Seit 50 Jahren wird über ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen gestritten. Auch im aktuellen Wahlkampf ist das Thema wieder präsent, obwohl sein potenzieller Beitrag zur Einhaltung der neuen Klimaziele sehr überschaubar ist. Warum das so ist, zeigen Auswertungen von Verkehrszählstationen. Schon heute fahren fast 80 Prozent der Autofahrer auch auf den Strecken ohne Tempolimit langsamer als 130 km/h. Weniger als 2 Prozent sind schneller als 160 km/h unterwegs, davon wurde die Hälfte am späteren Abend oder in der Nacht erfasst.
Verkehr auf der Autobahn: Schneller als 130 – Regel oder Ausnahme?
Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
Seit 50 Jahren wird über ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen gestritten. Auch im aktuellen Wahlkampf ist das Thema wieder präsent, obwohl sein potenzieller Beitrag zur Einhaltung der neuen Klimaziele sehr überschaubar ist. Warum das so ist, zeigen Auswertungen von Verkehrszählstationen. Schon heute fahren fast 80 Prozent der Autofahrer auch auf den Strecken ohne Tempolimit langsamer als 130 km/h. Weniger als 2 Prozent sind schneller als 160 km/h unterwegs, davon wurde die Hälfte am späteren Abend oder in der Nacht erfasst.
Die Frage nach einem allgemeinen Tempolimit ist ein verkehrspolitischer Dauerbrenner in Deutschland. Bereits im Sommer 1971 wollte der damalige Verkehrsminister Leber Tempo 100 als Höchstgeschwindigkeit auf allen deutschen Straßen durchsetzen – und stieß dabei auf erheblichen Widerstand. Dies führte zur Einführung von Tempolimits auf zweispurigen Bundes- und Landesstraßen, die bis dato wie alle Straßen außerorts keine gesetzliche Höchstgeschwindigkeit kannten. Danach blieb das allgemeine Tempolimit immer in der verkehrspolitischen Debatte präsent. Auch im aktuellen Bundestagswahlkampf ist es eines der am meisten diskutierten verkehrspolitischen Themen und es erscheint relativ wahrscheinlich, dass Tempo 130 auf Autobahnen auch in Koalitionsverhandlungen eine Rolle spielen wird. Gemessen an der ihm über fünf Jahrzehnte zuteil gewordenen öffentlichen Aufmerksamkeit ist das Tempolimit eine der wichtigsten verkehrspolitischen Fragen der deutschen Nachkriegsgeschichte.
Anfangs war eine Erhöhung der Verkehrssicherheit der Hauptgrund für die Forderung nach einem allgemeinen Tempolimit. Im Jahr 1971 gab es 20.794 Tote im Straßenverkehr, weshalb eine Erhöhung der Sicherheit Priorität genoss und im Zuge dessen die Forderung nach einem Tempolimit aufkam. Seither hat sich viel geändert – vor allem durch die Gurtpflicht und sicherere Fahrzeuge – und die Zahl der Toten sank auf 2.719 Personen im Jahr 2020. Davon starben 317 bei Unfällen auf Autobahnen (Statistisches Bundesamt, 2021, 53 f.). Da gleichzeitig etwa ein Drittel der deutschen Fahrleistungen auf den Autobahnen erbracht wird, gelten sie als die mit Abstand sichersten Straßen in Deutschland.
Inzwischen wurde die Sicherheitsfrage von energie- und klimapolitischen Erwägungen als Haupttreiber für die Debatte um das Tempolimit abgelöst. Auch dieser Aspekt wurde bereits in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts diskutiert. Da der Energieverbrauch eines Pkw aufgrund des steigenden Luftwiderstands in etwa mit dem Quadrat der Geschwindigkeit steigt, wurde 1973 im Zuge der Ölkrise die bis heute geltende Richtgeschwindigkeit von 130 km/h eingeführt, um die Kosten der Erdölimporte zu senken. Heute wird der Effekt von Tempolimits auf die CO2-Emissionen des Straßenverkehrs mit Hilfe modellgestützter Analysen geschätzt. Entsprechende Studien zeigen, dass das Einsparpotenzial eines allgemeinen Tempolimits von 130 km/h je nach Annahmen zwischen ein und zwei Millionen Tonnen CO2 liegen dürfte (Agora Verkehrs-wende, 2018, 29). In Anbetracht dessen, dass die Bundesregierung inzwischen das Ziel hat, die Emissionen des Verkehrs zwischen 2019 und 2030 um 80 Millionen Tonnen zu senken, kann ein Tempolimit also nur einen marginalen Beitrag leisten, der zudem mit der Verbreitung von Elektrofahrzeugen abnimmt. In Summe gilt: Der mögliche positive Effekt eines allgemeinen Tempolimits in Deutschland steht heute in keinem Verhältnis zu seiner Rolle in der verkehrspolitischen Debatte der letzten 50 Jahre.
