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IW-Arbeitsmarktexperte Holger Schäfer
Holger Schäfer auf t-online.de Interview 6. Mai 2020

„Wer jetzt Arbeit sucht, erwischt einen ganz schlechten Zeitpunkt”

Die Arbeitslosigkeit ist wegen der Corona-Krise stark gestiegen, die Zahl der Kurzarbeiter schier explodiert. IW-Arbeitsmarktexperte Holger Schäfer erklärt, was das bedeutet – und wer die größten Verlierer der Krise sind.

Die Corona-Krise hat den deutschen Arbeitsmarkt erreicht, die jüngsten Statistiken der Bundesagentur für Arbeit (BA) verheißen wenig Gutes: Erstmals seit Ende des Zweiten Weltkriegs ist die Zahl der Arbeitslosen im April gegenüber dem Vormonat gestiegen.

Insgesamt verzeichnete die BA einen Zuwachs von rund 300.000 Arbeitslosen. Die Arbeitslosenquote stieg damit um 0,7 Prozentpunkte auf 5,8 Prozent. Einen Rekord gab es im April zudem in Sachen Kurzarbeit: Bis zum 26. April hatten Deutschlands Unternehmen für mehr als zehn Millionen Menschen Kurzarbeit angemeldet – und damit für fast zehnmal so viele wie im Zuge der Finanzkrise in den Jahren 2008 und 2009. t-online.de hat darüber mit IW-Arbeitsmarktökonom Holger Schäfer gesprochen. Im Interview erläutert er, was die jüngsten Zahlen für den Arbeitsmarkt bedeuten, wie hoch die Kosten für den Staat werden und warum Schulschließungen langfristig problematisch sind.

Wirtschaftsminister Peter Altmaier hat gesagt, in der Corona-Krise ginge kein Job verloren. Wie zynisch war dieses Versprechen?

Ich bin gar nicht sicher, ob er das so gesagt hat. Falls doch, ist die Frage, ob er es so gemeint hat. Eher meinte er damit, dass sich die Bundesregierung bemüht, die Auswirkungen der Corona-Krise auf den Arbeitsmarkt so gering wie möglich zu halten. Denn natürlich kann er gar nicht garantieren, dass kein Arbeitsplatz verloren geht. Die aktuelle Statistik der Bundesagentur für Arbeit zeigt: Es ist ja schon passiert.

Gelingt es der Bundesregierung denn, die Auswirkungen gering zu halten?

Das wird sich noch herausstellen, abschließend beurteilen lässt sich das aktuell noch nicht. Klar ist aber, dass das Instrument der Kurzarbeit derzeit sehr gut genutzt wird. Was die Regierung hier auf den Weg gebracht hat, hilft sehr.

Dennoch schnellen die Arbeitslosenzahlen nach oben. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung rechnet in der Spitze mit bis zu drei Millionen Arbeitslosen. Ist das eine realistische Schätzung?

Wir haben ja noch nicht allzu viele aktuelle Statistiken, eigentlich nur die vom April. Demnach stieg die Zahl der Arbeitslosen im vergangenen Monat um rund 300.000. Dieses Plus ist für das Ausmaß der Corona-Krise verhältnismäßig gering ausgefallen – das hätte noch viel schlimmer kommen können. Der wirkliche Hammer ist der Anstieg bei der angezeigten Kurzarbeit auf rund zehn Millionen. Das hat die Erwartungen deutlich übertroffen.

Was bedeutet diese hohe Zahl?

Der wichtigste Schluss daraus ist: Die Antwort des Arbeitsmarktes auf die Corona-Krise ist die Kurzarbeit – und nicht die Entlassung. Dennoch zeigt diese Zahl auch, dass die Nachfrage nach Arbeitskräften der Betriebe stark eingebrochen ist. Um das aufzufangen, nutzen die Unternehmen – in der Regel nacheinander, oft aber auch parallel – verschiedene Instrumente: Zunächst verhängen sie einen Stopp für Neueinstellungen und verzichten gegebenenfalls auf Zeitarbeiter, die von Zeitarbeitsfirmen überlassen wurden. Schließlich beantragen viele Firmen Kurzarbeit, um ihre laufenden Personalkosten zu senken. Das hilft den Betrieben immens. Aber auch das wird nicht verhindern, dass einige Unternehmen in die Insolvenz rutschen werden – und damit Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren.

