Ein ökologisch definierter Rahmen des volkswirtschaftlichen Strukturwandels verlangt zugleich Steuerung durch Märkte. Degrowth und freiheitliches Wirtschaften gehen nicht zusammen. Ein Gastbeitrag von IW-Direktor Michael Hüther im taz-Magazin Futurzwei.
Marktwirtschaft + Öko
Vor fast fünfzig Jahren war der programmatische Startpunkt der Umweltpolitik in Deutschland: Im September 1970 wurde das „Umweltschutz-Sofortprogramm“ vorgelegt, ein Jahr später das „Umweltprogramm der Bundesregierung“. Seitdem ist viel geschehen, die Erfolge bei der Institutionalisierung der Umweltpolitik überwiegen. Denn so sehr einerseits die letztlich erfolglosen Bemühungen für ein Ökosozialprodukt schmerzen – immerhin im Jahr 1989 vom Statistischen Bundesamt vollmundig angekündigt –, so selbstverständlich wurde andererseits die Nutzung ökologischer Steuerungsinstrumente, sei es das Ordnungsrecht, die Ökosteuer (Pigou-Steuer) oder das System von Emissionszertifikaten.
Dies wäre nicht möglich gewesen, hätte nicht gleichzeitig die ökonomische Debatte die Herausforderung der Umwelt- und Klimapolitik ernst genommen und die ökologische Rahmung der marktwirtschaftlichen Ordnung vollzogen. Dennoch dominiert generell und aus anderen Gründen (Finanzkrise und Verteilungssorgen) der kritische Blick auf die Markwirtschaft. Dabei irritiert, wenn undifferenziert vom „ungezügelten Kapitalismus” die Rede ist. Dies galt allenfalls unter dem Regime der Gewerbefreiheit – dem Laissez-faire und Laissez-passer – bis zur Weltwirtschaftskrise ab 1929. Die Antworten auf diese erste wirklich tiefgehende Störung der marktwirtschaftlichen Ordnung wiesen in zwei Richtungen: die Keynes‘sche Idee einer finanzpolitischen Verantwortung für das Krisenmanagement und die Eucken’sche Idee einer starken staatlichen Ordnung zur Sicherung hoher Wettbewerbsintensität und der Vermeidung ökonomischer Macht.
Für die Suche nach der angemessenen Rahmung lohnt es sich, die Ordnungspolitik zu befragen. Bei Walter Eucken finden wir das Argument der externen Effekte, das neoklassisch fundiert ist und die Debatte um Marktversagen beherrscht. Damit öffnet sich freilich nur der Blick auf einen primär vergangenheitsorientierten und damit defensiv eingestellten, nachsorgenden Umweltschutz. Dies entsprach dem Leitbild des erwähnten ersten umfassenden Umweltprogramms von 1971, das die Forderung nach einem wieder „blauen Himmel über der Ruhr” aufnahm, die Willy Brandt 1961 erstmals erhoben und bereits 1964 zur Luftreinerhaltungsvorschrift „TA Luft“ geführt hatte. Umweltprobleme galten noch als überschaubar und als im Rahmen der existierenden Regelwerke lösbar.
Dies änderte sich mit dem Aufkommen grundsätzlicher Wachstumskritik, die sich mit der Studie des Club of Rome aus dem Jahr 1972 (Die Grenzen des Wachstums) und dem Bericht Global 2000 aus dem Jahr 1980 für den US-Präsidenten profund und öffentlichkeitswirksam Ausdruck verschaffte, nachdem bereits in den 1960er-Jahren in den Wirtschaftswissenschaften die Frage nach den individuellen und gesellschaftlichen Kosten des Wachstums (Ezra J. Mishan 1967) gestellt worden war und spezifische ökonomische Prinzipien für das Raumschiff Erde (Kenneth Boulding 1966) gefordert worden waren.
Die Botschaft war überzeugend: Allein mit nachsorgender Umweltpolitik wird man die ökologischen Folgen des Wirtschaftens nicht in den Griff bekommen. Entsprechend kam es zu einem umweltpolitischen Paradigmenwechsel, vollzogen mit der Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro: Umweltpolitik wird seitdem unbestritten als vorsorgende Politik verstanden, als eine Politik, die zukunftsbezogen Umweltqualitätsziele entwickelt und festlegt, aus denen – und nicht mehr nur aus einem Schadensbefund – sich umweltpolitischer Handlungsbedarf ableitet.
Die Frage, welche Natur wir schützen, ist keineswegs trivial
Seitdem lautet das Ziel „dauerhaft umweltgerechte Entwicklung“ (sustainable development). Es basiert auf der Forderung, dass ökonomische, soziale und ökologische Entwicklungen im Gleichschritt einhergehen und nicht voneinander getrennt oder gar gegeneinander ausgespielt werden dürfen. Aufbauend auf der Vorstellung von einer intra- und intergenerativen Gerechtigkeit soll sich – dem Grundsatz der Nachhaltigkeit folgend – die Nutzung erneuerbarer Ressourcen in jenen Grenzen orientieren, die sich aus den Möglichkeiten ihrer Regeneration ergeben. Die Nutzung nicht erneuerbarer Ressourcen hingegen soll sich an den Möglichkeiten orientieren, durch Innovation und Investition zu einem Substitut zu gelangen. Zudem soll die Freisetzung von (Schad‑)Stoffen nicht größer sein als die Aufnahmekapazität der Umweltmedien, sie sollte diese möglichst deutlich unterschreiten.
