Während die EU und die Mercosur-Staaten um ein Freihandelsabkommen ringen, baut China seine Rolle in der Region aus: Seit 2012 ist das Handelsvolumen zwischen Mercosur und China um 95 Prozent gestiegen, der Handel mit der EU dagegen kaum. Das ist auch geopolitisch ein Problem. Die EU sollte sich daher mit Hochdruck und Kompromissbereitschaft um einen schnellen Abschluss der Verhandlungen bemühen.
Mercosur-Handel: Läuft uns China den Rang ab?
Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
Während die EU und die Mercosur-Staaten um ein Freihandelsabkommen ringen, baut China seine Rolle in der Region aus: Seit 2012 ist das Handelsvolumen zwischen Mercosur und China um 95 Prozent gestiegen, der Handel mit der EU dagegen kaum. Das ist auch geopolitisch ein Problem. Die EU sollte sich daher mit Hochdruck und Kompromissbereitschaft um einen schnellen Abschluss der Verhandlungen bemühen.
Die Europäische Union (EU) und die Mercosur-Staaten (Argentinien, Brasilien, Uruguay und Paraguay) streben seit über 20 Jahren ein Freihandelsabkommen an. Zwar konnten sich beide Seiten bereits 2019 auf einen Vertragstext einigen, der auch umfangreiche Vorgaben zur Nachhaltigkeit umfasst. Jedoch ist das Abkommen bisher noch nicht ratifiziert. Die EU will in einer Zusatzerklärung zum Abkommen noch verbindlichere Nachhaltigkeitsziele vor allem zum Erhalt des Regenwalds im Amazonasgebiet verankern, wogegen sich die Mercosur-Staaten aber sträuben. Der EU-Lateinamerika-Gipfel im Juli hat erneut keinen Durchbruch gebracht. Beide Seiten scheinen sich jedoch darum zu bemühen, bis Ende des Jahres noch während der spanischen EU-Ratspräsidentschaft ein solches Abkommen zu beschließen. So hat der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva angekündigt, der EU in den nächsten Wochen einen Kompromissvorschlag vorzulegen.
Eine baldige Einigung wäre in vielerlei Hinsicht zu begrüßen. So würde mit über 770 Millionen Einwohnern die größte Freihandelszone der Welt entstehen (BMWK, o. J.). Im Jahr 2022 betrug das Handelsvolumen (Summe aus Exporten und Importen) bei Gütern zwischen den beiden Staatenbünden etwa 123 Milliarden US-Dollar, wovon rund 63 Milliarden US-Dollar auf Exporte der Mercosur-Staaten in die EU entfielen und 60 Milliarden US-Dollar auf Importe aus der EU.
Der vorliegende Vertragstext sieht den Abbau von Zöllen in wichtigen Exportsektoren der EU vor (Europäische Kommission, 2019). So würden Zölle auf Autos aus der EU in Höhe von 35 Prozent und auf pharmazeutische Produkte aus der EU in Höhe von 14 Prozent entfallen (Europäische Kommission, 2022). Dieser Zollabbau ist über einen Zeitraum von fünf bis zehn Jahren anvisiert. Zudem würden nichttarifäre Handelshemmnisse abgebaut, etwa durch die Vereinheitlichung von Standards und die Vereinfachung von Zollverfahren.
Geoökonomische Tragweite
Zwar ist der Mercosur lediglich der elftwichtigste Handelspartner der EU (Europäische Kommission, o. J.). Doch die geoökonomische Bedeutung eines Abkommens reicht viel weiter. Als Demokratien sind die Mercosur-Staaten wichtige Wertepartner. Zudem unterstreicht die neue EU-Strategie des De-Risking die Wichtigkeit von Handelspartnern jenseits von China. Das Credo hierbei lautet „Diversifizierung“. Dies gilt umso mehr, da die Mercosur-Staaten derzeit noch kein größeres Handelsabkommen geschlossen haben und mit hohen Handelsbarrieren als relativ geschlossener Markt gelten. Von einem Abkommen könnte die EU somit von einer Art „first-mover advantage“ profitieren.
Größere Rolle Chinas in der Region
Zudem kann es sich die EU nicht leisten, ihre Bemühungen um die Region zu verringern. Denn China hat seinerseits seine Rolle in den Mercosur-Staaten in den vergangenen Jahren kontinuierlich ausgebaut. So warnen verschiedene Seiten, dass die EU hier ins Hintertreffen geraten könnte (Nolte, 2019; Raza/Grohs, 2022). Im Jahr 2022 betrug das Handelsvolumen bei Gütern zwischen China und den Mercosur-Staaten bereits rund 192 Milliarden US-Dollar. Dies ist ein beträchtlicher Anstieg um knapp 95 Prozent in den vergangenen zehn Jahren seit 2012. Das Handelsvolumen zwischen den Mercosur-Staaten und China übersteigt damit das mit der EU um fast 70 Milliarden US-Dollar.
Als Exportmarkt der Mercosur-Staaten hat China zunehmend an Bedeutung gewonnen. So betrug der Warenexport nach China im Jahr 2012 noch etwa 47 Milliarden US-Dollar und lag somit unter dem Exportwert in die EU von knapp 56 Milliarden US-Dollar. Seitdem ist der Export nach China stark um 112 Prozent gestiegen und liegt im Jahr 2022 bei etwa 100 Milliarden US-Dollar. Demgegenüber nahm der Warenexport in die EU lediglich um 13 Prozent auf 63 Milliarden US-Dollar im Jahr 2022 zu.
