Westdeutsche verdienen mehr als Ostdeutsche. IW-Ökonom Lesch erklärt im Interview mit Handelsblatt Online, warum das so ist, der Mindestlohn daran kaum etwas ändert und die Politik oft machtlos ist.
Lohnpolitik: Darum verdienen Ostdeutsche noch immer weniger als Westdeutsche
Herr Lesch, wer in Westdeutschland arbeitet, verdient durchschnittlich rund 700 Euro mehr als Ostdeutsche. Wie bewerten Sie diese Situation?
Bruttolöhne sind nicht die real verfügbaren Einkommen. Zum einen führen die progressive Besteuerung und staatliche Transferzahlungen ja dazu, dass sich die Differenzen nicht so stark auf die Nettolöhne auswirken. Zum anderen sagen Löhne, die nicht kaufkraftbereinigt sind, nicht so viel über die Lebensqualität aus, wie es auf dem ersten Blick scheint.
Arbeitnehmer in Ostdeutschland verdienen im Durchschnitt zwar weniger. Allerdings sind zum Beispiel die Mietpreise in ostdeutschen Regionen nicht so hoch wie im Westen. Zu prüfen wäre auch, inwieweit andere Kosten im Osten des Landes niedriger sind. Hier zeigt sich, dass es schwierig ist, die ökonomische Situation der Menschen alleine durch einen Vergleich der Bruttolöhne zu bewerten.
Die Linken-Arbeitsmarktexpertin Sabine Zimmermann nennt es „beschämend“, dass Ostdeutschland flächendeckend von niedrigen Löhnen gekennzeichnet sei. Sie sagen: Die Zahlen sind nichts wert?
Der bloße Vergleich der Bruttolöhne ist sicherlich interessant, liefert aber keinen belastbaren ökonomischen Befund, aus dem sich etwa politische Forderungen ableiten lassen.
Warum gibt es überhaupt regionale Unterschiede im Lohnniveau?
Dafür sind zum einen regionale Knappheiten verantwortlich. In Ballungsräumen ist es für Unternehmen oft schwieriger, geeignete Arbeitnehmer zu finden. Das führt dazu, dass sie bereit sind, höhere Löhne zu zahlen. Auch die Industriestärke der einzelnen Regionen spielt eine Rolle. Es gibt viele ostdeutsche Regionen, die von Dienstleistungssektoren, wie zum Beispiel dem Tourismus geprägt sind. Dort werden nicht so hohe Gehälter wie in industriellen Großbetrieben gezahlt, die zu einem großen Teil im Westen angesiedelt sind.
Zudem werden in Ostdeutschland weniger Arbeitnehmer nach Tarif bezahlt, weil die Gewerkschaften dort schwächer sind. Auch die unzureichende Mobilität spielt eine Rolle. Wäre es für potenzielle Arbeitnehmer, die in Ostdeutschland leben, einfacher, in wirtschaftsstarke Regionen zu ziehen, würde sich dies auch auf die Löhne in strukturschwachen Gegenden auswirken, weil die Arbeitskräfte dort knapper würden.
Das müssen Sie genauer erklären.
Arbeitnehmer könnten zum Beispiel von Mecklenburg nach München ziehen. Dann würden die Löhne in Mecklenburg steigen und in München sinken, sich also annähern. Diese zur Angleichung der Löhne nötige Mobilität wird aber durch viele Faktoren wie Wohnraumknappheit verhindert.
Welche Maßnahmen hat die Politik bereits ergriffen, um das Lohnniveau in Ost- und Westdeutschland anzugleichen?
Eine entscheidende Maßnahme war sicherlich der Mindestlohn. Gerade im Niedriglohnsektor haben viele Menschen aus Ostdeutschland von der Einführung des Mindestlohnes profitiert.
Hätte das nicht ein weiteres aufklaffen der Gehaltslücke verhindern müssen?
Da der Mindestlohn nur einen kleinen Teil des Arbeitsmarktes beeinflusst, sind auch seine Auswirkungen begrenzt.
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