Gefordert wird damit eine Wirtschaftsweise, die den Substanzerhalt ökologischer Potenziale in den Vordergrund stellt. Letztlich muss es eine dauerhafte Ausrichtung der sich fortschreitend entwickelnden Volkswirtschaften an den Belastungsgrenzen der Umweltmedien („kritische Ressourcenbestände“) geben.
Die Frage, welche Natur wir schützen sollen, erweist sich indes als keineswegs trivial. Die Wahrnehmung, ob ein Lebensraum ökologisch intakt ist, hängt stets von den spezifischen Bedürfnissen und Interessen derjenigen ab, die diesen Lebensraum heute als ihre Umwelt betrachten und nutzen wollen. Die zu schützende Natur ist Resultat einer Interpretation, in die neben die ökologischen Daten die Präferenzen der Menschen eingehen.
Die Konzeption der dauerhaft umweltgerechten Entwicklung weitet nicht nur den Blick auf die Wirkungszusammenhänge von ökologischen, sozialen und ökonomischen Entwicklungen, sondern öffnet mit ihrer zukunftsorientierten Perspektive die notwendige normative Debatte explizit für andere Gesichtspunkte. Damit aber stellt sich die Frage, welche theoretische Basis die Ökonomik für solchermaßen zukunftsorientiertes Handeln – wie die Klimapolitik – anbieten kann. Marktwirtschaft beruht konzeptionell nicht nur auf der unauflöslichen Verknüpfung von Freiheit und Verantwortung, sondern ebenso auf dem Prinzip des fairen, beide Seiten besser stellenden Tauschs, was im Grunde nichts anderes verlangt als die Pflicht, nicht zu stehlen.
Demgemäß verstößt auch die Ausbeutung sogenannter öffentlicher Güter oder Kollektivgüter (zum Beispiel saubere Luft, sauberes Wasser, aufnahmefähige Umweltmedien) gegen die ethische Basis der Tauschwirtschaft, was staatliche Eingriffe verlangt. Besteht zwischen den heute lebenden und den künftigen Generationen kein Unterschied im moralischen Status sowie den daraus folgenden berechtigten Ansprüchen (wie bei John Rawls mit dem Sparprinzip verankert), dann sind die statisch definierten Funktionsbedingungen der Marktwirtschaft auch im Verhältnis zwischen den Generationen wirksam. So besteht ökonomisch eine Pflicht zu dieser Zukunftsvorsorge; nicht nur der heutige Schadensbefund, sondern auch die Sicherung künftiger Umweltqualität legitimieren aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht ökologische Auflagen.
Die Perspektive auf einen ökologisch definierten Rahmen des volkswirtschaftlichen Strukturwandels verlangt allerdings zugleich, die Steuerung durch Märkte – Preisstruktur und relative Preise als Knappheitssignale – so weitgehend wie möglich zu nutzen. Marktwirtschaft ist nun einmal das effizienteste System, um in einer freiheitlichen Ordnung so wirksam wie möglich mit Knappheit umzugehen. Das bedeutet allerdings auch, zwischen den Konzepten „dauerhaft-umweltgerechter (nachhaltiger) Entwicklung“ sowie „stetiges und angemessenes Wachstum“ keinen fundamentalen Widerspruch zu sehen.
Die Ableitung der Nachhaltigkeit kann in Verzichtsvorgaben liegen, aber ebenso in einer Effizienzrevolution. Das verbindet sich mit Vorstellungen, die generell auf eine Steigerung der Ressourcenproduktivität zielen. Die sogenannten Degrowth-Konzepte (Wachstumsrücknahme) fordern hingegen durch die Weiterentwicklung der Idee einer stationären Wirtschaft eine vollständige Änderung der Wirtschaftsweise. Dieser umweltpolitische Ansatz ist mit einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung nicht vereinbar, weil er nicht nur die Vertragsfreiheit, sondern ebenso das Privateigentum grundsätzlich bedroht, dezentrale, kapitalunterlegte Innovationen ausschließen muss und zentrale Planung erfordert.
Tatsächlich hat die ökologische Debatte, welche die Voraussetzungen wirtschaftlichen Wachstums durch Naturkapital und Sozialkapital thematisiert, in den vergangenen vier Dekaden wichtige Impulse für eine vorausschauend ressourcenorientierte Ökonomik gegeben. Wünschenswert wäre es, wenn wachstumskritische Diskurse gleichermaßen offener und bewusster mit ihren freiheitsskeptischen Aspekten umgingen.
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