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Michael Grömling IW-Kurzbericht Nr. 126 17. Dezember 2020 Erwartungsstau in Ostdeutschland: Ergebnisse der IW-Konjunkturumfrage Herbst 2020

Die Corona-Pandemie hat die Unternehmen in Ostdeutschland insgesamt etwas weniger heftig getroffen als in Westdeutschland. Die Aussichten für das Jahr 2021 sind gemäß der IW-Konjunktur­umfrage im Osten jedoch zurückhaltender. Dieses West-Ost-Gefälle bei den wirtschaftlichen Perspektiven für 2021 erklärt sich aus den schlechteren Erwartungen der ostdeutschen Dienstleister.

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Ergebnisse der IW-Konjunkturumfrage Herbst 2020
Michael Grömling IW-Kurzbericht Nr. 126 17. Dezember 2020

Erwartungsstau in Ostdeutschland: Ergebnisse der IW-Konjunkturumfrage Herbst 2020

IW-Kurzbericht

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Die Corona-Pandemie hat die Unternehmen in Ostdeutschland insgesamt etwas weniger heftig getroffen als in Westdeutschland. Die Aussichten für das Jahr 2021 sind gemäß der IW-Konjunktur­umfrage im Osten jedoch zurückhaltender. Dieses West-Ost-Gefälle bei den wirtschaftlichen Perspektiven für 2021 erklärt sich aus den schlechteren Erwartungen der ostdeutschen Dienstleister.

Industrie und Dienstleister in der Krise

Das Jahr 2020 steht im Zeichen einer Pandemie, die rund um den Globus immense Wirtschaftseinbrüche ausgelöst hat. Die Konsum- und Dienstleistungsnachfrage leidet unter den Lockdown-Maßnahmen sowie unter der Verunsicherung und Zurückhaltung der privaten Haushalte infolge der erneuten Infektionswelle. Die Unternehmen haben ihre Investitionen zurückgefahren – als Reaktion auf die beeinträchtigten Produktionsprozesse, die einbrechende Inlands- und Auslandsnachfrage und die hohe Unsicherheit über den weiteren Verlauf der Pandemie und deren Langfristfolgen (Grömling, 2020).

Mit Blick auf die deutsche Wirtschaft waren die Lasten im Frühjahr 2020 im Durchschnitt der Industrie erheblich stärker als im gesamten Dienstleistungsbereich. Im dritten Quartal konnten die Industrie und die Dienstleister deutliche Zuwächse gegenüber dem Krisenquartal verbuchen. Die verbleibende Produktionslücke ist in der Industrie erheblich höher als im Dienstleistungssektor (IW-Forschungsgruppe Gesamtwirtschaftliche Analysen und Konjunktur, 2020). Dabei gilt es zu bedenken, dass die zugrunde liegende Benchmark 2019 für die Industrie bereits ein Rezessionsjahr darstellt. Die Produktionslücke war am Bau zuletzt so groß wie im Dienstleistungssektor.

Die Lageeinschätzung der Unternehmen auf Basis der IW-Konjunkturumfrage vom November 2020 deckt sich mit diesem Sektorbefund: Gut die Hälfte der Industriefirmen berichtet aktuell von einer niedrigeren Produktion als im Vorjahr – nur ein Viertel hat die Lücke bereits geschlossen oder überhaupt nicht erlebt. Letzteres gilt etwa für die Hersteller von Nahrungs- und Genussmitteln. Dagegen wird vor allem bei den Investitionsgüterproduzenten die aktuelle Lage als schlecht bewertet. Hier spiegelt sich die Investitionsschwäche im Inland und Ausland wider. Bei den privatwirtschaftlichen Dienstleistern liegen derzeit 44 Prozent der Betriebe unter Vorjahr und ein Fünftel spricht von einem besseren Geschäft als im Herbst 2019. Dagegen dominieren in der Bauwirtschaft die Firmen mit einem Plus gegenüber 2019 (33 Prozent) klar diejenigen Betriebe mit einem Minus im Vorjahresvergleich (15 Prozent).

Daten für das erste Halbjahr 2020 zeigen, dass die westdeutschen Bundesländer (ohne Berlin) von der Pandemie nur etwas stärker beeinträchtigt wurden als die Länder im Osten (einschließlich Berlin). Gegenüber dem Vorjahr gab das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt im Westen um 6,7 Prozent und im Osten um 5,6 Prozent nach. Auch hinsichtlich der Lageeinschätzung vom November 2020 sind die gesamtwirtschaftlichen Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland überschaubar. Der Anteil der Firmen, die aktuell von einer schlechteren Produktion gegenüber dem Vorjahr sprechen, liegt gleichermaßen bei rund 45 Prozent. In Ostdeutschland war der Anteil der Betriebe mit einer aktuell höheren Produktion gegenüber Herbst 2019 mit 18 Prozent niedriger als in Westdeutschland mit knapp 23 Prozent. Merkliche Unterschiede zwischen Ost und West gab es zuletzt allerdings in sektoraler Hinsicht: Die Bauunternehmen bewerten die Lage im Osten deutlich besser als im Westen. Dagegen sind die Dienstleister im Osten derzeit erheblich schlechter auf den Herbst 2020 zu sprechen als die Servicefirmen im Westen. Kaum Unterschiede gibt es zwischen der Industrielage in West und Ost.

