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Wido Geis-Thöne / Hans-Peter Klös / Kerstin Krey / Axel Plünnecke IW-Kurzbericht Nr. 26 22. März 2022 Fluchtmigration aus der Ukraine – Herausforderungen meistern

Vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine muss sich Deutschland auf die Aufnahme einer hohen Zahl Geflüchteter vorbereiten. Hilfreich ist dabei, dass die Anwendung der „Massenzustrom-Richtlinie” die administrativen Prozesse vereinfacht und bereits vielfältige Unterstützungsangebote existieren.

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Fluchtmigration aus der Ukraine – Herausforderungen meistern
Wido Geis-Thöne / Hans-Peter Klös / Kerstin Krey / Axel Plünnecke IW-Kurzbericht Nr. 26 22. März 2022

Fluchtmigration aus der Ukraine – Herausforderungen meistern

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine muss sich Deutschland auf die Aufnahme einer hohen Zahl Geflüchteter vorbereiten. Hilfreich ist dabei, dass die Anwendung der „Massenzustrom-Richtlinie” die administrativen Prozesse vereinfacht und bereits vielfältige Unterstützungsangebote existieren.

Der russische Angriffskrieg hat in den letzten Wochen dazu geführt, dass immer mehr Menschen die Ukraine verlassen haben. So schätzt das UNHCR die Gesamtzahl der bis zum 15.03.2022 Geflüchteten auf 2,97 Millionen. Dabei ist mit 1,81 Millionen mehr als die Hälfte von ihnen zunächst nach Polen eingereist (UNHCR, 2022). Von hier, wie auch von der Slowakei und von Ungarn aus, können sie sich im Schengenraum im Rahmen der Visumfreiheit frei bewegen. Damit fehlen aktuell Informationen über den genauen Aufenthalt. Die Visumfreiheit führt auch dazu, dass sich die nach Deutschland gekommenen Personen, anders als die Geflüchteten aus außereuropäischen Ländern, nicht unbedingt direkt nach ihrer Ankunft anmelden müssen. So könnte es lange dauern, bis belastbare Zahlen zu den aus der Ukraine nach Deutschland Geflüchteten vorliegen.

Betrachtet man die bisherige Zuwanderung aus der Ukraine in die EU, sticht Polen als Zielland mit 490.000 der EU-weit insgesamt 601 000 an Ukrainer und Ukrainerinnen erstmalig erteilten Aufenthaltstitel sehr stark heraus. Deutschland kommt nur auf 5.000 (Eurostat, 2022). Allerdings haben die polnischen Aufenthaltstitel größtenteils eine Befristung von deutlich weniger als einem Jahr, was auf eine Vergabe an Saisonarbeitskräfte hindeutet. Die Gesamtzahl der Zuwanderer aus der Ukraine in Polen lag im Jahr 2019 Berechnungen der Vereinten Nationen zufolge auch nur bei rund 207.000 und damit auf einem ähnlichen Niveau wie die Zahl der Zuwanderer aus der Ukraine in Deutschland mit 220.000. Ein dritter Zuwanderungsschwerpunkt innerhalb der EU findet sich mit 222.000 ukrainischen Zuwanderern in Italien (UN, 2019). Insgesamt ist folglich damit zu rechnen, dass viele aus der Ukraine in die EU geflüchteten Personen Bezugspunkte in Deutschland haben und hierherkommen.

Innerhalb Deutschlands leben besonders viele ukrainische Staatsangehörige in den bevölkerungsstärksten Ländern Nordrhein-Westfalen und Bayern. Relativ zur Gesamtbevölkerung sind sie, wie die Abbildung zeigt, hingegen in Berlin besonders stark vertreten. Hier dürften auch besonders viele Geflüchtete aus der Ukraine zunächst unterkommen, obschon es sich bei den im Land lebenden Ukrainern teilweise um Studierende mit beschränkten Unterbringungsmöglichkeiten handelt.

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Die regionale Verteilung ist wiederum von besonderer Bedeutung, da es sich bei einem Großteil der Geflüchteten um Kinder handelt, für die Kapazitäten an Kitas und Schulen geschaffen werden müssen. Zusätzliche Bedarfe entstehen in den Schulen auch für Integration, Sprachförderung und psychologische Angebote

Allerdings ist nicht klar, ob die Geflüchteten auch längerfristig an den Orten bleiben, wo sie zunächst unterkommen. Der im Kontext der „Massenzustrom-Richtlinie“ für die Aufnahme zur Anwendung kommende § 24 AufenthG sieht an sich eine Verteilung nach dem Königsteiner Schlüssel vor, wie sie auch bei anderen Geflüchteten praktiziert wird und in der Vergangenheit bei den (Spät-) Aussiedlern zur Anwendung gekommen ist. Haben die Geflüchteten aus der Ukraine Freunde oder Bekannte, bei denen sie wohnen und Unterstützung bei der Integration erhalten können, sollten sie aus diesem Umfeld keinesfalls wieder herausgerissen werden. Sind sie hingegen auf von den Kommunen bereitgestellten Wohnraum angewiesen, ist eine gezielte regionale Verteilung durch staatliche Stellen nahezu unumgänglich.

