Die Regeln der Schuldenbremse werden im Jahr 2022 zum dritten Mal in Folge ausgesetzt. Dadurch gibt es insbesondere für den Bund keine Begrenzung der Nettoneuverschuldung. Doch trotz zusätzlicher Kredite in dreistelliger Milliardenhöhe bleibt die Schuldenstandsquote voraussichtlich unter 70 Prozent.
Schuldenstandsquote sinkt trotz Corona-Krise und Ukraine-Krieg
Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
Die Regeln der Schuldenbremse werden im Jahr 2022 zum dritten Mal in Folge ausgesetzt. Dadurch gibt es insbesondere für den Bund keine Begrenzung der Nettoneuverschuldung. Doch trotz zusätzlicher Kredite in dreistelliger Milliardenhöhe bleibt die Schuldenstandsquote voraussichtlich unter 70 Prozent.
Der Blick zurück zeigt, wie es auch in der nahen Zukunft laufen könnte. In der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise ist der Schuldenstand schlagartig in die Höhe geschnellt. Die Schuldenstandsquote, also das Verhältnis von Schulden zum Bruttoinlandsprodukt (BIP), kletterte im Jahr 2010 auf einen Rekordwert von 82 Prozent. Dies entsprach gegenüber der Jahrtausendwende einem Plus um rund 30 Prozent. Mit circa 2,2 Billionen Euro belief sich der Schuldenstand des deutschen Staates im Jahr 2012 auf 1 Billion Euro mehr als im Jahr 2000 (Deutsche Bundesbank, 2022). Nach diesem krisenbedingten Anstieg hatten die Staatsfinanzen goldene Jahre erlebt, die erst von der Corona-Pandemie ausgebremst wurden. Als Folge von geringen Zinsausgaben und hohen Einnahmen bei Steuern und Sozialbeiträgen sank die Schuldenstandsquote im Jahr 2019 erstmals nach 2002 wieder unter den Maastricht-Grenzwert von 60 Prozent. Infolge der Pandemie ist der Schuldenstand um rund 20 Prozent auf annähernd 2,5 Billionen Euro angewachsen. Die Schuldenstandsquote stieg im Jahr 2020 um 10 Prozentpunkte (Grömling/Hentze/Schäfer, 2022). Im Jahr 2021 stieg sie weiter, blieb aber unter der Marke von 70 Prozent (Deutsche Bundesbank, 2022).
Angesichts des anhaltenden Krisenmodus mit Blick auf den Krieg in der Ukraine stellt sich die Frage, wie es mit den Staatsfinanzen weitergeht. Im Jahr 2022 kommen die normalen Regeln der Schuldenbremse aufgrund der Corona-Pandemie das dritte Jahr in Folge nicht zur Anwendung. Der Bund rechnet für das Jahr 2022 mit einer Nettokreditaufnahme in Höhe von rund 100 Milliarden Euro (BMF, 2022). Hinzu kommen Schulden von schätzungsweise 25 Milliarden Euro, die sich aus einem noch zu erstellenden Ergänzungshaushalt zur Bekämpfung des Energiepreisanstiegs ergeben. In der Logik der Haushaltspolitik kommen weitere 100 Milliarden Euro für ein Sondervermögen zur Aufrüstung der Bundeswehr hinzu (BMF, 2022). Bei der Ermittlung des Schuldenstands nach dem Maastricht-Kriterium bleibt dieser Posten zunächst jedoch außen vor, da die Mittel erst in späteren Jahren verwendet werden.