Auf der Importseite ist das Bild ähnlich: Beliefen sich die Warenimporte der Mercosur-Staaten aus China im Jahr 2012 noch auf etwa 51 Milliarden US-Dollar, liegen sie 2022 schon bei über 92 Milliarden US-Dollar. Das entspricht einem Anstieg um 80 Prozent. Hingegen hat das Importvolumen des Mercosur aus der EU zwischen 2012 und 2022 kaum zugenommen.
Offensichtlich hat China der EU den Rang sowohl als Absatzmarkt als auch als Beschaffungsmarkt für die Mercosur-Staaten in den letzten zehn Jahren abgelaufen. Mehr noch, es deutet einiges darauf hin, dass die Rolle Chinas in der Region noch weiter zunehmen dürfte. So plant Uruguay ein bilaterales Handelsabkommen mit China (Hodara, 2022). Zudem hat der brasilianische Präsident auch schon ein umfassendes Freihandelsab-kommen zwischen den Mercosur-Staaten und China ins Gespräch gebracht (Reuters, 2023).
Auch jenseits der Handelsverflechtungen hat China an Einfluss in Lateinamerika gewonnen. So steigen die Direktinvestitionen aus China seit Jahren und im Rahmen der neuen Seidenstraße-Initiative Chinas fließen umfangreiche Kredite etwa für Infrastrukturprojekte in die Region (Raza/Grohs, 2022; Roy, 2023).
Handelsbeziehungen im Detail
Der größte Exportanteil der Mercosur-Staaten in die EU entfällt mit rund 19 Prozent auf mineralische Brennstoffe, Mineralöle und bituminöse Stoffe, gefolgt von Rückständen und Abfällen der Lebensmittelindustrie (14 Prozent) sowie Ölsamen und ölhaltigen Früchten; Samen; Stroh und Futter (8 Prozent). Die Mercosur-Staaten exportieren demnach vor allem Rohstoffe und Agrarprodukte in die EU.
Umgekehrt exportierte die EU in die Mercosur-Staaten Waren im Wert von rund 60 Milliarden im Jahr 2022. Den größten Anteil daran haben Kernreaktoren, Kessel, Maschinen, Apparate und mechanische Geräte (20 Prozent), pharmazeutische Erzeugnisse (12 Prozent) sowie Zugmaschinen, Kraftwagen, Krafträder und Fahrräder (8 Prozent). Durch die Ratifizierung des EU-Mercosur-Freihandelsabkommens würden diese Exporte von dem Zollabbau profitieren und somit dort wettbewerbsfähiger werden.
Der Warenexport der Mercosur-Staaten nach China ist stark konzentriert auf wenige Rohstoffe und Agrarprodukte. So entfallen 35 Prozent auf Ölsamen und ölhaltige Früchte; Samen; Stroh und Futter, knapp 19 Prozent auf Erze, Schlacke und Asche, 17 Prozent auf mineralische Brennstoffe, Mineralöle und bituminöse Stoffe, gefolgt von Fleisch und genießbaren Schlachtnebenerzeugnissen mit knapp 15 Prozent. Die Exportanteile aller anderen Warengruppen liegen im unteren einstelligen Bereich. Auffällig ist, dass die Mercosur-Staaten sowohl nach China als auch in die EU eine ähnliche Warenpalette liefern. Vor allem mineralische Brennstoffe, Mineralöle und bituminöse Stoffe machen in beiden Fällen einen hohen Anteil der Exporte aus.
Auf der Einfuhrseite importierte der Mercosur Waren im Wert von etwa 92 Milliarden US-Dollar aus China im Jahr 2022. Den mit Abstand größten Anteil haben daran elektrische Maschinen, Bild- und Tonwiedergabegeräte mit knapp 29 Prozent. Weitere wichtige Importgüter aus China sind auch Kernreaktoren, Kessel, Maschinen, Apparate und mechanische Geräte (knapp 17 Prozent) und organische chemische Erzeugnisse (knapp 12 Prozent).
Die EU muss jetzt ein Zeichen setzen
China stellt die EU also nicht nur als Absatzmarkt für die Rohstoffe und Agrarprodukte der Mercosur-Staaten in den Schatten. Auch auf der Importseite macht China der EU dort zunehmend harte Konkurrenz – und das auch bei hochtechnologischen Produkten, auf die die EU spezialisiert ist. Die Mercosur-Staaten sind inzwischen viel weniger auf die EU angewiesen als früher, da mit China ein alternativer Handelspartner herangewachsen ist. Umgekehrt kann es sich die EU aber nicht leisten, den Zugang zu den Rohstoffen und Agrarprodukten der Mercosur-Staaten zu verlieren. Dies schwächt die europäische Verhandlungsposition im Ringen um das Freihandelsabkommen. Daher muss die EU hierbei Kompromissbereitschaft zeigen. Das ist auch ein Lackmustest dafür, wie ernst es der EU mit der ausgerufenen Diversifikation ist.
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