,7 Prozent, das sich auf 2,1 Prozent in den beiden letzten Jahren beschleunigt hat. Seit 2008 gab es einen Reallohnanstieg von 8,1 Prozent und – anders als in der Zeit davor – nur ein einziges Jahr ohne Reallohngewinn. Bei den effektiven Lohnzuwächsen betrug der Reallohnzuwachs sogar 11,6 Prozent.

Die Reallohnzuwächse haben die Konsumlaune im Zusammenspiel mit der guten Arbeitsmarktentwicklung gefördert. Der private Konsum war 2015 die tragende Säule des Wachstums. Das gesamtwirtschaftliche Wachstum von 1,7 Prozent wurde zu fast 90 Prozent vom privaten und staatlichen Konsum getragen. Damit steht die Konjunktur aber auf nur einem Bein. Die Investitionen lieferten keinen Wachstumsbeitrag und der Außenbeitrag steuerte lediglich 0,2 Prozentpunkte zum Wachstum bei. Tarifpolitisch einseitig auf eine Kaufkraftstärkung zu setzen, birgt die Gefahr, die Wettbewerbsfähigkeit und damit auch den Arbeitsmarkt aus dem Auge zu verlieren. Eine gute Beschäftigungsentwicklung ist für eine anhaltend gute Konsumlaune aber unverzichtbar.

Der Zusammenhang zwischen Lohnhöhe und Beschäftigungsniveau gilt nach wie vor. So wie die lange geübte Lohnzurückhaltung zur Genesung der deutschen Volkswirtschaft beigetragen hat (Dustmann et al., 2014), wird sich eine anhaltend expansive Lohnpolitik mittelfristig negativ auf die preisliche Wettbewerbsfähigkeit und damit auch auf die Beschäftigungsentwicklung auswirken. Die Entwicklung der Lohnstückkosten bietet Anlass zur Sorge. Nachdem die Lohnstückkosten in der Krise 2008/09 aufgrund der Kurzarbeit explodierten, kam es in der Folge zu keiner Korrektur (Grafik). Im Gegenteil: Seit einschließlich 2008 summieren sich die Steigerungen auf rund 18 Prozent. Diese 18 Prozent sind nicht über die Produktivität gedeckt, sondern stellen für die Unternehmen höhere Lohnkosten dar. Wo es nicht gelingt, die höheren Lohnkosten auf die Güterpreise abzuwälzen, sinken die Erträge. Das mindert die Investitionsbereitschaft. Die Entwicklung der Erzeugerpreise des Verarbeitenden Gewerbes deutet an, dass die Preisüberwälzungsspielräume der Unternehmen in der Summe begrenzt waren: 2013 stagnierten die Erzeugerpreise, 2014 sanken sie um 0,4 Prozent und im letzten Jahr gingen sie sogar um 1,2 Prozent zurück. Missachtet die Tarifpolitik die beschränkten Überwälzungsspielräume der Unternehmen, müssen diese auf die steigenden Lohnstückkosten mittelfristig mit Rationalisierungen antworten. Besteht kein Preisüberwälzungsspielraum, geht die von den Gewerkschaften geforderte Orientierung an der Zielinflationsrate der Europäischen Zentralbank (rund 2 Prozent) zu Lasten der Wettbewerbsfähigkeit, ohne die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank zu unterstützen. Die Lohnpolitik ist daher kein geeignetes Instrument zur Verfolgung geldpolitischer Ziele (Lesch, 2015).

Ohne eine lohnpolitische Kurskorrektur drohen vor allem in den gut zahlenden Industriebranchen Arbeitsplatzverluste. So hat die exportstarke Metall- und Elektro-Industrie nach der Krise rund 380.000 Arbeitsplätze geschaffen. Die Beschäftigung erreichte dort Anfang 2016 mit gut 3,8 Millionen ein neues Rekordniveau. Seit 2012 stiegen die Tariflöhne aber mit 14 Prozent doppelt so stark wie die Summe aus Produktivitätsgewinn und Inflationsrate. Der dadurch verursachte Kostendruck ließ sich nicht beliebig abwälzen. So stiegen die Erzeugerpreise in der Metall- und Elektro-Industrie 2012, 2014 und 2015 um lediglich 0,1 bis 0,6 Prozent, 2013 gingen sie um 0,2 Prozent zurück. Die Ausfuhrpreise entwickelten sich im letzten Jahr zwar dynamischer (2,2 Prozent). Dies hing aber mit der kräftigen Abwertung des Euros zusammen. Deutsche Exporte wurden in Dollar billiger, was einen vorübergehenden Preiserhöhungsspielraum geschaffen haben dürfte. Dieser verschwindet aber, sobald der Euro nicht weiter abwertet oder sogar wieder aufwertet.

Nach Jahren einer Fokussierung auf die Kaufkraft bieten die laufenden Tarifrunden die Möglichkeit, die Lohnkosten wieder stärker in den Vordergrund zu rücken. Natürlich ist Tarifpolitik mehr als ein mechanisches Anwenden von Lohnformeln, über deren genaue Auslegung auch die Ökonomen untereinander streiten (Suntum, 1999). Fakt ist auch, dass die Gewerkschaften angesichts der stabilen Arbeitsmarktentwicklung spürbare Reallohnerhöhungen durchzusetzen versuchen. Aufgrund der derzeit geringen Inflationsrate ist es aber möglich, die Reallöhne weiter zu steigern, ohne die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen aus dem Auge zu verlieren. Ein maßvoller Lohnabschluss schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe: er bremst die Lohnstückkostendynamik und er ermöglicht einen Reallohngewinn. Daher sollten die Voraussetzungen, ohne Eskalation zum Abschluss zu kommen, durchaus günstig sein.

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Hagen Lesch: Wende ohne Zielkonflikt – Reallöhne steigern, Kostenanstieg dämpfen

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