Dieses Missverhältnis erklärt sich zu guten Teilen dadurch, dass Geschwindigkeiten über 130 km/h heutzutage recht selten gefahren werden. So verfügen bereits gut 30 Prozent der deutschen Autobahnkilometer über ein permanentes Tempolimit – zumeist Tempo 120. Hinzu kommen temporäre Tempolimits in erheblichen Umfang, insbesondere durch Baustellen. Doch auch auf den Strecken ohne Geschwindigkeitsbeschränkung wird zumeist langsamer als Richtgeschwindigkeit gefahren, das zeigen Auswertungen aus NRW.
Für diesen Bericht wurden die Daten der automatisierten Autobahnzählstellen des Landesbetriebs Straßenbau NRW von der Mobilitäts Daten Marktplatz (MDM)-Plattform im bevölkerungsreichsten Bundesland ausgewertet, bei denen gemäß OpenStreetMap keine Geschwindigkeitsbegrenzung vorliegt. Die Autobahnzählstellen liefern in Echtzeit jede Minute Durchschnittswerte über alle Pkw für Geschwindigkeit und Anzahl je Autobahnfahrstreifen und wurden über den Zeithorizont von 15 Wochen in den Kalenderwochen 20 bis 34 (17.5.2021 – 29.8.2021) dieses Jahres aufgezeichnet. In Summe wurden auf diese Weise auf den 1.762 Fahrstreifen ohne Geschwindigkeitsbegrenzung knapp 1,2 Milliarden Pkw-Bewegungen erfasst und nach gefahrener Geschwindigkeit und nach Tageszeit geclustert. Das Ergebnis ist recht eindeutig (Abbildung).
Über den gesamten Tag gerechnet fahren auch auf den unlimitierten Strecken fast 77 Prozent der Pkws langsamer als 130 km/h. Weitere 12 Prozent fahren zwischen 130 und 140 km/h, wobei die meisten dieser Fahrzeuge nur wenig schneller sind als es die Richtgeschwindigkeit von 130 km/h vorgibt. Weitere 6,2 Prozent der erfassten Pkws fuhren zwischen 140 und 150 km/h, wobei auch hier die Mehrheit mit Geschwindigkeiten an der Untergrenze gemessen wurde. Weniger als zwei Prozent der erfassten Fahrzeuge fuhren schneller als 160 km/h, von diesen aber ein großer Anteil deutlich schneller als 160 km/h.
Über einen ganzen Tag betrachtet zeigen die Daten somit, dass auch auf unlimitierten Autobahnabschnit-ten nur ein sehr kleiner Teil der Autofahrer signifikant schneller als Richtgeschwindigkeit fährt. Wird auch die zeitliche Verteilung betrachtet, zeigt sich, dass diese Fahrzeuge zudem recht oft in den verkehrlichen Randstunden unterwegs sind. In den späteren Abend- und Nachtstunden steigt der Anteil der besonders schnellen Pkws deutlich an. In den besonders verkehrsstarken Nachmittagsstunden sind nur etwa 1,1 Prozent der Pkws mit mehr als 160 km/h gemessen worden. Ab etwa 19:00 Uhr steigt dieser Anteil deutlich an und liegt zwischen 22:00 Uhr und 4:00 Uhr bei etwa 4 Prozent, um dann wieder zu fallen. Insgesamt wurde über die Hälfte der Schnellfahrer im Zeitraum von 18:00 bis 6:00 Uhr erfasst, während etwa 28 Prozent aller Pkws in diesem Zeitraum unterwegs waren. Zudem fuhren sie spürbar schneller als am Tag. Zwischen Mitternacht und 3:00 Uhr lag die Durchschnittsgeschwindigkeit in dieser Gruppe bei über 180 km/h, während sie zur Mittagszeit bei gut 170 km/h lag. Bei allen anderen Gruppen, die schneller als Richtgeschwindigkeit fahren, bleibt die Durchschnittsgeschwindigkeit hingegen praktisch konstant. Zudem weisen sie auch eine andere zeitliche Verteilung auf. Ihr höchster Anteil am gesamten Pkw-Verkehr liegt immer zwischen 20:00 und 21:00 Uhr, weshalb zu dieser Zeit auch der Anteil der Fahrzeuge unterhalb der Richtgeschwindigkeit mit knapp 67 Prozent am geringsten ist, während er zu den verkehrsstarken Zeiten bei über 80 Prozent liegt.
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