Die Corona-Epidemie wird zumindest im ersten Quartal 2020 die chinesische Wirtschaft deutlich abbremsen. Die deutsche Wirtschaft wird über Nachfrage-, Vorleistungs- und Gewinnausfälle in Mitleidenschaft gezogen. Makroökonomische Schätzungen unterzeichnen möglicherweise die Verflechtungseffekte. Langfristig bestehen Gefahren, wenn die Produktionspotenziale über politisch motivierte Entkopplungen geschwächt werden.
Corona-Krise und die deutsche Wirtschaft
IW-Kurzbericht
Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
Die Corona-Epidemie wird zumindest im ersten Quartal 2020 die chinesische Wirtschaft deutlich abbremsen. Die deutsche Wirtschaft wird über Nachfrage-, Vorleistungs- und Gewinnausfälle in Mitleidenschaft gezogen. Makroökonomische Schätzungen unterzeichnen möglicherweise die Verflechtungseffekte. Langfristig bestehen Gefahren, wenn die Produktionspotenziale über politisch motivierte Entkopplungen geschwächt werden.
Die deutsche Industrie leidet unter der schwächer expandierenden Weltwirtschaft und vor allem unter der nur noch moderaten globalen Investitionstätigkeit. Die Handelsstreitigkeiten belasten nicht nur den Güteraustausch, sondern auch die globalen Wertschöpfungsketten und den technologischen Transfer. Und nun sorgt die Corona-Krise für eine weitere Verunsicherung.
Der Handels- und Technologiekonflikt mit den USA und die wachsende Vorsicht anderer Handelspartner hinsichtlich technologischer Abhängigkeiten gehen schon bislang nicht spurlos an der chinesischen Exportindustrie vorbei. Seit Jahresbeginn 2020 legt zusätzlich eine hausgemachte Epidemie das Land lahm. Sie wird zumindest im ersten Quartal 2020 die chinesische Wirtschaft deutlich abbremsen. Über das Ausmaß und die zeitliche Dauer der Beeinträchtigungen kann derzeit nur spekuliert werden. Über Ausbreitung und die Wirksamkeit von Gegenmaßnahmen besteht noch keine Klarheit. Wie umfassend und stark mögliche Nachholeffekte im weiteren Jahresverlauf 2020 sein werden, bleibt ebenfalls offen.
Oftmals werden Parallelen zur SARS-Krise von 2003 gezogen. Auch damals kam es in China zu einer Virus-Epidemie, die im ersten Halbjahr 2003 weltweite Auswirkungen hatte. Aufs Jahr gerechnet gab es aber keine wirtschaftliche Abkühlung in China: Nach 9,1 Prozent im Jahr 2002 legte das reale Bruttoinlandsprodukt in China in 2003 um 10 Prozent zu. Die Beeinträchtigungen in der ersten Jahreshälfte wurden durch Nachholeffekte im Jahresverlauf wieder ausgeglichen. Fraglich ist, wie hoch das chinesische Wachstum ohne die SARS-Epidemie gewesen wäre. Makroökonomische Effekte waren in Deutschland aufgrund der damals noch überschaubaren Verflechtung mit China unmerklich.
Im Februar 2020 läuft in den chinesischen Regionen, in denen das Corona-Virus die Menschen relativ stark befällt, nur noch das Notwendigste. Die Freizügigkeit der Menschen ist stark eingeschränkt. Die Produktion in Fabriken wurde zum Teil eingestellt. Im Dienstleistungsbereich sind ebenfalls starke Beeinträchtigungen zu erwarten. Aussagekräftige Daten zu den tatsächlichen Belastungen werden frühestens mit den normalen zeitlichen Verzögerungen der Statistiken vorliegen.
Infolge der mittlerweile hohen Bedeutung Chinas können die Auswirkungen auf die Weltwirtschaft deutlich höher ausfallen als bei der SARS-Krise im Jahr 2003. Die Abbildung zeigt den globalen Bedeutungszuwachs der chinesischen Wirtschaft im Zeitraum 2002 bis 2019 (sofern verfügbar). Besonders deutlich wird die zunehmende Rolle Chinas als globaler Standort für Investitionen und als Lieferant von Vorleistungen.
Über folgende Kanäle kann die deutsche Wirtschaft infolge der Corona-Krise belastet werden:
1. Nachfrageausfall. China ist ein wichtiger Exporteur und Importeur. Die Abbildung zeigt den Anteil Chinas an den globalen Exporten und Importen von jeweils rund 10 Prozent. Das ist mehr als doppelt so hoch wie 2003. Für die deutsche Wirtschaft ist China der drittgrößte Kunde hinter den USA und Frankreich (Matthes, 2019). Im Jahr 2018 hatte China einen Anteil von gut 7 Prozent an den deutschen Warenausfuhren. Matthes (2019) zeigt, dass die reinen Wertschöpfungsexporte nach China – also die Exporte ohne Berücksichtigung der ausländischen Vorleistungen – einen Anteil an der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung in Deutschland von knapp 3 Prozent haben. Damit erscheinen die direkten Wertschöpfungseffekte in Deutschland infolge einer Wachstums- und Importverlangsamung in China moderat. Gemäß einer Modellschätzung von Jovicic (2019) würde eine Wachstumsverlangsamung in China von 3 Prozentpunkten die Wachstumsrate des realen BIP in Deutschland im Jahr 2020 nur um 0,1 Prozent vermindern. Dabei dürfte allerdings den vielfältigen Lieferverflechtungen – vor allem bei einem Ausfall von wichtigen Vorleistungen – nicht in vollem Umfang Rechnung getragen werden. Die vorübergehenden Konsum- und Investitionsausfälle in China infolge der neuen Corona-Epidemie treffen die deutschen Exporteure zudem in einer schon schwachen globalen Nachfragephase.