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Aktuelle Fiskalregeln begrenzen Neuverschuldung
Trotz einer Nettokreditaufnahme im dreistelligen Milliardenbereich wird die Schuldenstandsquote in diesem Jahr davon nur unwesentlich erfasst. Denn gleichzeitig wächst das nominale Bruttoinlandsprodukt nicht zuletzt aufgrund der hohen Inflation kräftig, wodurch sich die Verschuldung relativiert. Dabei ist allerdings zu beachten, dass der für das nominale Wachstum maßgebliche BIP-Deflator derzeit nicht so stark steigt wie der Verbraucherpreisindex. Das nominale Wirtschaftswachstum beläuft sich nach Prognosen des Sachverständigenrats in diesem Jahr auf 5 Prozent und im kommenden Jahr auf gut 7 Prozent (SVR, 2022, 57). Der dämpfende Effekt durch das nominale Wachstum auf die Schuldenstandsquote fällt geringer aus, als es der Anstieg der Verbraucherpreise nahelegt. Dennoch ist auf Basis dieser Werte im Jahresverlauf eine Stabilisierung der Schuldenstandsquote nach dem Maastricht-Kriterium knapp unter 70 Prozent zu erwarten. Unterstellt wird dabei, dass Bund und Länder die normalen Regeln der Schuldenbremse ab dem Jahr 2023 wieder einhalten und es auf kommunaler Ebene zu keiner wesentlichen Zunahme der Verschuldung kommt. Während der Bund im Rahmen der Schuldenbremse maximal 0,35 Prozent des BIP zur Neuverschuldung nutzen darf, steht den Ländern in wirtschaftlichen Normalzeiten keine Nettoneuverschuldung zu. Die Kommunen sind formal zwar nicht von der Schuldenbremse betroffen, sind jedoch angehalten, einen ausgeglichenen Haushalt anzustreben. In der Simulationsrechnung reizt der Staat die strukturelle Neuverschuldung und die Konjunkturkomponente stets aus. Zudem wird angenommen, dass bestehende und geplante Sondervermögen, insbesondere der Energie- und Klimafonds sowie das Sondervermögen für die Bundeswehr, in den kommenden Jahren vollständig eingesetzt werden. Über diese Kanäle wird die jährliche Neuverschuldung höher ausfallen, als es die strukturelle Nettokreditaufnahme der Schuldenbremse vorsieht.
Es wird ferner berücksichtigt, dass die Schuldenbremse einen Tilgungsplan für die krisenbedingt aufgenommenen Schulden vorsieht (Beznoska/Hentze/Hüther, 2021). Die amtierende Bundesregierung will den Tilgungszeitraum nicht – wie noch von der Großen Koalition geplant – im kommenden Jahr beginnend auf 20 Jahre strecken, sondern 2028 beginnend auf einen Zeitraum von 30 Jahren ausdehnen (BMF, 2022). Dies sorgt gegenüber der bisherigen Festlegung insbesondere in der laufenden und in der kommenden Legislaturperiode für zusätzliche Handlungsspielräume. Dennoch schränkt auch die nun vorgesehene Tilgung die Haushaltsspielräume ab dem Jahr 2028 für drei Jahrzehnte ein. Die Tilgungsverpflichtung schöpft ab dem Jahr 2028 die mögliche strukturelle Neuverschuldung des Bundes zu einem beträchtlichen Teil aus. Eine noch langfristigere Tilgung von beispielsweise 50 Jahren wäre angesichts des niedrigen Zinsniveaus vertretbar gewesen.
Mittel- bis langfristig wird die Schuldenstandsquote bei unveränderten Fiskalregeln ähnlich wie nach der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise kontinuierlich sinken – angenommen wird dabei ein nominales Wirtschaftswachstum von 2,6 Prozent ab dem Jahr 2024 (BMF, 2021). Angesichts des derzeit starken Preisniveauanstiegs ist dieser Wert eher vorsichtig gewählt. Sollten sich die BIP-Wachstumsraten anders als unterstellt entwickeln, hätte dies einen unmittelbaren Einfluss auf die Schuldenstandsquote. Höhere nominale Wachstumsraten würden die Schuldenstandsquote ceteris paribus stärker senken. Gleichzeitig würde allerdings auch die Ausgabenseite des Staates und damit möglicherweise die Neuverschuldung höher ausfallen. Insgesamt erzwingen die derzeit geltenden Fiskalregeln jedoch de facto eine Reduzierung der Schuldenstandsquote, sofern die Wirtschaft zumindest moderat wächst. Bis zum Ende des Jahrzehnts könnte die Kennzahl unter dieser Prämisse wieder annähernd den Maastricht-Wert von 60 Prozent erreichen. Die Simulationsrechnung bis zum Jahr 2030 zeigt, wie Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg die öffentlichen Haushalte zweifelsfrei belasten. Dabei können die Ergebnisse lediglich eine Orientierung geben, sie stellen keine Prognose dar.
Allerdings ist hervorzuheben, dass der deutsche Staat aus ökonomischer Sicht aller Voraussicht nach weiterhin über ausgeprägte Handlungsspielräume verfügt, um kurzfristig in der Krise gegenzusteuern und gleichzeitig wichtige Investitionen in Energiewende, Klimaschutz und Digitalisierung voranzubringen. Restriktionen wie die engen Grenzen der Schuldenbremse sind dabei eher politischer als ökonomischer Natur (Diermeier/ Hüther/Obst, 2021).
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