Erwartungsgefälle West-Ost

Während die gesamte Lageeinschätzung der ost- und westdeutschen Firmen – ungeachtet der aufgezeigten Branchendifferenzen – nicht stark voneinander abweicht, gehen die Erwartungen für 2021 gemäß der IW-Konjunkturumfrage auseinander (Abbildung):

  • In Westdeutschland dominieren klar die optimistisch gestimmten Firmen. 34 Prozent der befragten Unternehmen erwarten eine höhere Produktion, 24 Prozent sehen ein niedrigeres Geschäftsvolumen als im Krisenjahr 2020. Die Erwartungen haben sich im Dienstleistungs- und Industriebereich nach den starken Einbrüchen im Jahr 2020 aufgehellt. 40 Prozent der Industriefirmen erwarten ein Plus und 22 Prozent ein Minus, was angesichts der noch großen Produktionslücke erfreulich ist. Bei den Dienstleistern haben 31 Prozent positive und 26 Prozent negative Erwartungen. Dagegen haben sich in der westdeutschen Bauwirtschaft die Erwartungen stark eingetrübt: 27 Prozent sehen hier ein schlechteres Geschäft und nur noch 23 Prozent einen Zuwachs gegenüber 2020.
  • In Ostdeutschland gehen nur 24 Prozent aller Firmen von einer höheren Produktion im Jahr 2021 aus, aber 29 Prozent planen Produktionskürzungen. Analog zur Lageeinschätzung sind es im Osten die Dienstleister, die für 2021 pessimistisch sind. Nur 16 Prozent rechnen mit einem Plus, über 34 Prozent der Dienstleister im Osten gehen von einem Rückgang aus. Die verbleibende Hälfte erwartet Geschäfte auf dem Niveau des Jahres 2020. Im ostdeutschen Baugewerbe und in der dortigen Industrie haben die zuversichtlichen Firmen die Oberhand. Jeweils rund ein Drittel prognostiziert ein Plus, jeweils rund ein Fünftel ein Minus.
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Im Gegensatz zur globalen Finanzmarktkrise von 2008/2009 zeigen sich derzeit die ostdeutschen Betriebe merklich zurückhaltender hinsichtlich des Erholungstempos. Dieses West-Ost-Gefälle bei den Perspektiven für 2021 erklärt sich vorwiegend aus den schlechteren Dienstleistungserwartungen im Osten. Denn Dienstleistungsfirmen haben im Osten ein höheres Gewicht als im Westen. Hinzu kommt, dass die Exporterwartungen in Ostdeutschland hinter jenen im Westen zurückbleiben. Während sich im Westen die optimistischen und pessimistischen Exporteure mit rund einem Viertel die Waage halten, übertreffen im Osten die Pessimisten die Optimisten um 5 Prozentpunkte. Dagegen hatten in der Herbstumfrage 2008 und in der Frühjahrsumfrage 2009 besonders die westdeutschen Industriefirmen – darunter vor allem die Investitionsgüterproduzenten – sehr schlechte Produktionsperspektiven. Die Erholung der Industrie zog sich bis in das Jahr 2011 hin. Der Osten schnitt damals insgesamt wegen des niedrigeren Industriegewichts weniger schlecht ab.

Zurückhaltende Investitionspläne

Die Investitionserwartungen für das kommende Jahr sind zurückhaltend. Der Anteil von Unternehmen, die mit größeren oder kleineren Investitionsbudgets für 2021 planen, liegt jeweils bei knapp 29 Prozent. Damit schlagen sich die für Deutschland insgesamt positiven Produktionserwartungen noch nicht in einem ebensolchen Investitionsklima nieder. Die im Gefolge der Pandemie entstandene Investitionslücke dürfte demnach im kommenden Jahr nicht geschlossen werden. Dabei spiegeln sich die divergierenden Produktionserwartungen von West- und Ostdeutschland für das Jahr 2021 ebenfalls in unterschiedlichen Investitionsabsichten der jeweiligen Unternehmen. Während im Westen die Unternehmen mit positiven Investitionsplänen leicht dominieren, besteht im Osten gemäß der IW-Konjunkturumfrage weiterhin eine Investitionszurückhaltung.

Keine Beschäftigungserholung in 2021

In der gegenwärtigen Einschätzung der befragten Unternehmen wird sich die Beschäftigungslage in Deutschland 2021 nicht verbessern. Vielmehr liegt der Anteil der Firmen mit erwarteter rückläufiger Beschäftigung deutschlandweit mit knapp 28 Prozent merklich über dem Anteil der Firmen mit positiven Beschäftigungsplänen (22,5 Prozent). Ein negativer Saldo aus positiven und negativen Beschäftigungserwartungen wird aus West- und aus Ostdeutschland gemeldet. Die Divergenz ist allerdings im Osten (–17 Prozentpunkte) erheblich höher als im Westen (–4 Prozentpunkte).

Die Ergebnisse der IW-Konjunkturumfrage signalisieren, dass sich die Erholung in Ostdeutschland mit geringerem Tempo vollziehen könnte. Das liegt an den derzeit schlechteren Wirtschaftsperspektiven der Dienstleister. Sie werden aufgrund der erneuten Lockdown-Maßnahmen, aber auch aufgrund der Infektionswelle und der damit einhergehenden Zurückhaltung im Winterhalbjahr 2020/2021 stärker belastet.

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Ergebnisse der IW-Konjunkturumfrage Herbst 2020
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Michael Grömling: Ostdeutschland – Ergebnisse der IW-Konjunkturumfrage Herbst 2020

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