2. Vorleistungsausfall. Die chinesische Wirtschaft hat sich stark in die internationale Arbeitsteilung eingeklinkt. Sie selbst kauft wichtige Vorleistungen in vielen anderen Ländern ein – in Südostasien, in den Rohstoffländern im Nahen Osten, in Afrika und Südamerika. Auch aus den westlichen Industrieländern bezieht China wichtige Vorleistungen für seine Inlandsproduktion – etwa Halbleiter. Umgekehrt sind chinesische und ausländische Firmen mit Sitz in China wichtige Zulieferer für die Inlandsproduktion in Deutschland. Das gilt exemplarisch für die Metall- und Elektroindustrie (Matthes, 2019). Stocken diese Zulieferungen, droht die Gefahr, dass es hierzulande zu Produktionsbeeinträchtigungen kommt. Mit einem Anteil von knapp 10 Prozent ist China der größte Lieferant von deutschen Importgütern. Die Untersuchung von Matthes (2019) relativiert ebenfalls, dass auf Wertschöpfungsebene die Bedeutung niedriger ist: Der Anteil der Wertschöpfungslieferungen aus China an der gesamten Wertschöpfung im deutschen Endverbrauch lag 2015 auf Basis dieser Modellrechnung bei 2 Prozent. China ist damit so bedeutsam wie die USA, aber erheblich wichtiger sind die Zulieferungen aus der EU. Diese makroökonomischen Befunde können aber möglicherweise starke Abhängigkeiten bei wenigen wichtigen Vorleistungen – etwa im Pharmabereich oder in der Elektroindustrie – unterzeichnen. Vor allem können sich diese Vorleistungseffekte kumulieren, wenn chinesische Vorleistungen auch für andere ausländische Vorleistungen von Bedeutung sind.
3. Gewinnausfall. Der Nachfrageausfall und eigene Produktionsbeeinträchtigungen im Inland können deutsche Unternehmen empfindlich in ihren Bilanzen treffen. Innerhalb von Multinationalen Unternehmen können diese Effekte durch Produktions- und Gewinnausfälle in China und anderen Standorten noch stärker sein. Konzentrieren sich die Schäden auf das erste Quartal 2020 und kommt es danach zu Nachholeffekten, sind die Gewinneinbußen möglicherweise überschaubar. Mit zunehmender Dauer, globaler Reichweite und Ausmaß wachsen diese Belastungen aber sprunghaft an. Dann sind auch entsprechende Reaktionen an den Finanzmärkten zu erwarten.
4. Potenzialausfall. Das Produktionspotenzial der heimischen Wirtschaft setzt sich im Wesentlichen aus den Arbeitskräften und deren Qualifikationen (Humankapital), der Ausstattung mit privatem und öffentlichem Sachkapital und dem Bestand an technischem Wissen zusammen. Die Internationalisierung der Produktion und die damit einhergehende Arbeitsteilung haben zu deutlichen Effizienzeffekten in den beteiligten Volkswirtschaften geführt. Die Vorleistungsverflechtungen im Rahmen internationaler Wertschöpfungsketten, der wechselseitige Technologietransfer oder der Wissenstransfer über den Austausch von Mitarbeitern in internationalen Firmen erhöhen auch die Produktionsmöglichkeiten im Inland. Eine Epidemie dürfte für sich genommen noch keinen Rückschritt bei der länderübergreifenden Arbeitsteilung auslösen. Das mag sich anders gestalten, wenn Pandemien häufiger auftreten und dies bei ausgeprägten Abhängigkeiten zu permanenten Produktionsbeeinträchtigungen führt. Eine Verlagerung der Produktion zurück an den heimischen Standort oder an andere ausländische Standorte wäre die Folge. Der teilweise Verzicht auf die Vorteile der internationalen Arbeitsteilung würde dann durch geringere Risiken infolge der Produktionsabhängigkeiten begründet.
Das Argument einer internationalen Neuausrichtung der nationalen Produktionspotenziale infolge von Epidemien ist für sich genommen nachrangig. Es muss allerdings in den gegenwärtigen politischen Rahmen eingeordnet werden. Dieser ist vielfach geprägt von protektionistischem und autarkischem Denken. Insofern besteht die Gefahr, dass ansonsten überschaubare Krisen als Vorwand für eine politisch motivierte Auflösung von internationalen Wertschöpfungsketten angeführt werden. Wir erleben eine Politisierung der Globalisierung, mit der Folge, dass die Dynamik der internationalen Impulse ungleicher und unberechenbarer wird. In dieses Umfeld strukturell erhöhter Unsicherheit ist die Corona-Epidemie einzuordnen. Nicht zuletzt wird die chinesische Partei- und Staatsführung auf den daraus resultierenden bedrohlichen Druck reagieren wollen.
Michael Grömling: Corona-Krise und die deutsche Wirtschaft
IW-Kurzbericht
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