Einige Unternehmen planen bereits Entlassungen, zum Beispiel Daimler. Wird aus der Kurzarbeitswelle eine Entlassungswelle?

Nein, vorläufig nicht. Natürlich wird die Arbeitslosigkeit weiter steigen. Das wird aber weniger an Entlassungen liegen als vielmehr an Menschen, die in den kommenden Monaten in den Arbeitsmarkt drängen, aber kaum einen Job finden werden. Uni-Absolventen etwa, fertig ausgebildete Lehrlinge, aber auch Menschen, die nach einer Pause für die Familie nun wieder arbeiten wollen. Für sie ist der Zugang in den Arbeitsmarkt erschwert, weil kaum noch ein Unternehmen einstellt. Der Arbeitsmarkt ist kein statisches Gebilde, sondern immer in Bewegung. Selbst in wirtschaftlich guten Jahren wie zuletzt werden Millionen Menschen arbeitslos, finden dann aber zügig wieder eine neue Stelle. Das ist jetzt anders – weil fast alle Unternehmen von der Corona-Krise betroffen sind. Verkürzt gesagt: Wer jetzt Arbeit sucht, erwischt einen ganz schlechten Zeitpunkt.

Vor den Folgen für die Ausbildung haben jüngst auch die Industrie-, Handels- und Handwerkskammern gewarnt. Wie sollte der Staat Ausbildungsbetriebe unterstützen, damit die Lehre nicht in Gefahr gerät?

Oberstes Ziel muss sein, einen Abbruch der Ausbildung zu verhindern. Vorstellbar wäre, dass Betriebe sich zu Ausbildungsverbünden zusammenschließen, gegebenenfalls auch mit Zuschüssen für Betriebe, die Auszubildende aufnehmen.

Oft ist in den vergangenen Tagen zu hören, dass besonders Frauen unter der Krise leiden – weil sie noch mehr Belastungen zu Hause schultern, öfter in Teilzeit arbeiten. Sind sie eher von Arbeitslosigkeit bedroht als Männer?

Dafür sehe ich erst einmal keinen Hinweis. Wenn wir uns die Entwicklung der Arbeitslosigkeit anschauen, gibt es keine Auffälligkeiten. Grundsätzlich sind Frauen eher etwas seltener als Männer arbeitslos, stehen damit am Arbeitsmarkt sowieso etwas besser da. Das hat sich in der Krise nicht besonders geändert.

Zurück zur Kurzarbeit und ihren Kosten: Die BA hat rund 26 Milliarden Euro auf der hohen Kante. Wann geht ihr das Geld aus?

Das ist eine schwierige Frage, die stark von der tatsächlichen Zahl der Arbeitnehmer in Kurzarbeit abhängt. Aktuell wissen wir ja nur, dass die Unternehmen für rund zehn Millionen Menschen Kurzarbeit beantragt haben – jedoch nicht, wie viele Firmen auf dieser Grundlage wirklich das Kurzarbeitergeld beanspruchen. Das ist ein Unterschied. Wenn sich herausstellt, dass in den nächsten zehn Wochen tatsächlich zehn Millionen Menschen den Kurzarbeitergeld-Zuschuss von der BA erhalten, wird das Geld schnell knapp. Jedoch glaube ich nicht, dass es so viele werden.

Mit wie vielen rechnen Sie denn?

Das kann man derzeit nicht seriös schätzen. Ich halte es für möglich, dass es mehr als fünf Millionen Arbeitnehmer betreffen könnte. Bei einer solchen Zahl wird die Reserve der BA einige Monate ausreichen. Danach ist sie weg. Das ist aber nicht die entscheidende Frage, denn dann wird der Bund einspringen und Zuwendungen oder Darlehen an die BA zahlen müssen. Das Kurzarbeitergeld ist schließlich eine Pflichtleistung, es ist im Gesetz verankert.

Das heißt, der Bund muss möglicherweise weitere Schulden aufnehmen. Was ist schlimmer, eine höhere Arbeitslosenquote – oder eine höhere Staatsschuldenquote?