Dass die Geflüchteten aus der Ukraine ihren Zielort in Deutschland zunächst frei wählen können, ist eine Folge der Visumfreiheit und unterscheidet sie maßgeblich von Geflüchteten aus anderen Herkunftsländern. Problematisch ist daran, dass eine Anmeldung in Deutschland z. B. auf Grund des baldigen Rückkehrwunsches möglicherweise für eine längere Zeit nicht erfolgt. Diese ist jedoch in der Regel unter anderem Voraussetzung dafür, dass die Kinder Zugang zu Schule und Kita erhalten. Daher sollte auch darauf hingewirkt werden, dass sich die Geflüchteten direkt nach ihrer Einreise in Deutschland anmelden, auch wenn sie mit einer baldigen Rückkehr rechnen.

Mit der „Massenzustrom-Richtlinie“ auf EU-Ebene und dem in Deutschland zu ihrer Umsetzung angewandten § 24 AufenthG können die aus der Ukraine Geflüchteten sehr zeitnah nach ihrer Einreise in Deutschland einen Schutzstatus erhalten. So entfällt die Einzelfallprüfung der Fluchtursachen durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), die die regulären Asylverfahrens sehr zeitaufwändig macht. Damit droht auch keine Situation wie in den Jahren 2015 und 2016, als sich die administrativen Prozesse bei der Aufnahme der Geflüchteten vor dem Hintergrund einer starken Überlastung des BAMF teilweise monatelang verzögert hatten.

Konkret können ukrainische Staatsangehörige, die vor dem 24. Februar 2022 in der Ukraine wohnhaft waren, und ihre Familienangehörigen sowie unter gewissen Voraussetzung nicht-ukrainische Drittstaatsangehörige und Staatenlose, die sich in der Ukraine aufgehalten haben und nicht ihre Herkunftsländer zurückkehren können (Artikel 2 des Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/382 des Rates), auf diesem Weg einen Schutzstatus erlangen. Gleichzeitig bleibt ihnen freigestellt ein reguläres Asylverfahren zu beantragen und damit einen Schutzstatus nach Genfer Konvention (§ 3 AsylG) zu erhalten, der in mancher Hinsicht etwas günstiger ist.

So sollen die Aufenthaltstitel nach § 24 AufenthG zunächst nur für ein Jahr gelten und auf drei Jahre verlängert werden (BMI, 2022), wohingegen der reguläre Schutzstatus unmittelbar für drei Jahre erteilt wird. Auch sollen Personen mit diesem Schutzstatus nach derzeitigem Informationsstand bei nicht gesichertem Lebensunterhalt Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und nicht nach dem zweiten Sozialgesetzbuch erhalten. Damit wären sie im Bedarfsfall etwas schlechter gestellt als Personen mit regulärem Schutzstatus, hätten aber keine Verpflichtung zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit. Eine entsprechende Unterstützung durch beraterische Betreuung und aktive Leistungen im Rechtskreis des dritten Sozialgesetzbuchs soll jedoch möglich sein.

Auch ist noch nicht klar, ob die Personen mit Aufenthaltstiteln nach § 24 AufenthG unmittelbar Zugang zu den Integrations- und weiteren Deutschkursen erhalten. Dies sollte jedoch unbedingt der Fall sein, da ein zeitnaher Erwerb der deutschen Sprache für eine erfolgreiche Integration von großer Bedeutung ist. Daher sollte auch durch gezielte Angebote und Sensibilisierungsmaßnahmen darauf hingearbeitet werden, dass möglichst alle aus der Ukraine Geflüchteten zeitnah nach ihrer Einreise erste Alltagssprachkenntnisse erwerben. Die Voraussetzungen hierfür sind günstig, da in Deutschland bereits viele Ukrainer und Ukrainerinnen leben, die diese Sprachkurse anbieten können und die Zahl der Deutschlernenden in der Ukraine einer Studie des Auswärtigen Amtes (Auswärtiges Amt, 2020) zufolge mit 669.043 vergleichsweise hoch ist.

Zudem ist an dieser Stelle, wie auch bei der Integration der Geflüchteten aus der Ukraine insgesamt, ein vergleichsweise hoher Bildungsstand der ukrainischen Bevölkerung hilfreich. So hatten im Jahr 2015 rund 29,6 Prozent der 25- bis 64-Jährigen in der Ukraine einen tertiären Bildungsabschluss und nur 4,6 Prozent maximal eine Grundschule besucht (Barro / Lee, 2022). Damit dürfte die Integration in den deutschen Arbeitsmarkt deutlich leichter fallen als bei anderen Geflüchteten.

Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist bei einem Aufenthaltstitel nach § 24 AufenthG nach aktuellem Stand nach § 4a Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 31 BeschV ohne Prüfung durch die Bundesagentur für Arbeit uneingeschränkt möglich. Allerdings muss anders als bei Personen mit einem regulären Schutzstatus die zuständige Ausländerbehörde ihre Zustimmung erteilen. Damit hier kein Hemmnis für die Integration entsteht, sollte dies grundsätzlich bereits ohne konkretes Stellenangebot erfolgen.

Zuletzt ist auf das große zivilgesellschaftliche Engagement, insbesondere auf Initiativen, wie „Job Aid for Ukrainian Refugees“, „#Unterkunft Ukraine“ oder „wirtschafthilft“, zu verweisen, welches die rasche Aufnahme und Integration der Geflüchteten wesentlich erleichtert.

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