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Thomas Obst / Samina Sultan IW-Report Nr. 51 13. Oktober 2023 Polen vor der Wahl – Wirtschaftsmodell im Wandel

Am 15. Oktober 2023 wird in Polen eine neue Regierung gewählt. Das Ergebnis dieser Wahl und die weitere wirtschaftliche Entwicklung des Landes sind auch für Europa und besonders die unmittelbaren Nachbarländer wie Deutschland relevant. Denn Polen ist mittlerweile überregional eng verflochten, etwa über die Handelsbeziehungen.

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Polen vor der Wahl – Wirtschaftsmodell im Wandel
Thomas Obst / Samina Sultan IW-Report Nr. 51 13. Oktober 2023

Polen vor der Wahl – Wirtschaftsmodell im Wandel

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Am 15. Oktober 2023 wird in Polen eine neue Regierung gewählt. Das Ergebnis dieser Wahl und die weitere wirtschaftliche Entwicklung des Landes sind auch für Europa und besonders die unmittelbaren Nachbarländer wie Deutschland relevant. Denn Polen ist mittlerweile überregional eng verflochten, etwa über die Handelsbeziehungen.

Das polnische Handelsvolumen ist zwischen 1990 und 2023 stark gestiegen. Deutschland ist der wichtigste Handelspartner des Landes mit einem Anteil von 27 Prozent am polnischen Handelsvolumen. Als dynamisch wachsende Volkswirtschaft ist Polen zudem zu einem wichtigen Industriestandort in der Mitte der Europäischen Union avanciert.

Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs im Jahr 1989 hat sich Polen umfassend gesellschaftlich und wirtschaftlich transformiert und einen rasanten wirtschaftlichen Aufstieg hinter sich. So hat sich die Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung beinahe vervierfacht von 10.000 US-Dollar im Jahr 1991 auf rund 37.000 US-Dollar im Jahr 2022. Dies ist im europäischen Vergleich beispiellos. Das hohe Wirtschaftswachstum hat trotz signifikanter Budgetdefizite die staatliche Verschuldung in Polen moderat gehalten, mit dem Ergebnis, dass die Schuldenquote in Polen deutlich unter dem EU-Durchschnitt liegt. Zudem hat die Arbeitslosenquote einen Tiefststand erreicht. Allerdings steht das Land wie seine europäischen Nachbarn vor einem demografisch bedingtem Fachkräfteengpass. Dieser ist vor allem durch niedrige Geburtenraten, eine alternde Bevölkerung, aber auch durch nach wie vor hohe Emigration von gut ausgebildeten Arbeitskräften bedingt. Die Emigration hat gleichzeitig zum Sinken der hohen Arbeitslosigkeit in den 2000er Jahren beigetragen und zu signifikanten Rücküberweisungen aus dem Ausland nach Polen geführt. Der Anteil der Rücküberweisungen am polnischen BIP ist jedoch stark rückläufig und spielt im Vergleich zu ausländischen Direktinvestitionen eine untergeordnete Rolle.

Polen ist insgesamt ein attraktiver Investitionsstandort geworden. Doch beim Ausbleiben weiterer Zugewinne bei der Arbeitsproduktivität, etwa durch gezielte Fachkräfteanwerbung, könnte das Land einen wesentlichen Wettbewerbsvorteil zukünftig verlieren. Das bisherige Erfolgsrezept der zunehmenden Qualifizierung und tertiären Bildung des inländischen Arbeitskräfteangebots könnte an seine Grenzen stoßen. Neue Herausforderungen kommen ebenfalls durch den Krieg in der Ukraine und dessen Auswirkungen auf Energiepreise und Lieferketten. Bisher konnte die polnische Regierung durch staatliche Maßnahmen die Belastungen abfedern, diese Entlastungen laufen aber Ende 2023 aus. Die zweistellige Inflationsrate stellt die polnische Zentralbank ebenfalls unter Zugzwang. Die hohen Leitzinsen von 6,75 Prozent dämpfen am aktuellen Rand die konjunkturellen Aussichten.

Ein spezifischer Erfolgsfaktor für diese beispiellose Transformation von einer planwirtschaftlich gelenkten hin zu einer vollständigen Marktwirtschaft war die Einbettung der wirtschaftlichen Liberalisierung in stabile demokratische Institutionen. Als Katalysator und Anker der kritischen Marktreformen und institutionellen Transformation hat die Europäische Union eine ganz wesentliche Rolle gespielt. Die finanziellen Mittel aus dem EU-Haushalt haben zudem den Infrastrukturausbau in Polen entscheidend mitermöglicht. Zum Zweiten ist als positiver Faktor die Bildungsintensivierung zu nennen. Kombiniert mit geringen Arbeitskosten und der liberalen Arbeitsmarktpolitik hat dies ausländische Firmen angelockt, ihre arbeitsintensiven Fertigungsschritte nach Polen auszulagern. Zunehmend konnte sich Polen so in die weltweiten und besonders in die europäischen Wertschöpfungsketten integrieren. Die vollständige Integration in den europäischen Binnenmarkt durch den EU-Beitritt im Jahr 2004 hat dieser Entwicklung einen entscheidenden Schub verliehen.

Die Exportstruktur ist dabei relativ diversifiziert, was die Schockanfälligkeit gegenüber einzelnen Sektoren reduziert. Trotz steigender Lohnstückkosten konnte Polen durch die Abwertung der eigenen Währung seine Position im internationalen Wettbewerb verbessern und so die Exporte in der letzten Dekade stark steigern. Als zweites Standbein neben der Exportorientierung kann sich Polen auf einen relativ starken Binnenkonsum verlassen, der besonders bei einer schwächeren Weltwirtschaft Stabilität verschafft. Diese Dynamik bei der Industrieproduktion ist ein weiterer spezifischer Erfolgsfaktor des polnischen Wirtschaftsmodells.

Als Hocheinkommensland steht das Land nun aber an einem Scheideweg, denn das Aufrechterhalten des dynamischen Wachstums auf diesem Niveau verlangt größere Anstrengungen. Strukturelle Herausforderungen auf diesem Weg sind die Steigerung der Innovationskraft, etwa durch gezielte Weiterbildung und Investitionen in die Forschung und Entwicklung (F&E), die Meisterung der grünen Transformation, besonders durch die Reduzierung der Abhängigkeit von Kohle und dem Ausbau der erneuerbaren Energien, sowie die Verbesserung des Investitionsklimas. Dafür bedarf es vor allem der Stabilität, Verlässlichkeit und Transparenz, etwa beim Investitionsschutz und der Rechtssicherheit. Die polnische Regierung sollte hier genauso pragmatisch zu Reformen bereit sein, wie sie es in der Vergangenheit bereits praktiziert hat. Dies würde zudem die Spannungen mit der Europäischen Kommission auf diesem Gebiet lösen und die Voraussetzung für die Auszahlung der Finanzmittel aus dem Wiederaufbaufonds der Europäischen Union schaffen. Angesichts zahlreicher Herausforderungen und Investitionsbedarfe wären diese Gelder von großem Nutzen für Polen und könnten zudem Anreize für notwendige Reformen setzen.

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