Zu dieser Frage passt die klassische Ökonomen-Antwort: Es kommt darauf an … Wenn der Staat eine temporär höhere Arbeitslosigkeit zur Überbrückung mit mehr Schulden verhindern kann, dann kann das sinnvoll sein. Aktuell gehen wir davon aus, dass es sich bei der Corona-Krise und ihren Auswirkungen um ein temporäres Phänomen handelt – nicht um ein dauerhaftes, ein strukturelles. Deshalb ist eine notwendige Verschuldung des Staates durchaus angebracht. Wenn dem umgekehrt nicht so wäre, sind höhere Schulden zur Finanzierung von Lohnersatz nicht hilfreich, wenn damit nicht auch die strukturellen Probleme gelöst würden. Grundsätzlich sollten wir uns aber ohnehin klarmachen: Viele Maßnahmen sind teurer als das Kurzarbeitergeld. Die Zahlung des Kurzarbeitergeldes wird nicht den Staatshaushalt sprengen. Zumindest dann nicht, wenn es sich um eine kurze Phase des wirtschaftlichen Einbruchs durch den Shutdown handelt.

Wegen der Kurzarbeit haben viele Menschen weniger Geld in der Tasche und kaufen deshalb weniger ein. Wie sehr lähmt das die Volkswirtschaft?

Es deutet alles darauf hin, dass die Krise nicht von allzu langer Dauer sein kann. Hinzu kommt, dass die Unsicherheit der Arbeitnehmer nicht so groß ist wie im Falle einer gewöhnlichen Wirtschaftskrise, die nicht von einem Virus ausgelöst wurde. Auch wenn die Konsumneigung in den nächsten Monaten geringer ausfällt – langfristig werden die Menschen wieder Vertrauen gewinnen.

Die Frage ist nur, wann. Finanzminister Olaf Scholz sprach zuletzt von einer "neuen Normalität" in den nächsten zwei Jahren.

Das wäre in der Tat problematisch. Wenn wir uns zwei Jahre mit Einschränkungen in den Schulen, Unternehmen, im gesamten öffentlichen Leben arrangieren müssen, wäre das nur schwer verkraftbar. Das können wir nicht durchhalten.

Lehrer und Schüler leiden schon jetzt. Welche langfristigen Folgen hat es für die Bildung und damit für künftige Arbeitskräfte, wenn der Schulbetrieb so stark beeinträchtigt wird?

Auch hier hängt es sehr davon ab, wie lange diese Beeinträchtigungen andauern. Wenn wir jetzt zügig zu einem Normalbetrieb in den Schulen kommen, dann werden die Auswirkungen verkraftbar sein. Es gibt ja auch Schüler, die für ein halbes Jahr ins Ausland gehen und dort vom eigentlich relevanten Unterricht daheim auch nichts mitkriegen. Dennoch sagen uns die Bildungsforscher schon jetzt, dass der Lockdown große Probleme bereitet, dass die Lücke im Unterricht kaum mehr aufzuholen ist. Wenn die Schüler ein Jahr lang nur gruppenweise zur Schule dürfen und die übrigen lernen mehr schlecht als recht zu Hause, wird das große Folgen für das künftige Angebot an Arbeitskräften haben.

Warum?

Weil Bildung in einer Industrienation wie Deutschland die wichtigste Ressource ist. Unser wirtschaftlicher Erfolg hängt maßgeblich vom sogenannten Humankapital ab, vom Ideenreichtum, von der Ausbildung unserer Arbeitskräfte. Die Bildung ist das, was unseren Wohlstand garantiert.

Zum Abschluss ein Blick auf die künftige Arbeitswelt: Wie sehr wird die Corona-Krise, zum Beispiel durch Homeoffice, die Arbeit in Deutschland verändern?

Allein die Digitalisierung bekommt durch die Corona-Krise einen mächtigen Schub. In vielen Unternehmen, die früher Homeoffice aus guten Gründen abgelehnt haben, zeigt sich nun, dass manches unter bestimmten Umständen eben doch geht. Auch an anderen Stellen probieren die Betriebe viel Neues aus, finden kreative Lösungen, um den Arbeitsalltag besser zu organisieren. Für die Arbeitswelt nach der Krise ist das ein Gewinn.

Zum Interview auf t-online.de

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