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Dirk Werner / Paula Risius / Anika Jansen IW-Kurzbericht Nr. 69 22. September 2021 Ausbildungsumlage: Regulierung am Problem vorbei

Die von SPD, Grünen und LINKE geforderte Ausbildungsumlage würde ausbildende Betriebe zwar finanziell entlasten. Mit Blick auf alle Unternehmen jedoch würden Kleinstbetriebe in Summe stärker belastet als aktuell. Zudem führt die Maßnahme nicht zwingend zu mehr Ausbildungsplätzen, da sie am Kernproblem der Betriebe vorbeigeht: passende Bewerber sind knapp.

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Regulierung am Problem vorbei
Dirk Werner / Paula Risius / Anika Jansen IW-Kurzbericht Nr. 69 22. September 2021

Ausbildungsumlage: Regulierung am Problem vorbei

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Die von SPD, Grünen und LINKE geforderte Ausbildungsumlage würde ausbildende Betriebe zwar finanziell entlasten. Mit Blick auf alle Unternehmen jedoch würden Kleinstbetriebe in Summe stärker belastet als aktuell. Zudem führt die Maßnahme nicht zwingend zu mehr Ausbildungsplätzen, da sie am Kernproblem der Betriebe vorbeigeht: passende Bewerber sind knapp.

Seit mehreren Jahren finden Angebot und Nachfrage am Ausbildungsmarkt immer schwerer zusammen. Das Ausbildungsplatzangebot sank von 2009 bis 2019 um etwa 30.000 Ausbildungsstellen auf 578.000; im Corona-Jahr 2020 wurden nochmals 50.000 Plätze weniger angeboten (BIBB, 2021). Zentraler Grund dafür sind aus Sicht der Unternehmen die rückläufigen Bewerberzahlen: Denn die Ausbildungsplatznachfrage ging sogar noch deutlicher zurück. SPD, Bündnis 90/Grüne und die LINKE sehen dennoch als Ursache für das gesunkene betriebliche Angebot fehlende Anreize, auszubilden. Sie fordern ein Umlagesystem: Alle Betriebe sollen sich finanziell beteiligen, um die ausbildenden Betriebe zu entlasten. Neu ist die Idee nicht: Sowohl in den 1970er als auch in den 2000er-Jahren gab es Vorstöße, eine Umlagefinanzierung einzuführen.

Dass Betriebe selbst über die eigene Ausbildungstätigkeit entscheiden, ist eine große Stärke des deutschen Berufsbildungssystems. Die Auszubildenden erlernen so Berufe, die am Arbeitsmarkt aktuell und auch künftig gefragt sind. Neunzig Prozent der ausbildenden Betriebe wollen zumindest einen Teil der Auszubildenden nach deren Abschluss übernehmen (Schönfeld et al., 2020). Somit orientiert sich die Ausbildungstätigkeit eng am Fachkräftebedarf und stellt damit eine Investition in die Zukunft des eigenen Unternehmens dar. Darauf weist auch die Entwicklung des Ausbildungsplatzangebots im Vergleich zwischen Berufen mit und ohne Fachkräfteengpass hin. Während das Ausbildungsplatzangebot in der Gesamtbetrachtung zurückging, stieg es in Berufen mit Engpässen. Selbst im Corona-Jahr sank das Ausbildungsangebot in diesen Berufen nur leicht, während es in den anderen Berufen sehr stark zurückging (Hickmann / Jansen, 2021). Dass Staaten mit dualen Berufsbildungssystemen im internationalen Vergleich eine geringere Jugendarbeitslosigkeit aufweisen, führen Forscher auf die Orientierung dieser Systeme an den Marktbedürfnissen zurück (Eichhorst et al., 2013). Die hohe Übernahmebereitschaft sowie die Stabilität der Ausbildungsleistung in Engpassberufen sind wichtige Indizien dafür, dass der Marktmechanismus intakt ist und kein Bedarf für eine staatliche Intervention besteht.

Ein Marktversagen, das einen regulierenden Eingriff rechtfertigt, bestünde beispielsweise, wenn Betriebe aus Angst, die Auszubildenden könnten den Betrieb verlassen, nicht ausbilden würden. Die getätigte Investition würde dann einem Konkurrenzbetrieb zugutekommen. Schönfeld et al. (2016) zeigen aber, dass nicht ausbildende Betriebe dies vor allem deshalb nicht tun, weil sie keine Fachkräfte benötigen. Lediglich 18 Prozent der Betriebe nennen die Sorge, dass Auszubildende abwandern könnten, als Grund gegen die Ausbildung. Somit besteht kein grundsätzliches Gerechtigkeitsproblem, das durch eine Umlagefinanzierung gelöst werden müsste. Zudem ließe sich so auch keine Abwanderung als Ausbildungshindernis stoppen.

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Allerdings würde eine Umlagefinanzierung die Kostenstruktur der Ausbildung erheblich verändern: Durch eine Umlagefinanzierung könnte für deutlich mehr Betriebe eine Ausbildung mit Nettoerträgen anstatt Nettokosten verbunden sein. Das Investitionsmotiv würde somit deutlich in den Hintergrund rücken. Bei konstanter gesamtwirtschaftlicher Ausbildungsleistung würden ausbildende Kleinbetriebe mit bis zu neun Mitarbeitenden durch die Umlage im Schnitt 4.366 Euro Gewinn je Auszubildendem und Jahr erwirtschaften. Für ausbildende Betriebe mit 10 bis 49 Mitarbeitenden lägen der durchschnittliche Nettogewinn bei 2.485 Euro pro Azubi und Jahr. Betriebe, die keine Fachkräfte benötigen, könnten sich dann aus finanziellen Gründen entscheiden auszubilden. Wenn dies in bestimmten Berufen überproportional der Fall ist, würde sich so die Passung am Arbeitsmarkt deutlich verschlechtern und in der Folge die (Jugend-)Arbeitslosigkeit erhöhen. Eine Umlagefinanzierung würde daher zu Fehlanreizen führen und den Marktmechanismus gefährden. Darüber hinaus ist denkbar, dass die Ausbildungsqualität unter den gegebenen Ausbildungsanlässen leiden könnte, da dann nicht mehr die langfristige Beschäftigung von gut qualifizierten Fachkräften im Vordergrund steht, sondern eine Gewinnerzielung bereits während der Ausbildungszeit.

Dabei könnten vor allem für Kleinstbetriebe falsche Anreize zur Ausbildungsbeteiligung entstehen, denn auf diese würde die stärkste Mehrbelastung zukommen. Ausbildende Kleinstbetriebe würden zwar in Summe um knapp 1,1 Milliarden Euro entlastet. Da jedoch nicht-ausbildende Kleinstbetriebe zeitgleich um 1,4 Milliarden Euro belastet würden, ergäbe sich eine Differenz von etwa 317 Millionen Euro. Die Umlagebeiträge lägen somit für Kleinstbetriebe in Summe 26,5 Prozent höher als die bisherigen durchschnittlichen Aufwendungen für Personalkosten von Auszubildenden (Abbildung 1).  Diese Mehrbelastung entsteht auch, weil die Ausbildungsbeteiligung bei Betrieben dieser Größenordnung derzeit sehr gering ist. Dafür gibt es jedoch eine naheliegende ökonomische Erklärung: Es sind gerade die kleinen Nichtausbildungsbetriebe, die seltener Bedarf an Fachkräften haben (Schönfeld et al., 2016). Zudem verfügen deutlich mehr als die Hälfte der Kleinstbetriebe nicht über die erforderliche Ausbildungserlaubnis.

Die hier vorgenommene Rechnung basiert auf Ergebnissen der BIBB-Kostenerhebung (Schönfeld et al., 2020) in Kombination mit den Ausbildungszahlen des Jahres 2018. Die Rechnung nimmt vereinfachend an, dass der Anteil der Personalkosten der Auszubildenden an den insgesamten Ausbildungskosten über alle Betriebsgrößen hinweg gleich ist und entsprechend Schönfeld et al. (2020) 61 Prozent beträgt. Bei der Darstellung der Ergebnisse wird berücksichtigt, dass die Ausbildungskosten mit der Betriebsgröße variieren. Es wird davon ausgegangen, dass alle Unternehmen die Umlage zahlen, aber nur ausbildende Unternehmen den Betrag zur Deckung der Personalkosten ihrer Auszubildenden zurückerhalten.

Das wichtigste Ausbildungshemmnis, neben dem nicht vorhandenen Fachkräftebedarf, wird durch eine Umlagefinanzierung ebenfalls nicht angegangen. Denn fast 40 Prozent der Betriebe bilden nicht aus, weil sie keine Auszubildenden finden (Schönfeld et al., 2016.). Dies ist gerade bei kleinen Betrieben, die sich gegen bekannte Großunternehmen durchsetzen müssen, der Fall. Statt Unterstützung bei der Rekrutierung zu erhalten, würden sie durch die Umlage nun für die Ausbildung in anderen Unternehmen mitzahlen und damit doppelt benachteiligt. Eine Umlage löst somit das zentrale Hemmnis für Nichtausbildungsbetriebe gegen eine Ausbildung nicht.

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